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Tausende Menschen protestieren mit katalonischen und spanischen Fahnen am Sonntag in Barcelona.

© Nicolas Carvalho Ochoa/dpa

Unabhängigkeit Kataloniens: "Viva España!" in den Straßen Barcelonas

Sie kamen mit Bussen, Bahnen und Autos: In Kataloniens Hauptstadt strömen Hunderttausende zusammen, um dem Streben nach Unabhängigkeit eine Absage zu erteilen.

Zwei Polizeihubschrauber kreisen stundenlang über Barcelona, die Sonne strahlt, und in den Straßen der Hafenstadt hallt es: „Viva España!“ - es lebe Spanien. Mit Bussen, Autos und Bahnen waren Hunderttausende aus ganz Spanien in die katalanische Regionalhauptstadt gekommen, um für die Einheit des Landes zu demonstrieren. Beide Lager – katalanische Separatisten als auch spanische Unionisten – mobilisieren in diesen Tagen ihre Anhänger.

Die konservative Zentralregierung in Madrid ist insofern auf angereiste Demonstranten angewiesen, weil die meisten Bewohner Barcelonas den katalanischen Unabhängigkeitsbefürwortern nahe stehen dürften. Zumindest aber meiden auch moderate Katalanen die Aufmärsche derer, die Spaniens König Felipe und der Zentralregierung applaudieren.

"Schweigende Mehrheit"

Stundenlang schwenken Demonstranten am Sonntag die rot-gelben Staatsflaggen Spaniens, viele fordern die Festnahme katalanischer Separatisten und bezeichneten sich selbst als „schweigende Mehrheit“, die nun endlich aufwache. Von einer „schweigenden Mehrheit“, die keine Abspaltung Kataloniens wolle, sprach vor den angereisten Massen auch Mario Vargas Llosa.

Der peruanisch-spanische Literaturnobelpreisträger marschierte zuvor durch Barcelonas Innenstadt mit. Vargas Llosa rief den Demonstranten zu, dass in Katalonien offenbar „die Vernunft von der Leidenschaft weggefegt“ worden sei. Die Unabhängigkeitsbefürworter dürften nicht zerstören, „was in 500 Jahren Geschichte aufgebaut wurde“ – es gelte ein gemeinsames Spanien zu verteidigen.

Die Organisatoren des Marsches sprachen von 950.000 Teilnehmern, Barcelonas lokale Polizei hingegen von 350.000 Demonstranten. In den vergangenen Jahren haben die aus Linksradikalen, Sozialkonservativen und Liberalen bestehenden Separatisten mehrfach eine Million Demonstranten in Barcelona mobilisieren können. Katalonien hat 7,5, ganz Spanien 47 Millionen Einwohner.

Drohungen aus Madrid

Für diesen Sonntag hatten die katalanischen Unabhängigkeitsbefürworter ihre Anhänger gebeten, zu Hause zu bleiben. Man wolle sich nicht provozieren lassen, mögliche Auseinandersetzungen mit madridtreuen Spaniern, gar Schlägereien und Krawalle, gelte es unbedingt zu vermeiden, hieß es. Bis zum frühen Abend wurden keine Zwischenfälle bekannt.

Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy hatte vor dem Marsch gedroht, die katalanische Autonomie auszusetzen, sollte die Regionalregierung in Barcelona tatsächlich die Unabhängigkeit erklären: Er werde verhindern, sagte er der Zeitung „El País“, dass eine solche Erklärung wirksam werde.

Rajoy schloss zudem Neuwahlen oder internationale Vermittlung zur Lösung dieser Staatskrise erneut kategorisch aus. Die Einheit Spaniens sei nicht verhandelbar, sagte er, ignorierte damit aber auch moderate Stimmen im eigenen Lager. Rajoy steht der rechtskonservativen Partido Popular vor. Nicht ausgeschlossen ist, dass der katalanische Regierungschef Carles Puigdemont nach einer Unabhängigkeitserklärung sogar verhaftet wird.

Moderate Töne

In Spanien warten nun alle auf den für Dienstag angekündigten Auftritt Puigdemonts. Wird er in Barcelona die Unabhängigkeit ausrufen? Oder lenkt die Zentralregierung doch noch ein und holt internationale Vermittler, so wie es die Katalanen seit Tagen fordern?

Zuletzt äußerten sich auch führende Separatisten recht moderat. Santi Vila, der für die katalanischen Liberalen in der Regionalregierung sitzt, forderte einen „Waffenstillstand“. In den nächsten Tagen sollten beide Seiten keine „irreparabelen“ Schritte unternehmen. Der frühere Regionalpräsident Artur Mas erklärte gar, Katalonien sei offenbar noch nicht reif für die Unabhängigkeit. Die katalonische Linke hatte nach ihrem Wahlerfolg 2015 den umstrittenen Mas aus der Regierung gedrängt, der Konservative galt ihnen als korrupt.

Küsse für die Polizisten

Derlei Feinheiten dürften die meisten Demonstranten am Sonntag kaum beachtet haben. Sie berauschten sich an der schieren Menge auf den Straßen. Einige spanisch-nationalistische Marschierer pöbelten in Barcelona wachhabende Beamte der katalanischen Regionalpolizei an. Die Mossos genannten Polizisten schützten Gebäude der separatistischen Regionalregierung, während Einheiten der aus Madrid befehligten Nationalpolizei Guardia Civil vor Bundeseinrichtungen postiert waren.

Bei dem von der spanischen Justiz verbotenen Referendum in Katalonien am 1. Oktober waren eigens angereiste Bundespolizisten der Guardia Civil gewaltsam gegen Wähler vorgegangen. Rund 90 Prozent votierten damals für die Trennung Kataloniens vom spanischen Königreich, allerdings haben nur 43 Prozent der Wahlberechtigten tatsächlich abgestimmt. Mit spanischen Nationalflaggen um die Schultern begrüßten am Sonntag nun dutzende der Pro-Spanien-Demonstranten die Guardia Civil. Beamte bekamen Küsse, gemeinsame Fotos wurden gemacht, Biere angeboten. „Es lebe unsere Polizei!“

Bereits am Samstag hatten Zehntausende landesweit für die Einheit Spaniens demonstriert. Zuvor waren ebenfalls Zehntausende in Katalonien auf den Straßen, um gegen die Gewalt spanischer Polizisten zu protestieren. Solange die Krise nicht beendet sei, erklärte Ministerpräsident Rajoy in Madrid, würden die 4000 zusätzlichen Bundespolizisten in Katalonien bleiben.

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