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"Und erlöse uns von allen Üblen" #42: Verleger Schwarzkoff lügt

Die Polizei sucht Spuren zum Freypen-Mörder. Verleger Schwarzkoff ist ein wichtiger Zeuge. Ein Fortsetzungsroman, Teil 42.

Was bisher geschah: Die Polizei ist sicher, dass der Mörder des Rechtsnationalen Freypen gesehen worden ist. Doch alle Zeugen lügen.

In 100 Teilen bis zur Bundestagswahl 2017 erscheint der Politkrimi "Und erlöse uns von allen Üblen" online als Fortsetzungsroman im Tagesspiegel. Hier Folge 42 vom 27. Juli.

Susanne Hornstein richtet sich auf in ihren Stuhl und ist dadurch auf gleicher Augenhöhe mit dem Verleger: "Wir können es auch ganz anders handhaben, wenn Ihnen das lieber ist, Herr Schwarzkoff. Ich lade Sie für morgen früh aufs Polizeipräsidium vor und wir unterhalten uns dort in aller Ruhe und nehmen ein Protokoll auf. Und bis das abgetippt ist, damit Sie Ihre Aussagen durchlesen und unterschreiben können, vergeht auch noch ein bisschen Zeit. " Ihr Stimme wird eine Spur kälter: "Sie sind ein wichtiger Zeuge in einem Mordfall. Von Ihrer Aussage hängt vieles ab. Und wenn ich es für nötig halte, denn nur ich entscheide das und ganz bestimmt nicht Sie, lade ich Sie immer wieder vor, bis ich mit dem Ergebnis zufrieden bin. Verstehen Sie mich jetzt besser?"

Jens-Peter Schwarzkoff läuft ganz kurz rot an, aber er weiß, wann er verloren hat. Das gehört bei aller Überheblichkeit zu seinen Stärken. Er schaltet um von Macho auf Softie, von drohend auf verbindlich: "Entschuldigen Sie, Frau Doktor Hornstein, ich bin noch ganz durcheinander. Joachim Freypen und ich kannten uns seit der Schulzeit, wie Sie sicher gelesen haben. Selbstverständlich stehe ich Ihnen zur Verfügung. Fragen Sie." Lächelt sie Vertrauen einflößend an, aber ein solches Lächeln kann er anknipsen und abschalten wie es ihm gefällt. Schwarzkoff, der aussieht wie ein reicher hanseatischer Golfspieler mit zu viel Geld und zu wenig Phantasie, ist auch deshalb zu einem mächtigen Verleger geworden, weil ihn seine Konkurrenten genauso eingeschätzt haben. Bis sie endlich merkten, dass er keinesfalls das von ihnen vermutete Weichei war, hatten sie schon verloren.

Susanne Hornstein sagt gar nichts. Sie wartet. Eigentlich hat sie Schwarzkoff und Andrea Hofwieser gemeinsam verhören wollen, um den beiden keine Chance zu geben, sich abzusprechen. Aber als sie bei der Reporterin angerufen hat, um einen Termin zu vereinbaren, hat sie nur deren Mailbox erreicht und um Rückruf gebeten. Sich im übrigen bedankt, dass sie in Online von der Rekonstruktion des Todesschusses nichts gelesen hat. Dass sich also Andrea Hofwieser an ihre Abmachung gehalten hat.

"Also, wie ich Ihnen schon erzählt habe, " unterbricht Schwarzkoff das Schweigen, "war ich auf diesem ziemlich langweiligen Empfang wegen des Wickert-Buches. Zusammen mit einer Mitarbeiterin von mir, mit Andrea Hofwieser, die Sie ja wohl schon kennen."

"Kennen Sie die näher?", fragt sie ihn und schaut ihn unschuldig aus blauen Kinderaugen an, als habe sie keine Hintergedanken dabei.

