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Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte gehören auch in der Geschichte von Michael Jürgs zum Alltag.

© Illustration: Anna Krauß

"Und erlöse uns von allen Üblen" #12: Der Leibwächter sorgt sich um dunkle Geheimnisse

Der Mörder des rechtsnationalen Parteichefs Freypen ist auf der Flucht. Mit im Auto sitzt der bewusstlose Verleger Schwarzkoff. Die Polizei sichert Spuren am Tatort. Ein Fortsetzungsroman, Teil 12.

Was bisher geschah: Ein Attentäter hat den Rechtsnationalen Parteichef Joachim Freypen erschossen. Auf der Flucht begegnet der Mörder der Polizeireporterin Andrea Hofwieser, die er vor der Vergewaltigung durch deren Chef, den Verleger Schwarzkoff, rettet.

In 100 Teilen bis zur Bundestagswahl 2017 erscheint der Politkrimi "Und erlöse uns von allen Üblen" online als Fortsetzungsroman im Tagesspiegel. Hier Folge 12 vom 27. Juni.

Um diese Zeit ist es am Hamburger Stadtpark ruhig. Für die letzten Jogger ist es zu spät am Abend und für Liebespaare schon zu spät im Jahr. Der Mörder ist in Hamburg zur Schule gegangen, er kennt sich aus. Er hat den Weg vom Hafen in knapp zehn Minuten geschafft und sich für die Straße entschieden, von der ein breiter Weg in Richtung des berühmten alten Sommerbades führt. Langsam lässt er den Jaguar ausrollen, stellt den Motor ab. Kein anderes Auto weit und breit. Er wartet einen Augenblick, ob die Lichter hinter ihm vorbeifahren, dann nimmt er das Handy und drückt wieder nur auf die Repeat-Taste.

"Ich bin in der Saarlandstraße, Höhe Eingang Schwimmbad. Gib Saarlandstraße in den Bordcomputer ein. Fahr langsam und achte auf einen grünen Jaguar. Ja, grüner Jaguar. Nein, erkläre ich dir später, beeil dich."

Er zieht das linke Augenlid von Schwarzkoff hoch und hält es einen Augenblick lang fest. Dann lässt er es zufrieden wieder fallen. Steigt aus, nimmt seine Sporttasche vom Rücksitz und wartet im Dunkeln neben dem Wagen. Den Zündschlüssel hat er abgezogen und ins Gebüsch geschleudert. Als der Mercedes neben dem Jaguar hält, öffnet er die Beifahrertür, nimmt seine grüne Tasche mit dem Gewehr  und steigt ein.

Der Mann am Steuer schaut ihn fragend an, bevor die Innenbeleuchtung automatisch wieder ausgeht: "Was ist passiert ,wie bist du zu diesem Auto gekommen?" Der Mörder berichtet vom geglückten Atten­tat und wie er die Wohnung unbe­merkt hat verlassen können und was dann überraschend in der Tiefgarage passiert ist.

"Meinst du, sie könnte dich wiedererkennen?"

"Glaube ich nicht, Bart und Brille und die Kapuze hing auch noch halb ins Gesicht. Ich habe bewusst heiser gesprochen. Die Frage stellt sich nicht. Sie wird den Typen, der sie befreit hat, ja nie wieder sehen und mich natürlich erst recht nicht.

"Die haben inzwischen sicher die Ringfahndung aus­gelöst und ..." Er lässt den Satz unvollendet und schaut auf seine Uhr, "kurz nach halb zehn."

"Also sollten wir bald von der Straße runter."

"Und der da im Jaguar?"

"Erst mal wird er eine Weile schlafen und dann vergebens seine Auto­schlüssel suchen, der ist heute Nacht gut beschäftigt. Anders als er dachte." Er lacht ohne Häme: "Lass uns fahren, ich muss mir die Haare wieder entfärben, das Grau sieht fürchterlich aus. Ein Glas Wein wäre auch nicht schlecht."

Sie haben am Anfang der Woche unter den Namen Knauter und Le­èvre , für die sie auch echte Pässe vorweisen könnten, im Smolka zwei Zimmer bestellt. Das kleine Stadthotel ist fünf Minuten von der Alster, aber auch nur fünf Minuten vom Stadtpark entfernt, was plötzlich gut in die geänderte Situation passt. Um ein Alibi vorweisen zu können, falls jemand auf die höchst unwahrscheinliche Idee kommen würde, den Mord mit ihnen in Verbindung zu bringen, hatten sie sich am Morgen im Hotel nach den Möglichkeiten für eine spontane Runde Golf erkundigt. Die Empfehlung des Concierge lautete Gut Kaden, nur eine dreiviertel Stunde Autofahrt entfernt und einfach zu finden.

