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Wer plante den Anschlag auf den rechtspopulistischen Politiker?

© Illustration: Anna Krauß

"Und erlöse uns von allen Üblen" #3: Das Treffen in der Bretagne

Der rechtsnationale Parteichef Joachim Freypen soll sterben. Sein Mörder trifft sich mit Gesinnungsgenossen in einem Hotel in Frankreich. Was verbindet die Männer?

Was bisher geschah: In Hamburg lauert ein Mörder darauf, den Parteichef der Nationalen Alternative zu erschießen. Geplant worden ist die Tat in Frankreich.

In 100 Teilen bis zur Bundestagswahl 2017 erscheint der Politkrimi "Und erlöse uns von allen Üblen" online als Fortsetzungsroman im Tagesspiegel. Hier Folge 3 vom 18. Juni.

Die drei Männer, die kurz nach 16.00 Uhr mit dem letzten Schiff in Le Palais gekommen waren, begrüßte er einzeln, als habe er sie lange nicht gesehen. Sie trugen ihre Koffer und Golfbags die paar Schritte zum Auto. Hätte jemand ihr Gespräch belauscht, und mit einer solchen Möglichkeit rechneten sie immer, wäre daran nichts auffällig gewesen: nur Geplänkel über das samtene Spätsommerwetter, und wer wohl wen auf dem Fairway morgen früh besiegen würde.

Daran war nichts gespielt, denn in der Tat kannten sie sich seit vielen Jahren und waren im Laufe der Zeit zu Freunden geworden. Sie sprachen Englisch miteinander, bei einem war ein winziger deutscher Akzent zu hören, bei einem deutlicher der weiche Klang, der für Franzosen typisch ist, wenn sie die Sprache sprechen müssen, die sie eigentlich nicht für eine ihrer würdigen Sprache halten. "Tee-Party wie immer präzise neun Uhr", hatte Red bemerkt, "der Platz ist gleich hinter dem Hotel."

Er war in den vergangenen acht Jahren, seit sie sich zum ersten Mal getroffen haben, zuständig für das sportliche Programm, wann immer und wo immer auf der Welt die Vier sich versammelten. Mit einem Handikap 9, von dem seine Golfpartner nur träumen konnten, machte er sich aber keine Gedanken darüber, wer denn wohl morgen gewinnen würde. Er hatte sich die Route durch die kleine Stadt hinaus nach Bangor genau eingeprägt. Das Navi brauchte er nicht. Er verfügte über ein fotografisches Gedächtnis, wie schon manche die sich gut getarnt glaubten, feststellen mussten, nachdem diese Erkenntnis für sie zu spät kam.

Die Zufahrt zum Hotel war nicht gepflastert. Sie führte durch einen kleinen Wald, wand sich vorbei an einem Pavillon und zwei Tennisplätzen, hin zu vier in den Farben blau und weiß bemalten kleinen Bungalows, im Rechteck gruppiert um einen Pool und einen großen mit Bäumen bestückten Garten. Bedienstete kümmerten sich um ihr Gepäck. In der Halle des fünften etwas größeren Hauses wurden sie wie lang vermisste Freunde begrüßt. "Charles de Polex", stellte sich der Mann vor, der jedem einzelnen die Hand schüttelte. Der Hotelier wirkte wie ein englischer Gutsherr, der für das Wochenende seine ganz privaten Gäste eingeladen hatte.

Dieser Eindruck einer persönlichen Zuwendung war beabsichtigt und deshalb Teil einer täglichen Inszenierung. Zur Bühne gehörte, dass die Rezeption eher beiläufig in einem Nebenzimmer untergebracht war, zu dem die Tür stets offen stand. Trotz der spätsommerlichen Hitze draußen war ihr Gastgeber korrekt gekleidet: heller Anzug, blaues Hemd, gepunktete Fliege. Er hätte in eine der beliebten Jane-Austen-Verfilmungen über das Landleben besserer Kreise gepasst und in denen eine blendende Figur gemacht. De Polex, der britischer Abstammung war, aber seit Jahrzehnten auf Belle Ile lebte, sah nicht nach Arbeit aus, aber auch dieser Eindruck täuschte, diese gespielte Lässigkeit gehörte zum Image des Hotels. Der erfolgreiche Ex-Banker hatte sich mit dem Kauf von "La Désirade" in Bangor einen Traum erfüllt.  

Vor allem legte er Wert auf Stil. Den Stil, den er im Sinn hatte, glaubte er nur im kleinen Rahmen verwirklichen zu können. Deshalb hatte er nie vorgehabt, mehr als zwanzig Zimmer zu vermieten. Jeder Raum war mit einem passenden Blumennamen wie Fleures du Printemps oder La Rose de l été bezeichnet, einfache Nummern hielt der Hausherr für vulgär. Was auch in der Beziehung mit seinem Lebensgefährten galt, der für Park und Garten zuständig war. Kein Zimmer war kleiner als dreißig Quadratmeter und über jedem Himmelbett drehte sich träge ein klassischer Ventilator aus Teakholz, ganz so, als befände man sich nicht auf einer Insel in der Bretagne, sondern im tiefen Süden von South Carolina.   