"Was erlauben Sie sich! Wollen Sie damit etwa sagen ...", plustert sich Schwarzkoff auf und nutzt die Chance, wieder in die Rolle des unschuldigen gesetzestreuen Bürgers schlüpfen zu können, der gerade mit seiner Ehefrau in der Kirche Gottes sonntäglichen Segen abgeholt hat. Lässt aber gleich die Luft wieder raus, weil er merkt, dass Susanne Hornstein von diesem Ausbruch unbeeindruckt ist: "Ich habe nur gefragt, ob Sie Andrea Hofwieser näher kennen. Ich verstehe Ihre Aufregung nicht ganz. Ist doch eine naheliegende Frage oder nehmen Sie immer Reporter in Ihrem Auto mit, wenn Sie zu einem Termin fahren?" Schwarzkoff verflucht innerlich seine unbeherrschte Reaktion, ist eher auf sich wütend als auf die Beamtin, deren professionelle Gelassenheit ihm sogar imponiert, bleibt nur mühsam nach außen verbindlich. Das entgeht Susanne Hornstein nicht.

"Ich wusste, dass sie auch dort eingeladen war, und habe ihr angeboten, sie mitzunehmen. Hat meinen Verlag Geld erspart, sonst hätte Andrea, äh, Frau Hofwieser ein Taxi nehmen müssen und das sicher abgerechnet. Ja, alles andere wissen Sie ja. Wir waren wohl so zwei Stunden da und als es öde wurde, hat mich Frau Hofwieser gebeten, sie nach Hause zu bringen."

"Was Sie gern gemacht haben, weil Sie wieder was gespart haben. Die Rückfahrt per Taxi, nicht wahr?"

Diesmal patzt Schwarzkoff nicht: "So kann man es sehen, sehr witzig, ja, so kann man es sehen. Ich habe sie vor ihrer Haustür abgesetzt und das war alles."

Er lügt, denkt Susanne Hornstein, er lügt. Das klingt alles zu glatt, zu normal. Wie einstudiert. Aber warum lügt er? Was will er verbergen? Eine Affäre? Lächerlich. Von Georg Krucht weiß sie, dass Schwarzkoffs Liebesabenteuer ein offenes Geheimnis sind in der Stadt. Mag sein, dass zwischen Andrea Hofwieser und ihrem Verleger mehr passierte als nur der gemeinsame Besuch auf einer Buchpremiere. Dass die sich keinesfalls an der Haustür getrennt, sondern noch intensiv miteinander beschäftigt haben. Allerdings nicht in Andreas Wohnung, denn da war um diese Uhrzeit wahrscheinlich noch der Mörder. Das wissen die Ermittler inzwischen. Aber wo dann? Vielleicht ha­ben die beiden den Abend im nahegelegenen Madison fortgesetzt, in dem seit gestern auch Susanne Hornstein und ihre Kollegen wohnen.

Da können sie allerdings nicht unmittelbar im Anschluss an die Party gewesen sein, denn dass zumindest die Reporterin später in ihrer Wohnung war und ganz bestimmt etwas anderes gemacht hatte als ausgerechnet Sex mit Herrn Schwarzkoff, beweisen ihre Fotos. Die Fotos von der Leiche Freypens. Schließlich kann man im Protokoll von Krucht lesen, um welche Uhrzeit die Leiche abtransportiert worden ist. Und vorher muss sie, logisch, vom Fenster ihres Appartements aus fotografiert haben. Hat er solange auf sie gewartet? Und wo? Macht auch keinen Sinn. Hat Andrea Hofwieser deshalb gestern für einen Moment gezögert, als sie ihr die Frage nach besonderen Ereignissen an diesem Samstagabend stellte? Geht sie zwar nichts an, ob Schwarzkoff und Andrea ein Verhältnis pflegen, weil beide mit dem Mord nichts zu tun haben dürften, zumindest ist nicht das geringste Motiv zu erkennen, aber sie will es doch wissen. Sie nimmt sich vor, im Hotel recherchieren zu lassen und ein weiterer Beamter soll Zeugen finden, die bestätigen können, dass beide erst nach 21.00 Uhr das Fest verlassen haben: "Haben Sie Frau Hofwieser noch an die Haustür begleitet oder an den Fahrstuhl?"

"Nein, ich habe ihr nur beim Aussteigen geholfen, und mich dann von ihr verabschiedet "

"Wie?"

