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Urteil verkündet: Verfassungsrichter Andreas Vosskuhle

© Reuters/Uli Deck/Pool

Urteil des Bundesverfassungsgerichts: "NPD kann verfassungsfeindliche Ziele nicht durchsetzen"

Deutschlands oberste Richter bescheinigen der NPD ein rassistisches Weltbild. Doch der Antrag auf ein NPD-Verbot scheitert an deren Bedeutungslosigkeit. Die Parteichefs machen aus ihrer Freude keinen Hehl.

Von Frank Jansen

Sie verzichten auf lauten Jubel, doch einige Provokationen müssen sein. Der frühere NPD-Generalsekretär Peter Marx zeigt im Saal des Bundesverfassungsgerichts schon vor dem Urteil minutenlang mit erhobener rechter Hand das Victory-Zeichen. Und Udo Voigt, Ex-Chef der NPD und seit 2014 Mitglied des Europaparlaments, trägt am Dienstag im Bundesverfassungsgericht demonstrativ das „goldene Parteiabzeichen“, das ihm am 18. März 2003 an selber Stelle Marx ans Revers geheftet hatte.

Damals scheiterte der erste Antrag auf ein Verbot der Partei, der zweite ist jetzt auch nicht durchgekommen. „Es ist mir ein innerer Vorbeimarsch, in die Gesichter der Innenminister zu sehen“, giftet Voigt nach dem Urteil. Es stört ihn auch nicht, dass die Richter in Karlsruhe sich die NPD diesmal inhaltlich vornahmen und zu einer harten Bewertung gekommen sind. Seine Partei ist wieder einmal gerettet.

„Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus“

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts bescheinigt der NPD in der mehr als zweistündigen Urteilsbegründung ein demokratiefeindliches, rassistisches Weltbild und eine „Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus“. Es seien „deutliche Parallelen“ zu erkennen, sagt Richter Peter Müller und zählt auf: „Das Konzept der Volksgemeinschaft, die antisemitische Grundhaltung und die Verächtlichmachung der bestehenden demokratischen Ordnung“.

Außerdem sei bei führenden Vertretern der NPD das Bestreben „feststellbar, den Nationalsozialismus zu verklären und seine Verbrechen zu relativieren“. Voigt kommentiert das Verdikt hinterher auf seine Art: „Ich habe immer gesagt, Nationalsozialisten gehören zur NPD genauso wie Nationalliberale und Nationalkonservative.“

Der frühere NPD-Generalsekretär Peter Marx (l.) und NPD-Chef Frank Franz (r.) mit ihrem Anwalt Peter Richter.
Der frühere NPD-Generalsekretär Peter Marx (l.) und NPD-Chef Frank Franz (r.) mit ihrem Anwalt Peter Richter.

© Reuters/Kai Pfaffenbach/Pool

Trotz ihrer Dreistigkeit hat die Partei nun auch das zweite Verbotsverfahren überstanden, weil sie nach vielen Wahlniederlagen zur politisch weitgehend unbedeutenden Restgröße geschrumpft ist – und die Richter ausgerechnet einige der härtesten Vorwürfe aus dem Verbotsantrag des Bundesrates zurückweisen. Es gebe keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass bei der NPD „eine Grundtendenz besteht, ihre verfassungsfeindlichen Ziele durch Gewalt oder die Begehung von Straftaten durchzusetzen“, trägt Müller vor. Der Partei könnten die 1031 Übergriffe auf Asylunterkünfte im Jahr 2015 nicht zugerechnet werden. Es genüge nicht, dass die NPD „durch ihre menschenverachtende Agitation an der Schaffung eines ausländerfeindlichen Klimas beteiligt ist“.

Brandanschläge nicht berücksichtigt

So sind für das Bundesverfassungsgericht weder die rassistischen Krawalle im sächsischen Heidenau im Anschluss an eine NPD-Demonstration noch die vielen Angriffe auf Büros demokratischer Parteien in Mecklenburg-Vorpommern der Partei zuzurechnen. Auch der Brandanschlag auf eine Turnhalle im brandenburgischen Nauen, in die Flüchtlinge einziehen sollten, darf aus Sicht der Richter bei der Frage nach einem Verbot der NPD nicht berücksichtigt werden, „da die Verursacher bislang nicht ermittelt werden konnten“. Dass der mutmaßliche Anführer der Brandstifter, der Nauener NPD-Stadtverordnete Maik Schneider, sich derzeit vor dem Potsdamer Landgericht verantworten muss und von Mitangeklagten schwer belastet wurde, erwähnt das Bundesverfassungsgericht nicht. Offenkundig ist die für Schneider bis zu einer Verurteilung geltende Unschuldsvermutung auch für die NPD im Verbotsverfahren wirksam.

Die Argumentation der Richter stößt denn auch auf Kritik bei einigen Politikern, die nach Karlsruhe gekommen sind. Bei der Beurteilung rassistischer Gewalt verkenne das Gericht die „Wechselwirkung zwischen den von der NPD bereitgestellten organisatorischen Strukturen und der Radikalisierung junger Täter“, sagt die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner. Den Innenminister von Nordrhein-Westfalen, Ralf Jäger (SPD), stört hingegen mehr, dass vor allem die Schwäche der NPD die Richter veranlasst hat, auf ein Verbot zu verzichten.

Andere kleine rechte Parteien zu unbedeutend für Verbotsantrag

„Ich finde es irritierend, dass wir in Zeiten gravierender politischer Veränderungen erst warten müssen, bis eine extremistische Partei eine bestimmte Größe erreicht hat“, moniert der Minister. Sein Ärger hat einen konkreten Grund. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist ein Rückschlag für Jägers Vorhaben, einen Verbotsantrag gegen die in Nordrhein-Westfalen besonders aggressiv auftretende Neonazi-Partei „Die Rechte“ zu erreichen.

Wenn schon die NPD mit ihren ungefähr 5000 Mitgliedern nicht aufgelöst werden kann, dürfte „Die Rechte“ mit bundesweit nur einigen hundert Anhängern nahezu unverbietbar sein. Was den Chef der Minipartei wahrscheinlich ärgert. Im Dezember 2015 schrieb Christian Worch in einem Brief an den Tagesspiegel, die Vorstellung, die NPD würde verboten „und anschließend meine Partei ins Visier nachrückt“, habe „einen sehr starken Reiz“.

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