Lächelnd nahm er die Begeisterung seiner neuen Gäste entgegen. "Die Freude ist ganz auf meiner Seite. Ich werde Ihren Tisch mit den Farben Ihrer Länder dekorieren lassen, Holland und England, Frankreich und Deutschland, und in die Mitte die europäische Flagge. Das nennt man bei Ihnen in Deutschland dann wohl einen bunten Abend?", wandte er sich an den Deutschen und alle lachten.

Das Restaurant lief zwar ganz gut, aber die meisten Zimmer standen leer, sobald die Sommersaison auf der Insel vorbei war. Das konnte selbst er sich auf die Dauer nicht leisten. De Polex suchte deshalb schon lange nach einem kapitalstarken Partner, am liebsten wäre ihm ein Franzose mit guten Verbindungen an die Subventionstöpfe in Paris. Red hatte für ihr Treffen das "Désirade" aber deshalb gewählt, weil es nie ausgebucht war und man spontan anreisen konnte. Außerdem liebte er es, im Schatten unter einem der Bäume im Garten zu sitzen und in den unendlich weiten Himmel zu schauen.

Unten am Hafen hatte er die International New York Times gelesen, während er auf die Ankunft der anderen warten musste. Aufmacher auf Seite eins war die Hintergrundgeschichte von der erfolgreichen und abenteuerlichen Jagd des FBI auf den islamistischen Attentäter, der am Tor zum CIA-Hauptquartier in Langley wahllos herumgeballert und dabei zwei Angestellte des US-Geheimdienstes erschossen hatte.

Im Aufruf, der unter dem Titel "REWARD OF UP TO 2 MILLION DOLLARS" weltweit in allen Zeitungen erschien und auch im Internet lief, und für alle Informationen diese hohe Belohnung im Namen der US-Regierung anbot, war möglichen Informanten außerdem eine neue Identität versprochen worden und dies, verbunden mit der riesigen Geldsumme, brachte letztlich den Durchbruch.

Der Todesschütze war nach einem entsprechenden Tipp und der Überprüfung dieses Hinweises durch eine Drohne von einer Spezialeinheit aus Washington in einem kleinen Dorf nahe der Grenze Pakistans zu Afghanistan aufgespürt und überwältigt worden. Bei Morgengrauen hatten sie ihn mit einem Hubschrauber auf einen Stützpunkt der US-Marine ausgeflogen, in Handschellen nach Langley gebracht und dort einem Team von CNN und einem Reporter der New York Times vorgeführt. Die so versendete und gedruckte Botschaft sollte weltweit verstanden werden: Wer amerikanische Bürger erschießt, wird gejagt. Egal, wie lange das dauert, wir kriegen alle.

So wurde es auch verstanden. Aber auch bei denen, die den Navy Seals Rache schworen und deshalb ihren eigenen Kommandos in den besetzten Gebieten Palästinas grünes Licht gaben, im Namen Allahs die zionistischen Verbündeten der Amerikaner in die Luft zu jagen. Wie üblich bei solchen Aktionen starben Dutzende von Unschuldigen.

Als sich behutsam die Dämmerung über den Rasen senkte und im Garten automatisch die ersten Laternen angingen, hatte er die Zeitung in den Papierkorb fallen lassen und war zurückgegangen ins Haus.

Er ist mit seinen Freunden auf einen Drink im Wintergarten verabredet. Von dort führte sie de Polex, der inzwischen einen weißen Smoking trug, an einen der Tische auf der Terrasse. Den für sie reservierten Platz in der Mitte lehnte Red höflich ab. Sie wollten lieber in einer Ecke sitzen, Hauswand im Rücken, freier Blick aufs Meer. Das Restaurant ist für seine Küche berühmt, alle Tische deshalb besetzt, denn nicht nur Feriengäste, sondern auch ortsansässige Familien aus Sauzon und Le Palais pflegen hier zu speisen.

Während des Dinners wurde in der Viererrunde die Qualität des Essens kommentiert oder über die Güte der Weine gesprochen. Die Kinder des Holländers studierten seit einem halben Jahr in Frankreich, der Engländer war Vater von vier Mädchen, er ließ sein Smartphone mit Fotos herumgehen. Alle wussten, was noch diskutiert werden musste und waren deshalb dankbar für leichtes Vorgeplänkel.

Als Red die Geschichte der Menschenjagd wiedergab, hatten sie gebannt gelauscht. Manches dabei klang so authentisch, als sei er bei der Aktion dabei gewesen. Wer auf die abstruse Idee gekommen wäre, den Bericht in der New York Times mit dem zu vergleichen, was er gerade erzählte, dem hätte dabei in der Tat auffallen können, dass er offenbar mehr wusste. Aber wer schon würde sich diese Mühe machen wollen? "Alle Achtung," murmelte der Deutsche am Schluss, "hervorragend gemacht".

Was der Küchenchef, der in dem Moment an ihren Tisch trat, auf seine Kunst bezog. Sie hatten sich von ihm die Zusammensetzung der Sauce zum gegrillten Grouper und den Trick mit dem geeisten Apfelschaum auf der Mousse au Chocolat zum Nachtisch erklären lassen. Keiner der anderen Gäste, und der Koch schon gar nicht, hätten in den vier Männern etwas anderes vermutet als ein paar Manager mit gutem Geschmack, die sich mit einem kulinarischen Genuss auf ein langes Wochenende mit Golf und Tennis und gepflegtem Nichtstun einstimmen wollten.

Und morgen lesen Sie: Parteichef Freypen hat schmutzige Geheimnisse.

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