"Was meinen Sie mit wie?"

"Ganz einfach, wie haben Sie sich verabschiedet. Per Handschlag. Per Umarmung, per Küsschen auf die Wange. Gar nicht."

"Ich glaube, Frau Hornstein, jetzt gehen Sie wirklich zu weit", nutzt Schwarzkoff kalt seine Chance, endlich auch einen Treffer anzubringen. Susanne Hornstein ist verärgert über die unnötige Blöße, die sie sich gegeben hat, lässt sich aber nichts anmerken. Fährt fort im Verhör, also ob es die Frage davor nie gegeben hätte.

"Und wie spät war es da?"

"Auf die Uhr habe ich nicht geschaut, aber ich schätze, so zehn Minuten nach neun, kann auch viertel nach gewesen sein." Er hebt beide Arme, bis die Manschetten seines Hemdes zurückrutschen: "Sie sehen, ich trage keine Uhr, das vertrage ich nicht auf meiner Haut. Mein Arzt sagt ..."

"Sie sind also direkt von der Party zu Frau Hofwiesers Wohnung gefahren?"

"Sagte ich schon. Können Sie auch leicht nachprüfen, ich habe mich beim Gastgeber bedankt, obwohl das magere Buffet eigentlich keinen Dank verdiente und mich von ein paar anderen Leuten verabschiedet. Die werden wissen, wie spät es war. Oder wollen Sie etwa andeuten, dass Frau Hofwieser und ich uns die Geschichte ausgedacht und in Wirklichkeit gemeinsam in Ruhe von ihrem Fenster aus Freypen erschossen haben. Sie sind ja ..."

"Ist Ihnen etwas aufgefallen?", unterbricht ihn Susanne Hornstein eine Spur zu grob, aber es ist ihr wirklich wurscht, was Schwarzkoffs Arzt sagt oder was es an der Alster bei dem Fest zu essen gab oder gar, was er von ihr hält. Zwingt sich zur Höflichkeit: "Denken Sie bitte noch einmal in Ruhe nach. Stand irgendwo ein Mann, in der Haustür zum Beispiel oder an der nächsten Ecke? Fuhr gerade ein Auto weg oder ein Radfahrer? Muss kein Mann gewesen sein, kann auch eine Frau gewesen sein. Fiel Ihnen jemand auf? Lassen Sie sich Zeit."

Schwarzkoff schüttelt in gespielter Verzweiflung den Kopf. Er muss sich keine Zeit lassen. Und ob mir etwas aufgefallen ist, denkt er dabei und fährt sich mit der Hand unwillkürlich hinter sein Ohr, und ob. Aber das werde ich dir ganz bestimmt nicht erzählen: "Nein, nichts, ich habe immer wieder darüber nachgedacht, seit wir gestern telefoniert haben, aber mir ist nichts Ungewöhnliches eingefallen, rein gar nichts."

"Und danach sind Sie gleich nach Hause gefahren?"

Bevor Schwarzkoff darauf antworten kann, klingelt Susanne Hornsteins Handy. Sie hebt entschuldigend eine Hand und drückt auf den Knopf. "Ach, Sie sind es. Ja, ich hatte angerufen. Wo sind Sie? Passt ja ideal. Können Sie gleich rauf kommen? Danke." Wendet sich wieder dem Verleger zu: "Das war Andrea Hofwieser. Sie ist zufällig in ihrem Büro ein Stockwerk tiefer, im sechsten. Sie kommt gleich hierher. Stört Sie ja sicher nicht oder?"

Weil sie darüber nachdenkt, warum Schwarzkoff unter seiner braunen Gesichtsfarbe ein wenig bleich geworden ist, als sie ihm Andrea Hofwiesers Kommen ankündigt, vergisst sie, dass er ihre letzte Frage nicht beantwortet hat. Wo er denn hingefahren ist, nachdem er Andrea nach Hause gebracht hatte. Ein Fehler, aber das wird Susanne Hornstein erst merken, als es fast schon zu spät ist.

Und morgen lesen Sie: Reporterin Hofwieser verschweigt etwas.

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