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olidarisch. Demonstration für die Budapester Europa-Uni.

© AFP

Ungarn: Orbans unzufriedene Kinder

Ungarns junge Generation gründet neue Bewegungen für Veränderungen. Doch viele haben angesichts der politischen Verhältnisse resigniert.

„In meiner Familie ist es schwierig, über Politik zu reden,“ sagt Anna Meszar. Sie ist 26 Jahre alt und kommt aus Jaszbereny, einem Städtchen mit knapp 30.000 Einwohnern in der nordungarischen Tiefebene. Seit dem Studium lebt die Angestellte einer Informatikfirma in Budapest.

Wenn sie in die Heimat reist, wird Politik als Gesprächsthema vermieden, besonders mit Verwandten, die den rechtskonservativen Ministerpräsidenten Viktor Orban und seine Partei Fidesz unterstützen. An diesem Montag erinnert Ungarn an den niedergeschlagenen Aufstand von 1956. 61 Jahre später ist „Politik eine Konfliktzone“, wie Meszar meint.

Seit sieben Jahren regiert die Koalition aus konservativer Fidesz und der christlichen KDNP, erst mit einer Zweidrittelmehrheit und nun knapp darunter. Während die junge Generation neue politische Bewegungen gründet, haben viele Ungarn angesichts der politischen Verhältnisse resigniert.

Viele Ungarn glauben nicht an Veränderung

Probleme wie die schlechte Gesundheitsversorgung und die niedrigen Löhne würden die Menschen zwar beschäftigen, sagt Meszar. Doch glaubten viele nicht an Veränderung. Dabei gibt es Grund zu Unmut.

Zum Beispiel über die niedrigen Löhne und Gehälter. Ein Ungar verdient umgerechnet weniger als 650 Euro im Monat. Im Gesundheitssektor liegen die Einkünfte mit 580 Euro noch niedriger. Ärzte und Pflegekräfte sind in den vergangenen Jahren in großer Zahl ausgewandert. Seit 2015 streiken die Pflegekräfte immer wieder gegen Unterbezahlung, Überstunden und fehlende Arbeitsmittel in Krankenhäusern.

Meszar gehört zu jenen, die hoffen, dass sich etwas ändern kann. Im April dieses Jahres lief sie mit, als 80.000 Menschen in Budapest gegen die Schließung der internationalen Central European University protestierten. Bei einer der Demonstrationen rief der populäre Aktivist und YouTuber Marton Gulyas dazu auf, das Wahlsystem zu reformieren, das Orban auf die Interessen seiner Partei zugeschnitten hat. Unter anderem wurde eine sogenannte Gewinnerquote eingeführt. Dabei werden die Stimmen der Zweit- und Drittplatzierten eines Wahlkreises dem siegreichen Kandidaten einfach zugeschlagen.

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban.
Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban.

© AFP

Meszar wurde Teil der „Bewegung für ein gemeinsames Land“, die auf überparteilichen Dialog setzt, um die Probleme im Land anzusprechen. „Viele Menschen sympathisieren mit unserem Bestreben nach einem gerechten Wahlsystem, glauben aber nicht, dass es was bringt, auf Demonstrationen zu gehen und sich einzumischen“, beschreibt die junge Frau ihre Erfahrung.

Kritik an Orbans Politik gibt es, aber sie kommt aus einer zersplitterten Opposition. Gegen diese Zersplitterung versucht die Bewegung für ein gemeinsames Land anzukämpfen. Ihre Mitstreiter haben die verschiedensten Parteien gewählt, selbst Orbans Fidesz.

Auf Initiative der Bewegung wurde ein Gegenvorschlag zum Wahlsystem ausgearbeitet, seit vergangener Woche liegt der Gesetzesvorschlag im Parlament vor. Er erinnert an das deutsche Wahlsystem. Ob er überhaupt debattiert wird, ist noch offen.

Eine Demo am Montag musste wegen einer Sturmwarnung abgesagt werden

Um den Druck auf die Parlamentarier zu erhöhen, wollte die Bewegung am Gedenktag vor dem Parlament demonstrieren, dort, wo am 23. Oktober 1989 die Ungarische Republik ausgerufen wurde. Es sollten verschiedene zivilgesellschaftliche Organisationen zu Wort kommen.

Die sind derzeit in Ungarn besonders unter Beschuss, da sie von der Regierung per Gesetz als ausländisch finanzierte Organisationen diffamiert werden. Wegen dieses NGO-Gesetzes hat die EU-Kommission im Oktober die zweite Stufe des Vertragsverletzungsverfahrens eingeleitet. Der Protest musste jedoch abgesagt werden, weil es eine Sturmwarnung für die Hauptstadt gibt.

„Veränderung und Gerechtigkeit 2018“ lautet der Leitspruch der Bewegung, die nicht nur eine Änderung des Wahlgesetzes will. Aber das hat Priorität: Die Ungarn sollen bei den nächsten Parlamentswahlen im April 2018 nach einem reformierten Wahlsystem abstimmen können.

Doch ein Problem bliebe auch dann – die geringe Beteiligung. Sie helfe besonders Fidesz, meint Meszar. 2014 lag sie bei 61 Prozent. Wenn die Leute nicht sehen, dass es sich lohnt, gehen sie auch nicht wählen. Die Nichtwähler zu überzeugen, sich politisch zu beteiligen, „ist noch ein riesiger Brocken“, sagt Meszar seufzend.

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