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Der türkische Präsident Erdogan wollte sich mit HIlfe seiner AKP per VErfassungsänderung zum Alleinherrscher wählen lassen. Doch daraus wurde nichts.1

© dpa

Türkei: Kein König Erdogan - aber trotzdem keine freien Medien

Nach der Abwahl der AKP-Alleinregierung hatten Journalisten in der Türkei ein neues Arbeitsklima erwartet. Davon ist bislang aber keine Spur. Stattdessen gängelt Präsident Erdogan die Presse munter weiter.

Am Abend des 7. Juni seufzten einige türkische Journalisten erleichtert auf. Das Ende der Alleinregierung der islamisch-konservativen Partei AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan weckte Hoffnungen auf ein Ende des zuletzt immer stärker gewordenen Drucks auf die Medien. Doch bisher hat sich nicht viel geändert.

Erdogan persönlich hatte vor der Wahl erheblichen Anteil an der Entstehung eines Klimas, in dem sich viele Journalisten schikaniert und unter Druck gesetzt fühlten. Noch wenige Tage vor dem 7. Juni verklagte Erdogan den Chefredakteur der Oppositionszeitung „Cumhuriyet“, Can Dündar, wegen dessen Berichten über illegale türkische Waffenlieferungen nach Syrien – die Staatsanwaltschaft fordert lebenslange Haft für den Journalisten.

Bei der Wahl verlor die AKP dann nach zwölf Jahren die Mehrheit im Parlament und muss sich nun trotz einer Wähleranteils von 41 Prozent einen Koalitionspartner suchen. Unbestätigten Berichten zufolge verhinderte die Wahlschlappe für die AKP die von der Regierung bereits vorbereitete Verhaftung von rund 200 Journalisten und die Verstaatlichung kritischer Zeitungen.

Dündar kommentierte das Ergebnis mit den Worten, die Wähler hätten sich gegen den Despotismus entschieden. Eine schwere Zeit sei zu Ende, eine neue Ära beginne. Selahattin Demirtas, der Chef der Kurdenpartei HDP, die bei der Wahl mit 13 Prozent der Stimmen ins Parlament einzog, versprach den türkischen Journalisten, mit Druck und Zensur sei es jetzt vorbei. „Sie können ab sofort in aller Ruhe Ihre Arbeit tun.“

Bis zur Bildung eines neues Kabinetts bleibt das alte im Amt

Das war etwas voreilig, wie sich inzwischen zeigt. Zwar hat die AKP-Regierung ihre Mehrheit verloren, doch bis zur Bildung eines neuen Kabinetts bleibt sie im Amt. Deshalb geht vieles so weiter wie vor der Wahl.

Erdogan zum Beispiel verklagte erneut einen Journalisten, diesmal einen Lokalreporter. Ein Gericht in Ankara verurteilte unterdessen den Journalisten Bülent Kenes, Chefredakteur der regierungskritischen englischsprachigen Zeitung „Today’s Zaman“, wegen Beleidigung des Staatspräsidenten zu einer Bewährungsstrafe. Kenes hatte auf Twitter geschrieben, Erdogans vor vier Jahren gestorbene Mutter würde sich schämen, wenn sie sehen könnte, was ihr Sohn aus dem Land macht.

Die Liste von Drangsalierungen der Medien durch Regierung und Behörden seit der Wahl lässt sich fortsetzen. In der Stadt Akcakale an der Grenze zu Syrien ließ Gouverneur Izzettin Kücük vier Journalisten, darunter den „Welt“-Reporter Deniz Yücel, vorübergehend festnehmen, weil sie unbequeme Fragen stellten.

Dass sich seit dem 7. Juni am Druck auf die Medien nur wenig geändert hat, liegt vor allem daran, dass das Wahlergebnis in Parlament und Regierung noch nicht umgesetzt ist: Viele staatliche Behörden und Teile der Justiz sind weiter auf der Linie der bisherigen Regierungspartei.

Konkrete Änderungen sind erst nach der Konstituierung des neuen Parlaments Ende des Monats zu erwarten. Dann werden beispielsweise die Sitze der Parteien im Vorstand der Fernseh-Aufsichtsbehörde RTÜK neu verteilt, und die AKP wird ihre Mehrheit in dem Gremium verlieren. Das bedeute ein Ende der willkürlichen Geldstrafen für Oppositionssender und der Nachrichtensperren für unwillkommene Ereignisse, schrieb die Kolumnistin Melus Alphan in der Zeitung „Hürriyet Daily News“. Auch werde RTÜK künftig leidenschaftliche Küsse in Fernsehserien nicht mehr als „unmoralisch“ bestrafen.

Risse im Regierungslager treten nun deutlich hervor

Während regierungskritische Journalisten auf das neue Parlament und die neue Regierung warten, wird im Lager der Erdogan-treuen Medien der Machtkampf sichtbar, der nach der Wahl innerhalb der AKP begonnen hat. Schon vor dem 7. Juni hatte es in den regierungsnahen Zeitungen einzelne Stimmen gegeben, die Erdogans Exzesse anprangerten, so etwa seine Strafanzeige gegen den Journalisten Dündar. Seit dem Wahltag treten die Risse im Regierungslager noch deutlicher hervor.

Dabei geht es unter anderem um Spannungen zwischen Erdogan und seinem ehemaligen Freund und Weggefährten, dem früheren Präsidenten Abdullah Gül. Anhänger Güls wie der Kolumnist Fehmi Koru werben für eine Rückkehr des früheren Staatsschefs in die aktive Politik und an die Spitze der AKP. Damit würde Gül zu einem gefährlichen Rivalen Erdogans. Koru fordert zudem den Umzug Erdogans aus seinem umstrittenen Präsidentenpalast in eine bescheidenere Bleibe.

Güls langjähriger Berater, der frühere Journalist Ahmet Sever, brachte kurz nach der Wahl ein Buch auf den Markt, das einer Abrechnung Güls mit Erdogan gleichkommt. Der Ex-Präsident gab dem Buch mit dem Titel „12 Jahre mit Abdullah Gül“ seinen ausdrücklichen Segen, was Severs Aussagen zusätzliche Sprengkraft verleiht.

Gül beklagt laut Sever unter anderem, dass Erdogan in den vergangenen Jahren immer autoritärer wurde und den früheren EU-freundlichen Reformkurs verließ. Der Ex-Präsident erinnert die Leser daran, dass die AKP mehr sein könnte als ein bloßer Erdogan-Wahlverein. Das kommt nicht überall gut an. Das Buch sei „wie eine Handgranate“, die auf die AKP geworfen worden sei, schimpfte der Erdogan-Gefolgsmann Samil Tayyar.

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