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Auf Äckern im Westen Polens sammelt sich die "Zweite gepanzerte Kampfbrigade der ersten Infanteriedivision". Von hier aus werden die Einheiten in verschiedene Nato-Länder geschickt.

© US-Nato

US-Abschreckung gegen Russland: Die "Dolch-Brigade" lernt Polen kennen

3300 Mann, Panzer und Haubitzen: Die US-Armee will Osteuropa die Angst vor Russland nehmen - mit einer Truppe, die beim Furchteinflößen erstaunlich zärtlich ist.

Die Pilze sind schuld, sagt John Donlin. Im Grunde seien die Panzer vom Typ Abrams schon gestern feuerbereit gewesen. Wenige Stunden nach dem Abladen vom Zug. Der Bataillonskommandeur musste sich das Problem von seinen polnischen Kollegen erklären lassen, doch wenn er es richtig versteht, strömen die Einheimischen zu dieser Jahreszeit scharenweise in den Wald, um Steinpilze zu suchen, die sie dann trocknen und Weihnachten verspeisen. Dabei lassen sie sich auch vor Warnschildern militärischer Sperrzonen nicht abschrecken. Weil es gestern neblig war, verschob Donlin die Schießübungen. Er wollte kein Unglück riskieren.

Nun aber klingt es, als stehe das ganze Camp unter Beschuss. Obwohl die Panzer in hunderten Metern Entfernung feuern, dröhnen die Explosionen durch Schlafsäle, Duschen, die Essensausgabe. Keinen stört es. John Donlins Bataillon ist Teil einer 3300 Mann starken Truppe, die das US-Militär soeben nach Polen entsandt hat. Offizieller Name: „Zweite gepanzerte Kampfbrigade der ersten Infanteriedivision“. Spitzname: „Dolch-Brigade“. Ihre Einheiten sammeln sich auf Äckern in der Nähe von Zagan, 170 Kilometer südöstlich Berlins. Von hier aus werden sie in den kommenden Wochen in verschiedene Nato-Staaten Mittel- und Osteuropas geschickt, wo sie an Manövern teilnehmen. Sie haben hunderte Panzer, Haubitzen und gepanzerte Fahrzeuge mitgebracht.

Den einen abschrecken, die anderen beruhigen

Die Präsenz der Dolch-Brigade soll Russland abschrecken. Und gleichzeitig die Nato-Partner der Region beruhigen, die nach der Annexion der Krim und dem Eingreifen in der Ostukraine weitere russische Aggressionen fürchten. Es handelt sich um keine offizielle Nato-Mission, sondern um eine der US-Armee in Absprache mit den betroffenen Bündnispartnern. Die Frage ist: Wird der Truppenaufmarsch die Lage beruhigen - oder die Eskalation beschleunigen?

20 Kilometer südlich des „Camp Karliki“ genannten Lagers steht Captain Terry Battison auf einer Aussichtsplattform. Vor ihm ein riesiges freies Feld, auf dem vier Panzer und sechs gepanzerte Fahrzeuge abwechselnd vor- und zurücksetzen. Sie feuern auf Holzgestelle in der Ferne. Man sieht erst das Mündungsfeuer, nach einer Sekunde hört man den Knall. „Physik“, sagt Battison. „Deshalb wirst du die Kugel, die dich tötet, niemals hören.“

Terry Battison ist 35 und in Ohio aufgewachsen. Dass er zur Armee ging, sagt er, hing mit den Anschlägen vom 11. September 2001 zusammen. „Ich hatte das Gefühl, etwas tun zu müssen.“ Battison war bereits in Afghanistan, dies ist sein erster Einsatz in Europa. Er wird hier nicht kämpfen müssen, sich frei bewegen können, zum Einkaufen in die nächste Stadt fahren. Er hatte nach der Ankunft nicht mal Jetlag. Seine Kameraden auf der Aussichtsplattform halten sich die Bildschirme ihrer Smartphones hin, tauschen Schnappschüsse vom Manöver aus. Dann drehen sich alle um, von Süden nähern sich zwei tieffliegende Apache-Kampfhubschrauber. Einer der Soldaten sagt: „Da kommt die Freiheit.“

Die Apaches haben ihr Ziel schnell erreicht, bleiben in der Luft stehen, feuern Raketen und Kugelsalven. Sie lassen an diesem Tag keinen Holzgegner übrig.

Warum dieser gigantische logistische Aufwand?

Captain Terry Battison, 35, ist in Ohio aufgewachsen.
Captain Terry Battison, 35, ist in Ohio aufgewachsen.

© US-Nato

Erst im September führte Russland seinerseits ein eigenes Großmanöver durch, gemeinsam mit dem Verbündeten Weißrussland. „Sapad“ hieß es. Westen. Offiziell waren nur 12 700 Soldaten beteiligt, die Nato vermutet ein Vielfaches. Die starke Untertreibung könnte einen praktischen Grund haben: Bei Manövern mit 13 000 Soldaten oder mehr müssen ausländische Beobachter zugelassen werden.

