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Einer der türkischen Soldaten, die an dem Putsch beteiligt waren, wird vor dem Gericht in Mugla von zwei Sicherheitskräften abgeführt.

© Reuters

Urteil gegen Putschisten in der Türkei: Mehrfach lebenslang für 34 Soldaten

Ein türkisches Gericht verurteilt 34 Soldaten zu mehrfach lebenslänglich. Sie wollten Staatschef Recep Tayyip Erdogan in seinem Hotel festnehmen. Doch viele Fragen bleiben.

Es war eine der spektakulärsten Aktionen der türkischen Putschisten beim gescheiterten Aufstand gegen Präsident Recep Tayyip Erdogan im vergangenen Jahr: In der Nacht vom 15. auf den 16. Juli 2016 flog eine Gruppe von Soldaten mit Hubschraubern in den Ferienort Marmaris an der Südwestküste der Türkei und seilte sich zu Erdogans Urlaubshotel ab, um den Staatschef festzunehmen. Bei der Ankunft der Soldaten war Erdogan bereits geflohen – wenig später brach der Aufstand in sich zusammen. Jetzt verkündete ein türkisches Gericht sein Urteil im Prozess gegen die an dem Sturm auf das Hotel beteiligten Soldaten. Doch viele Fragen bleiben offen.

Insgesamt waren in Mugla bei Marmaris 47 mutmaßliche Putschisten angeklagt. Zuschauer vor dem als Gerichtsgebäude genutzten Sitz der Handelskammer von Mugla forderten vor der Urteilsverkündung am Mittwoch die Todesstrafe für die Beschuldigten; einige hatten Henkerstricke bei sich, andere trugen türkische Fahnen in ihren Händen. Seit dem Beginn des Verfahrens im Februar gegen die Mitglieder des „Mordkommandos“, wie die Soldaten in der Presse genannt werden, haben Aussagen in dem Prozess neue Zweifel an der offiziellen Version der Ereignisse aufkommen lassen. Ausgeräumt wurden diese mit dem jüngsten Urteil nicht.

Das Gericht verurteilte 34 Angeklagte wegen der Verwicklung in den Sturm auf das Hotel Grand Yazici Club Turban zu mehrfachen lebenslänglichen Haftstrafen. Bei einer Schießerei zwischen den Angreifern und einer Nachhut von Erdogans Sicherheitsleuten waren zwei Polizisten getötet worden. Unter den Verurteilten sind der frühere Brigadegeneral Gökhan Sönmezates, Erdogans ehemaliger Adjudant Ali Yazici und Ex-Oberst Nuri Seymen. Mehrere Angeklagte wiesen den Vorwurf einer Mitgliedschaft in der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen zurück, der von Erdogan als Hauptverantwortlicher für den Putsch bezeichnet wird. Der Staatschef Erdogan nahm an dem Prozess als Nebenkläger teil.

Die Putschisten wollen nichts mit Gülen zu tun gehabt haben

Für Aufsehen in dem Verfahren sorgten vor allem Sönmezates und Seymen. Sie bekannten sich vor Gericht zu ihrer Teilnahme an dem Umsturzversuch – doch sie wollen nichts mit Gülen zu tun gehabt haben. Seymen bezeichnete sich als Anhänger des säkularistischen Staatsgründers Mustafa Kemal Atatürk, den ideologische Welten von Gülen trennen.

Sönmezates betonte vor dem Gericht, bei dem Angriff auf das Hotel habe Erdogan nicht getötet werden sollen. Vielmehr habe er den Befehl gehabt, den Präsidenten auf die Luftwaffenbasis Akinci bei Ankara zu bringen, die als Befehlszentrale der Putschisten diente.

Die Aussagen der beiden ehemaligen Offiziere nähren bei Kritikern der türkischen Regierung die Vermutung, dass der Putschversuch keine zentral von Gülen aus dem Ausland gesteuerte Aktion war, wie Ankara sagt, sondern ein Aufstand von Erdogan-Gegnern aus verschiedenen politischen Lagern. Darunter könnten unzufriedene Atatürk-Anhänger wie Seymen gewesen sein oder auch Offiziere, die ihre bevorstehende Entlassung befürchteten.

Eine differenziertere Betrachtung der Motive der mutmaßlichen Putschisten könnte ein Hauptargument der türkischen Regierung beim Vorgehen gegen Andersdenkende seit dem Umsturzprozess ins Wanken bringen: Unter dem Vorwurf der Sympathie für Gülen sind seit Juli vergangenen Jahres mehr als 150 000 Beschäftigte des öffentlichen Dienstes, der Justiz und der Armee entlassen worden; mehr als 50 000 Menschen sitzen im Gefängnis, darunter mehr als 160 türkische Journalisten.

Der Prozess in Mugla war eines von mehreren Verfahren gegen mutmaßliche Putschisten, von denen einige bereits zu langen Haftstrafen verurteilt worden sind.Susanne Güsten

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