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Der türkische Präsident Erdogan will nicht repräsentieren, sondern regieren. Das gefällt auch vielen seiner Anhänger nicht.

© Reuters

Türkei: Palastrevolte gegen Erdogan

Erdogans Führungsanspruch stößt sogar in den eigenen Reihen auf Widerstand. Jetzt stellt die Regierung klar, dass die Kurdenpolitik nicht Sache des Präsidenten sei. Ein öffentlich ausgetragener Streit nur wenige Monate vor der Parlamentswahl.

Präsident Recep Tayyip Erdogan und die türkische Regierung streiten sich in aller Öffentlichkeit, und das weniger als 80 Tage vor der Parlamentswahl im Juni. Aktueller Anlass für den Zwist ist die Haltung Ankaras zum Friedensprozess mit den Kurden. Doch bei dem Streit entladen sich offenkundig tiefer liegende Spannungen, die bisher unter der Decke gehalten wurden. Dabei geht es vor allem um Erdogans absoluten Führungsanspruch, der bei der Regierung auf Widerstand stößt.

Erdogan hatte das Verhalten der Regierung in den Verhandlungen mit den Kurden kritisiert und beklagt, er erfahre Details nur aus der Zeitung. Regierungssprecher Bülent Arinc, ein alter Wegbegleiter Erdogans und Mitbegründer der Regierungspartei AKP, widersprach dem Präsidenten in deutlichen Worten. Erdogan sei sehr wohl über alles informiert, doch der Friedensprozess mit den Kurden sei nun einmal nicht Sache des Präsidenten. Niemand solle vergessen, „dass es in diesem Land eine Regierung gibt“, sagte Arinc. Einige besonders Erdogan-treue AKP-Politiker reagierten empört auf die Äußerungen von Arinc und warfen ihm Undankbarkeit vor. Wer von Erdogan erwarte, dass er still und brav im Präsidentenpalast sitze, der schätze ihn völlig falsch ein, sagte der Parlamentsabgeordnete Metin Külünk.

Eine direkte Auseinandersetzung mit Erdogan scheut Davutoglu

Doch Arinc bekräftigte seine Kritik an Erdogan. Hinter ihm stehe Ministerpräsident Ahmet Davutoglu, der sich gegen Erdogans ständige Einmischungen wehre, eine direkte Auseinandersetzung mit dem Präsidenten aber scheue, heißt es in den Medien. Davutoglu gilt als Gegner des von Erdogan angestrebten Präsidialsystems, das die Regierung zu bloßen Erfüllungsgehilfen des Staatschefs degradieren würde. Zudem besitzt Davutoglu schon jetzt nur nominell die Richtlinienkompetenz als Chef der Regierung und als Vorsitzender der AKP. Die tatsächliche Macht liegt weiter bei Erdogan, auch wenn sich dieser als Präsident nach der Verfassung eigentlich aus der Tagespolitik heraushalten müsste.

Nach Presseberichten will der Präsident sogar die AKP-Kandidaten für die Parlamentswahl am 7. Juni auswählen, eine Aufgabe, die offiziell Davutoglu zukommt. Sollte Erdogan tatsächlich darauf bestehen, wäre Davutoglu als Parteichef und als Premier schwer beschädigt. Doch Erdogan sei nach seinen Wahlsiegen der vergangenen Jahre überzeugt, dass er viel mehr von Wahlkämpfen verstehe als Davutoglu und dessen Leute, schrieb der Kolumnist Kadri Gürsel in der „Milliyet“.

Selbst AKP-Anhänger sprechen von einer noch nie dagewesenen Selbst-Demontage der sieggewohnten Partei. Die AKP verdanke ihre Erfolge nicht zuletzt ihrer Einigkeit, doch damit sei es nun vorbei, schrieb Abdülkadir Selvi, einer der bekanntesten AKP-Fans unter den türkischen Zeitungskommentatoren, in der regierungsnahen Zeitung „Yeni Safak“ vom Montag: „Der Zauber ist dahin.“ Das scheint auch für die Wähler zu gelten. Meinungsforscher sehen die AKP im Abwärtstrend, selbst wenn die Führungsposition der AKP als stärkste politische Kraft nicht gefährdet ist. Hatte Erdogan die Partei bei der Parlamentswahl 2011 mit fast 50 Prozent der Stimmen noch zum größten Triumph ihrer Geschichte geführt, sehen mehrere Institute die AKP derzeit bei rund 40 Prozent.

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