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"Und erlöse uns von allen Üblen" #38: Der Geheimbund bekommt einen Decknamen

Vier junge Polizisten beschließen, im Dienste der Gerechtigkeit Gott zu spielen. Sie machen Pläne. Ein Fortsetzungsroman, Teil 38.

Was bisher geschah: Bei einem EUROPOL-Seminar schmieden vier Polizisten einen Geheimbund. Sie wollen das Böse bekämpfen - mit ihren Mitteln.

In 100 Teilen bis zur Bundestagswahl 2017 erscheint der Politkrimi "Und erlöse uns von allen Üblen" online als Fortsetzungsroman im Tagesspiegel. Hier Folge 38 vom 23. Juli.

Spät nachts dann mit dem Blick auf die dunklen Höhen der Vogesen, hatte Alain Retin noch einmal in der Bar des Hotels das Thema aufgegriffen, das sie alle beschäftigte. In dieser Nacht hatten sie erneut und gar nicht abstrakt diskutiert, wie es denn wäre, in gewissen Fällen nicht auf irgendein Urteil zu warten, sondern selbst Gott zu spielen. Also immer dann, wenn der Gute da oben gerade mal wieder verhindert war, die Bösen zu strafen. Sie waren zwar nicht mehr ganz nüchtern, als sie dies für eine letztlich doch ziemlich gute Idee hielten.

"Aber wir haben noch mehr als zehn Wochen Zeit, bevor es in Den Haag mit unserer normalen Arbeit losgeht. Also müssen wir bis dahin nichts unternehmen. Nur nachdenken. Jeder für sich. Und dann eine Entscheidung treffen, die erste."

Jeder wusste, worüber sie nachdenken sollten, über Kandidaten natürlich, Todeskandidaten, aber keiner sprach es aus. Wahrscheinlich hatten sie im Hinterkopf noch die vage Hoffnung, dass ihnen Alain morgen beim Frühstück erklären würde, alles sei eine Art Test gewesen oder eines jener Spiele, die er so gerne erfand, ein Rätsel vielleicht, das er sich ausgedacht hatte.

Der Franzose hatte mehr getrunken als sonst , mit dem Sprechen ging es nicht mehr so schnell. "Ich denke", ergänzte er langsam, "Kleopatra ist ein guter Name. Meint ihr nicht auch?" Zartmann und McFerrer schauten hilfesuchend Ruud van Rey an, aber der zuckte auch nur mit den Schultern.

"Kleopatra?", fragte schließlich Lionel und beugte sich vor zu Retin, "Kleopatra?" Der lächelte und wirkte dadurch fast wie der kleine Junge, der er einmal war und den er nie vergessen hatte: "Kleopatra, genau, die schönste Frau der Welt und die klügste Frau der Welt. Kleopatra. Auch genannt die Listenreiche. Die Geheimnisvolle. Die letzte Pharaonin. Die hat alle römischen Wachen getäuscht und sich in einen Teppich eingerollt zu Caesar bringen lassen. Die hat als erste Frau das Machtspiel der Männer mit eigenen Intrigen durchkreuzt. Die hat sich sogar listenreich dem geplanten Mord an ihr entzogen, weil sie sich durch einen Schlangenbiss selbst ermordet hat. Der war einfach keiner gewachsen, keine Frau und kein Mann und kein Weltreich und keiner der Götter. Kleopatra ist der Deckname für uns, für unser, für unser ..."

".. unser Vorhaben", schlug van Rey vor, der auch keine Ahnung hatte, was das mit Kleopatra zu tun haben sollte, aber jede Art von Verschwörung fand seine Zustimmung.

"Du bist betrunken, Alain, du spinnst", antwortete Peter McFerrer, aber eher liebevoll, weil der Ire für alle Anflüge von Wahnsinn in diesen Zeiten tiefes Verständnis hatte, "wir sind doch nicht mehr bei den Pfadfindern und brauchen Decknamen für gute Taten. Als nächstes wirst du noch vorschlagen, wir sollten unsere Blutstropfen mischen. Oder uns als Verein eintragen lassen. Aber von mir aus, nehmen wir halt Kleopatra."

Alain schloss die Augen, er wirkte glücklich dabei und summte schon wieder das Lied von der Freiheit. Da sie alle müde waren von der Wanderung und vom Wein und keine Lust mehr hatten auf Diskussionen, nur noch ins Bett wollten, ließen sie Alain mit seinen Träumen von Kleopatra allein. Denn in ihren Träumen kam die ja nicht vor.

Am anderen Morgen fuhren sie zurück nach Colmar und packten dort für die Heimreise, nach Paris, nach London, nach Wiesbaden und nach Amsterdam. Sie erwähnten beim Abschied weder das seltsame Gespräch auf der Lichtung noch die verwirrenden Sätze von Alain auf der Terrasse. Nebenbei mussten sich drei der vier Männer, wobei es für van Rey eher ein Tagesausflug war, um ganz andere, ganz banale Dinge kümmern. Umzüge nach Den Haag standen an, vorher die üblichen Abschiedsfeiern in ihren bisherigen Abteilungen. Es galt, Wohnungen zu finden, am liebsten nicht in der Nähe des modernen EUROPOL-Gebäudes, sondern in den verwinkelten mittelalterlichen Quartieren rings um den Marktplatz.

Und morgen lesen Sie: Ein Terrorist wird ins Jenseits befördert.

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