Die Dolch-Brigade wiederum ist eigentlich eine Wachablösung. Sie ersetzt die „Eiserne Brigade“, die bereits im Januar nach Polen geschickt wurde. So soll es, falls die Rotation gelingt, ab jetzt alle neun Monate laufen. Jede Truppe bringt ihre eigene Ausrüstung mit, eigene Fahrzeuge, errichtet eigene Infrastruktur. Warum dieser gigantische logistische Aufwand?

Terry Battison sagt, es gehe um „Readiness“. Die Bereitschaft, im Ernstfall schnell einzugreifen und loszuschlagen. Die Fähigkeit einer Brigade, ihr gesamtes Material innerhalb von 50 Tagen aus der Heimatkaserne in Kansas per Zug ins texanische Beaumont, von dort mit dem Schiff über den Atlantik, von Gdansk in Polen und Bremerhaven weiter in die polnische Provinz zu transportieren und dort binnen Stunden feuerbereit zu machen, so dass höchstens noch einheimische Pilzesammler sie stoppen können. „Die Readiness“, sagt Battison, „haben wir eindrucksvoll demonstriert.“

Zuerst wird gestrichen

Letzte Auslandsstation der Brigade war Kuwait. Deshalb sind die Panzer, die jetzt am Rand von Camp Karliki im Matsch stehen, noch sandfarben. Ideale Wüsten-Camouflage, für Landschaften Osteuropas jedoch ungeeignet. In den nächsten Tagen werden Farbeimer und Rollpinsel an die Soldaten ausgeteilt. Es sei nicht viel anders, als eine Wohnung zu streichen, sagt einer. Bloß dass man sich weniger Mühe geben müsse. Gleichzeitig werden die Panzer der jetzt abgelösten „Eisernen Brigade“ nach Bremerhaven gebracht. Bevor sie zurück in die USA können, werden sie gründlich gereinigt, damit die Armee keine Insekten oder Kräuter einschleppt, die in Amerika heimische Arten verdrängen.

In der Brigade, die jetzt abzieht, dient ein Soldat mit polnischen Wurzeln: Bartek Czarnik wurde in New York geboren, seine Eltern sind Einwanderer. Er sagt, einige Kameraden hätten vor Missionsbeginn ein verzerrtes Bild von osteuropäischen Staaten gehabt, insbesondere wegen Filmen wie „Borat“. Zum Glück hätten sie schnell gemerkt, dass Osteuropa nicht so hinterwäldlerisch und unterentwickelt ist, wie es der Film suggeriere. Er sagt auch, er könne den Wunsch der Polen nach starker US-Präsenz gut nachvollziehen.

Freier Zugang zu den Soldaten

Wer als Journalist eingeladen wird, die Camps rund um Zagan zu besuchen, erhält erstaunlich freien Zugang zu den Soldaten. Man erfährt, dass Panzerfahren in Polen angenehmer ist als in Kuwait, weil die Abrams zwar über Heizungen, nicht aber über Klimaanlagen verfügen. Dass sich die Soldaten über die deutschen Leopard-Panzer wundern, weil diese noch mit Diesel betrieben werden. Dass die Armee für viele die Chance zum sozialen Aufstieg ist, denn wer sich für drei Jahre verpflichtet, startet mit mindestens 2000 Dollar netto im Monat und hat gute Chancen auf ein College-Stipendium.

Man erfährt auch, dass manche Einheiten bereits zum Bemalen von Keramiktassen eingeladen wurden, eine Spezialität der Region, und dass dies am Ende tatsächlich Spaß gemacht habe. Bloß eines vermeiden die Soldaten penibel: auszusprechen, wer genau hier eigentlich abgeschreckt werden soll. Auf einer Pressekonferenz umgehen es der Kommandeur der abziehenden Brigade und sein polnisches Pendant 25 Minuten lang gewissenhaft, die Wörter „Russland“ oder „Putin“ in den Mund zu nehmen. Stattdessen immer nur: „potentielle Feinde“.

In Boleslawiec, einer 40 000-Einwohner-Stadt nahe Zagan, wurden die Soldaten im Februar mit einer Feier begrüßt. In der Fußgängerzone standen Raketenwerfer, Konfetti-Kanonen schossen in die Luft, dazu ertönte die Musik aus „Rocky“ - und oben auf der Bühne behauptete der Brigade-Kommandeur ernsthaft, er blicke hier, auf dem Marktplatz von Boleslawiec, auf die großartigsten Menschen der ganzen Welt.

Das überrascht in diesen Tagen im Westen Polens am meisten: wie ein Konflikt zwischen der mächtigsten und der zweitmächtigsten Streitmacht der Welt gleichzeitig zum Fest der Völkerfreundschaft und Verständigung geraten kann.

Es soll keinen diplomatischen Eklat geben

Auf der "Presidential Range" bei Swietoszow üben Teile der Brigade einen Angriff mit Panzern.
Auf der "Presidential Range" bei Swietoszow üben Teile der Brigade einen Angriff mit Panzern.

