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Syrische Flüchtlinge kommen im Grenzdurchgangslager Friedland in Niedersachsen.

© Swen Pförtner/dpa

Union und SPD: Kompromiss zum Familiennachzug ist das Ende von Politik

Mit ihrer Entscheidung gegen den Familiennachzug stärken Union und SPD die Rechten, statt sie zu bekämpfen. Die Einigung ist Wahlhilfe für die AfD. Eine Kolumne.

Eine Kolumne von Andrea Dernbach

Endlich Wochenende. Es geht keine gute Woche zu Ende. Für jene neue Regierung, die es schon seit gut vier Monaten nicht gibt, lässt sie wenig Gutes erwarten. Nicht allein der dürftigen Ergebnisse wegen, die die sogenannten Kompromisse und Verhandlungen zwischen SPD und Union brachten. Es lohnt sich auch, das Verfahren anzuschauen und zu merken: In dieser Woche hat Politik selbst abgedankt.

Das unendliche Zerren um das Recht Geflüchteter auf Familie bietet ein anschauliches Beispiel. Die kraftvollen Ankündigungen, was mit der SPD alles nicht zu machen sei, schrumpften bereits vor einer Woche im Bundestag auf eine sehr blassrote Linie zusammen: Verlängerung des Nachzugsstopps nur, wenn ab Mitte März – da läuft der bisherige Stopp aus – mindestens wieder Anträge auf Familienzusammenführung gestellt werden könnten und bearbeitet würden. Und dann natürlich eine bessere Härtefallregelung, denn die hat im vergangenen Jahr nicht einmal hundert Menschen geholfen, ihre Familien wiederzusehen.

Dass das nichts werden dürfte, machte die Union am Donnerstag gleich mehrfach klar, und so steht es auch im Gesetzentwurf. Aber auch die angeblich herausverhandelten tausend Familienmitglieder pro Monat, die die SPD sich als Erfolg zurechnet, sind nicht sicher, Schulz’ Formel 1000 plus X hat gleich zwei Unbekannte. Im Sondierungspapier hieß es noch, „… ermöglichen wir 1000 Menschen pro Monat den Nachzug nach Deutschland“. Im Gesetzentwurf steht nun, diesen tausend pro Monat „kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden“. Will sagen: kann auch nicht. Selbst eine Null wäre drin, wirklich sicher ist nur die Obergrenze tausend. Die Eigenwerbung der Union, man habe sich auf ganzer Linie durchgesetzt, ist insofern sehr nah an der Wahrheit. Das lässt sich schwarz auf weiß nachlesen.

Die SPD macht sich zu klein in den Verhandlungen

Fragt sich, warum Menschen, deren Beruf seit vielen Jahren Politik ist, keine gemacht haben. Dass mehr nicht rauszuholen war, wie der eignen Klientel immer wieder eingehämmert wird, ist eine lahme Floskel. Klar ist die SPD schwach und wird mit jeder Sonntagsfrage schwächer. Aber seit die Jamaika-Option zerfiel, haben CDU und CSU keine Partnerwahl mehr. Und eine Neuwahl wäre auch für sie riskant. In dieser Lage ist selbst eine Kleinpartei in einer starken Position; die FDP hat in alten Zeiten ordentlich Gebrauch von der Möglichkeit gemacht, als Schwanz mit dem Hund zu wedeln. Nicht so die SPD – warum?

Vielleicht weil ihr die Flüchtlinge denn doch so sehr nicht am Herzen liegen? Verständlich irgendwie, denn mit dem Thema ist bekanntermaßen wenig zu gewinnen. Und dennoch ein schwerer Fehler politischen Marketings. Die ihr zur AfD abwandern, verschreckt die schrumpfende Sozialdemokratie mit Menschenrechtsrhetorik, und die, die anders denken, damit, dass diese Bekenntnisse ganz folgenlos bleiben.

Vielleicht ist die Partei aber auch einfach schon im postdemokratischen Zeitalter angekommen. Egal wie wenig hinten rauskommt, wir können es ja einfach nett verpacken. Ausprobiert schon mit der Grundrente, die sich die SPD als Erfolg ans Revers heftet – und die doch nichts weiter ist als eine Altschuld aus dem letzten Koalitionsvertrag – und dem Versprechen, das Rentenniveau werde bis 2025 nicht sinken. Kein Zugeständnis, sondern etwas, was nach Lage der Dinge auch ohne Koalitionsvertrag der Fall sein wird. So erzeugt man Politikverachtung. Tricks fallen irgendwann auf und erzeugen Wut bei denen, die sich verschaukelt sehen.

Die Union schürt irrationale Ängste gegen Flüchtlinge

Die Union steht nach dieser Woche nur scheinbar besser da. Gesiegt hat sie bestenfalls gegen eine verzagte SPD. Vergeben hat sie die Chance, über den Familiennachzug – unsäglicherweise zur deutschen Schicksalsfrage aufgeblasen – wieder Nüchternheit in die Debatte zu bringen, der rechten Konkurrenz entgegenzutreten und sich eigene Spielräume zu moderner – auch konservativer – Gesellschaftspolitik zu öffnen. Stattdessen schürt sie die irrationale Angst vor 50- bis 60.000 Ehefrauen und Kindern noch. Im wirtschaftlich stärksten Land Europas.

Das ist Wahlhilfe für die AfD. Die uns mitregieren wird, auch wenn das Ganze Groko heißt. Merkels „Wir schaffen das“ ist nach dieser Woche definitiv abgeräumt und ersetzt durch eine Ausländer-Hysterie, gegen die man auch von Christdemokratinnen und -demokraten Widerstand hätte erwarten können. Statt den Rechten entgegenzutreten, gibt man ihnen nach und setzt sich neuem Druck von ihnen aus. Die konservative Variante, aufs Politikmachen zu verzichten.

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