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Schmerzstillende Medikamente am Patientenbett auf einer Palliativstation in einem deutschen Krankenhaus.

© epd-bild / Werner Krüper

Urteil zur Sterbehilfe: Weg vom politischen Fundamentalismus

Sterbehilfe kann ein Grundrecht sein. Die Politik sollte klären, was das praktisch bedeutet - statt den Tabubruch zu beklagen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Von einer „Bundesopiumstelle“ werden die wenigsten Bürger bisher gehört haben. Die Stelle mit dem sinnigen Namen ist eine Abteilung des Bundesinstituts für Arzneimittel und regelt den legalen Verkehr mit Betäubungsmitteln, die als Arznei verschrieben werden können. Jetzt haben die Beamten eine neue Aufgabe. Ihre Arbeit soll Menschen nicht Schmerzen nehmen, sie soll ihnen den Tod bringen. Jemand, der ihn wünscht, hat sich schon gemeldet. Weitere werden folgen.

Möglich wird dies durch ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, zu dem Gesundheitsminister Gröhe (CDU) angekündigt hat, es nach Kräften missachten zu wollen. Den „Tabubruch staatlicher Selbsttötungshilfe“ möchte er verhindern, womit er seine Befugnisse überschätzt. Was Gröhe als Tabubruch sieht, ist rechtskräftig verordnet worden. Recht schlägt Politik. Ein Handstreich der dritten Staatsgewalt.

Es ist ein Ausdruck der Menschenwürde, wenn Menschen eine Sterbewürde einfordern dürfen

Er war überfällig. Es ist, bei allem Respekt vor anderen, namentlich religiösen Imperativen, ein Ausdruck der Menschenwürde, wenn Menschen eine Sterbewürde einfordern dürfen. Auf leidende, unheilbar Erkrankte bezogen: Sie haben ein Recht darauf, die vielfältigen Angebote abzulehnen, die ihnen eine sorgende und palliativmedizinisch hoch entwickelte Gesellschaft macht. Und sie haben, wenn sie den von ihnen bestimmten letzten Weg kaum noch gehen können, ein Recht darauf, dass er ihnen jedenfalls nicht versperrt wird.

Nichts anderes haben die Richter entschieden. Der Tabubruch, von dem Gröhe spricht, ist daher eine Frage von Standpunkt und Perspektive. Hilft der Staat jenen, die sich töten wollen? Oder verzichtet er nur darauf, ihren Suizid mit allen Mitteln zu verhindern?

Die Politik sollte Kriterien und Prozesse entwickeln, wie Sterbehilfe gewährt werden kann, statt den Tabubruch zu beklagen

Betäubungsmittel fallen in Deutschland aus guten Gründen unter ein strenges Kontrollregime. Weil darin aber auch eine Freiheitsbeschränkung liegt, trifft den Staat eine Verantwortung, in begründeten Einzelfällen Ausnahmen von seinen Verboten zu machen. Für ein Mittel zur schmerzlosen Selbsttötung bei unerträglichem Leiden fehlte eine solche Ausnahme. Der Staat soll die tödliche Mischung nicht reichen. Er soll nur ihren legalen Erwerb nicht mehr länger vollkommen unmöglich machen.

Es wäre daher zu begrüßen, wenn sich die politische Tabu- und Dammbruchdebatte allmählich von ihrem Fundamentalismus verabschieden könnte und sich den Gestaltungsfragen zuwendet. Sind die nötig werdenden Entscheidungen allein bei der staatlichen „Opiumstelle“ in guten Händen? Oder sind nicht auch die Ärzte-Organisationen gefordert, ihre rigiden Standesregeln etwas zu öffnen? Unheilbar Erkrankte haben mit dem Urteil aus Leipzig einen justiziablen Anspruch erhalten. Wer abgewiesen wird, kann klagen. Müssten nicht taugliche Kriterien gefunden werden, statt abzuwarten, welche Maßstäbe sich Richter für ihre Einzelfälle zusammensuchen?

Es geht um Extremsituationen. An ihrem neuen Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe muss die Politik nicht rütteln. Den „Tod auf Rezept“ kann, jedoch muss es ihn nicht geben. Es werden viele Gelegenheiten bleiben, für den Wert des Lebens und seinen Schutz einzutreten. Es gibt keinen Bruch. Aber es hat sich etwas verändert.

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