Den Trainingsanzug aus Fallschirmseide zieht der Mörder aus, während sie langsam losfahren. Darunter trägt er Jeans und ein T-Shirt. Im Auto hinten hängt das Jackett mit dem Fischgrätenmuster, das er im Désirade angehabt hat. "So geht es einigermaßen," sagt er abschätzig, "sonst denken die doch noch, ich sei dein schwuler Seitensprung." Dann wird er wieder ernst: "Was machen wir mit dem Gewehr? Im Kofferraum lassen?" "Ganz einfach," grinst der Franzose fröhlich und lauscht der Stimme aus dem Navi, die den Weg ansagt, "wir stopfen es mitsamt dem Handtuch in eine unserer Golftaschen und die nehmen wir mit rein. Wir waren ja bis jetzt beim Golfspielen oder etwa nicht?"

"Und wer hat gewonnen?", fragt sein Freund.

"Du natürlich", antwortet der Fahrer. "Glückwunsch übrigens."

Der blondbärtige Hüne in Jeans und Lederjacke hebt vorsichtig Freypens Kopf aus der geronnenen Blutlache auf dem Schreibtisch. "Einschusswunde mitten in der Stirn," diktiert Georg Krucht in ein kleines Tonbandgerät, das er in der linken Hand hält, "keine Austrittswunde am Hinterkopf." Da sitzen die grauen Haare des Toten immer noch wie soeben frisch gekämmt. Kriminalrat Krucht ist Leiter der Mordkommission IV und hatte Dienstbereitschaft, als der Notruf aus der Parteizentrale kam.

Seine Kollegen, die enge Gummihandschuhe tragen wie er, aber im Gegensatz zu ihm die üblichen weißen Astronautenanzüge über ihrer normalen Kleidung, sammeln systematisch die Splitter der zerschossenen Fensterscheibe vom Teppich. Auf den ersten Blick gibt es nicht viele Spuren. Nur die hemdsärmelige Lei­che, deren Jackett noch über dem Stuhl hängt, als würde Freypen es gleich anziehen müssen. Der Tote zeigt freundlichere Gesichtszüge als im Leben. Man könnte vermuten, er ruhe in Frieden.

Im Türeingang steht Karl Mulder und beobachtet den Schauplatz. Er zeigt keine Emotionen mehr, gibt sich professionell kühl. Will aber vor allem mitbekommen, ob die Kriminalisten unter den vom Schreibtisch gewehten Papieren etwas entdecken, was ihm entgangen ist. Es dürfte zwar nichts Geheimes mehr dabei sein, denn er hat in aller Eile, aber sehr genau und möglichst sorgfältig alles durchsucht, auch die Schubladen, selbst die Innentaschen von Freypens Jacke, bevor er sich als Wache vor die Tür gestellt und auf die Polizei gewartet hat.

Was sonst noch hier oben verborgen und nicht unbedingt für die Öffentlichkeit bestimmt ist, auf Disketten oder Sticks zum Beispiel ein Verzeichnis aller Mitglieder, kann er später wegschaffen. Hier geht es um erste Ermittlungen am Tatort, das kennt er schließlich aus seiner eigenen Vergangenheit. Alles andere wie beispielsweise eine Durchsuchung der gesamten Parteizentrale, muss begründet werden und bis dahin wird genügend Zeit bleiben für ihn. Mulder weiß allerdings, wie leicht einer etwas übersehen kann. Also passt er lieber auf.

Er gehörte zu den denen, die dabei waren, als damals in der Jagdhütte oberhalb des Vierwaldstätter Sees die künftige Taktik diskutiert wurde. Die politische Taktik der Partei vor der Bundestags­wahl, denn alles andere, Mordanschläge zum Beispiel oder wo man ein Feuer inszenieren und anderen die Brandstiftung in die Schuhe schieben könnte, hatten er und Freypen nur unter vier Augen besprochen. Selbst er, der misstrauische ehemalige Profi von der anderen Seite, war  aber nicht auf die Idee gekom­men, dass sie ausgerechnet dabei belauscht werden könnten. Von wem denn auch. Es waren doch weit und breit nur ein paar Bauern oder Kühe zu sehen.

"Wie hast du überhaupt erfahren, ob Freypen und seine Leute damals wirklich auf der Alm sein würden?", war der Deutsche an jenem Abend auf Belle Ile vom Holländer gefragt worden. Ganz einfach, hatte der geantwortet, ganz einfach. "Wir haben das Telefon vom Bäcker im nächsten Dorf angezapft. Damit haben sie nicht gerechnet. Als sie bei dem Brot bestellt haben für zwanzig Leute an einem bestimmten Wochenende, war der Rest ein Kinderspiel. Wir? Na ja, ich."

Und morgen lesen Sie: Die Polizei tappt im Dunklen. Der Mörder und sein Helfer fühlen sich sicher.

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