© Sebastian Leber

Montagnachmittag im Rathaus von Zagan. Bürgermeister Slawomir Kowal lädt zu einer Pressekonferenz, um den positiven Einfluss der Soldaten auf seine Stadt zu loben. Wegen der Gäste aus Übersee hätten neue Restaurants eröffnet, sagt er. Einige Soldaten der jetzt abreisenden Brigade hätten an Schulen beim Englischlernen geholfen. Andere hätten auf dem Marktplatz kleine Geschenke an Kinder verteilt. Slawomir Kowal lässt keinen Zweifel daran, dass die US-Truppen das Beste sind, was seiner Gemeinde passieren konnte.

Wer durch die Innenstadt von Zagan spaziert und Einheimische fragt, wie sich die US-Soldaten bisher benommen haben, bekommt eine einhellige Antwort: Extrem höflich sind sie. Angenehm, unauffällig und zuvorkommend. Nie laut oder sonst wie störend. Einziges Manko: Die US-Soldaten gelten als schlechte Autofahrer. Tatsächlich gab es schon mehrere Unfälle. Manche sagen, die Amerikaner seien die miserablen Zustände hiesiger Straßen nicht gewöhnt. Andere sagen, die Amerikaner könnten es einfach nicht. Diese Woche erst hat die Lokalzeitung wieder das Foto eines umgekippten Truppentransporters auf der Titelseite. Als Unfallursache wird „exzessive Geschwindigkeitüberschreitung“ vermutet.

Mit dem Komplettaustausch der Brigade nach neun Monaten soll auch ein diplomatischer Eklat vermieden werden. Bevor die Nato 1997 erstmals Beitrittsverhandlungen mit Staaten des einstigen Warschauer Pakts aufnahm, verständigte sie sich mit Russland auf Absichtserklärungen, um gegenseitiges Vertrauen zu schaffen. Die Nato versprach etwa, sie werde eher keine „zusätzlichen substanziellen Kampftruppen dauerhaft stationieren“. Da die nun hergebrachten 3300 Mann nach einem Dreivierteljahr ausgetauscht werden, sei die Stationierung ja nicht dauerhaft, argumentiert die US-Seite.

Russland hält das für Wortklauberei. Wladimir Putin ließ bereits im Januar verkünden, man betrachte die Operation als Bedrohung der eigenen Sicherheit und Interessen. Polen dagegen wünscht sich seit Langem eine permanente Stationierung von US-Truppen. Auf die Abmachungen von 1997 solle Amerika keine Rücksicht nehmen. Nach der Annexion der Krim würden diese sowieso nicht mehr gelten.

"Fast wie in Oregon"

Am Rand der Fußgängerzone von Zagan stehen sechs junge US-Soldaten in Zivil vorm Geldautomaten und ziehen sich ihre ersten Zlotys. Jeder erst mal 200, das sind 55 Dollar. Einer sagt, die Gegend erinnere ihn an Oregon. So viele Bäume überall. Die nächsten neun Monate möchte er nutzen, um möglichst viel polnische Kultur und Geschichte kennenzulernen. Ein anderer sagt, er möchte lieber eine polnische Freundin. Dann werden sie hektisch und drücken ihre Zigaretten aus. Da hinten nähert sich eine Frau mit Kinderwagen. Das Baby soll keinen Rauch abkriegen, sagen sie.

Die Idee der Brigaden-Entsendung ist noch unter Barack Obama ausgearbeitet worden. Nach dem Wahlsieg von Donald Trump hatten osteuropäische Nato-Partner Sorge, die USA könnten die Operation abblasen. Schließlich hatte Trump die Nato immer wieder als veraltet und zu kostspielig bezeichnet, mehrfach als „obsolet“. Diese Zweifel sind verflogen. Im Mai erklärte er, dass er die „European Reassurance Initiative“, die auch die Brigade-Verlegung beinhaltet, ausbauen will. Kommendes Jahr möchte Trump 4,8 Milliarden Dollar dafür bereitstellen, das entspricht einem Zuschlag von 1,4 Milliarden gegenüber 2017.

Bürokratische Hürden stören

Einigkeit herrscht deswegen aber noch lange nicht unter den Nato-Partnern. Die US-Seite wünscht sich mehr Bewegungsfreiheit und weniger bürokratische Hürden, um Ausrüstung von einem Land ins nächste zu transportieren. In Zagan heißt es, ein „militärischer Schengenraum“ sei sinnvoll.

Die Realität sieht derzeit anders aus. Schon bei einfachen Hubschrauberflügen müssen oft Zwischenstopps zur Zollabfertigung eingelegt werden. In Rumänien wurde der Angestellte des Provinzbahnhofs in Pielesti berühmt. Er hinderte einen US-Konvoi mit militärischem Gerät stundenlang an der Weiterreise, weil ihm ein Formular fehlte. Das gab Ärger vom Vorgesetzten, doch der Mann blieb sich treu. Auf der Rückfahrt hielt er den Konvoi erneut auf.

Korrektur: In einer früheren Version des Artikels wurde Captain Terry Battison fälschlicherweise der Rang eines Sergeants zugeschrieben.

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