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Im Mai besuchte Trump als erster amtierender US-Präsident die Klagemauer in Jerusalem.

© Mandel Ngan/AFP

Trumps Nahostpolitik: In Israel bahnt sich ein politisches Erdbeben an

Die USA wollen Jerusalem als Israels Hauptstadt anerkennen und ihre Botschaft dorthin verlegen. Die Palästinenser warnen vor der Zerstörung des Friedensprozesses.

Wenn die Zeichen nicht trügen, dann gibt es in wenigen Tagen ein politisches Erdbeben. Eines, das den Nahen Osten in seinen Grundfesten erschüttern dürfte. Denn Donald Trump will offenbar Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkennen und so den Anspruch des jüdischen Staates auf die auch bei Muslimen und Christen heilige Stadt bestätigen.

Laut übereinstimmenden Berichten wird der US-Präsident eine entsprechende Erklärung am Mittwoch in einer Rede abgeben. Eine formelle Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt durch die USA würde die Bereitschaft der Palästinenser, in Friedensgesprächen mit den Israelis Zugeständnisse zu machen, auf null reduzieren.

Zugleich stieße er auch die Golf-Araber, die er in den vergangenen Monaten zur Bildung eines Bündnisses gegen den Iran stark umworben hatte, vor den Kopf. Doch für Trump sind innenpolitische Überlegungen wichtiger.

Der Plan des Präsidenten

Seit 1995 legt ein Gesetz die amerikanische Regierung darauf fest, die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem zu verlegen. Bisher haben dies alle Präsidenten mit Rücksicht auf mögliche Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern vermieden. Sie wollten einer Friedensregelung – in der die Zukunft Jerusalems ein besonders wichtiger Faktor sein wird – nicht vorgreifen.

Die rechtsgerichtete Regierung von Benjamin Netanjahu und viele Nationalreligiöse sehen in dem heiligen Ort die „ewige und unteilbare“ Hauptstadt Israels. Das erkennt die internationale Staatengemeinschaft allerdings nicht an. Und die Palästinenser pochen darauf, dass der arabische Ostteil Jerusalems die Hauptstadt ihres unabhängigen Staates wird.

Zweimal im Jahr müssen die US-Präsidenten die Gründe für ihr Zögern bei der Botschaftsverlegung darlegen; nachdem er im Juni die Entscheidung wie seine Vorgänger aufgeschoben hatte, will Trump jetzt mit der Hauptstadt-Erklärung reinen Tisch zugunsten Israels machen – wenn auch der Umzug der Botschaft wohl nicht sofort stattfinden soll.

Dabei spielen für den Präsident vor allem innenpolitische Überlegungen eine Rolle. In Vorbesprechungen im Weißen Haus betonte Trump laut der „Washington Post“, er stehe bei seinen Wählern im Wort. Bedenken von Nahost-Experten hatten bei ihm keine Chance.

Angesichts einer recht durchwachsenen Bilanz seiner ersten Monate im Amt will der Präsident vor Weihnachten unbedingt noch bei seinen Wählern und Gönnern punkten; christliche Fundamentalisten und pro-israelische Geldgeber gehören zu Trumps Kernanhängerschaft.

Noch in Tel Aviv, bald in Jerusalem? Amerikas Botschaft in Israel.
Noch in Tel Aviv, bald in Jerusalem? Amerikas Botschaft in Israel.

© Jack Guez/AFP

Auch der von ihm ernannte US-Botschafter in Israel, David Friedman, gilt als pro-israelischer Hardliner, der auf den Umzug der Vertretung dringt und eine Annexion des besetzten Westjordanlands für legal hält. Eine Zwei-Staaten-Lösung interessiert den früheren Rechtsanwalt wenig.

Dass Trump energisch voranschreitet, wo andere Präsidenten zögerten, gehört zwar zu dessen Selbstbild als Macher im Weißen Haus. Aber in Jerusalem, wo unüberlegte Schritte leicht zu politischen Eruptionen führen können, ist das Vorgehen des Präsidenten hoch riskant.

Jedes Wort sei wichtig, sagte Martin Indyk, ein früherer US-Botschafter in Israel, der „New York Times“. Wenn Trump nicht vorsichtig sei, werde der Präsident alles schlimmer machen statt besser.

So wird es unter anderem darauf ankommen, wie der Präsident am Mittwoch das Stadtgebiet von Jerusalem definiert. Wenn er in seiner Rede auch den Ostteil der Stadt nennt, dürfte das die Wut der Palästinenser weiter anfachen.

Die Wut der Palästinenser

Entscheidet Trump wie von vielen erwartet, wäre aus Sicht der Palästinenser und der muslimischen Welt eine rote Linie überschritten. An drastisch formulierten Warnungen herrscht denn auch kein Mangel.

Präsident Mahmud Abbas drohte bereits, die Verlegung der amerikanischen Botschaft würde die „totale Zerstörung“ des Friedensprozesses bedeuten. Einer seiner Berater fügte hinzu: Die ganze Welt werde den Preis zahlen, falls Trump ganz Jerusalem offiziell als Israels Hauptstadt anerkenne. Die radikalislamische Hamas in Gaza will dann die Palästinenser dazu aufrufen, die Intifada wieder aufleben zu lassen.

Mit anderen Worten: Washingtons Entscheidung könnte gewalttätige Ausschreitungen, womöglich sogar einen regelrechten Aufstand der Palästinenser zur Folge haben – mit unabsehbaren Konsequenzen für die gesamte Region. Denn selbst aus Sicht gemäßigter arabischer Staaten wie Jordanien, das Jerusalems islamische Heiligtümer hütet und verwaltet, wäre Trumps Schritt ein Affront.

Mehr noch. Der „große Deal“ im Nahen Osten – also ein Friedensplan für Israelis und Palästinenser – den der US-Präsident mehrfach in Aussicht gestellt hat, wäre auf absehbare Zeit vom Tisch. Die arabischen Staaten würden keiner wie auch immer gearteten Regelung zustimmen, wenn in der Jerusalem-Frage zuvor Fakten geschaffen werden. Auch Trumps Schwiegersohn Jared Kushner könnte unter diesen Vorzeichen seine Arbeit als Nahost-Vermittler der US-Regierung umgehend einstellen.

Ohnehin halten gerade die Palästinenser herzlich wenig von Amerikas Haltung in dem Konflikt mit Israel. Für sie steht fest, dass Trump ausschließlich für den jüdischen Staat Partei nimmt. Die anstehende Entscheidung in Sachen Jerusalem bestätigt Abbas’ Eindruck: Mit den USA ist derzeit kein eigener Staat zu machen.

Die Hoffnung der Israelis

Als Trump vor bald einem Jahr sein Amt antrat, war die Freude bei politischen wie religiösen Hardlinern groß. Und bis heute sind sie sicher,dass sie im US-Präsidenten endlich einen mächtigen Verbündeten gefunden haben.

Immerhin hatte der Republikaner schon im Wahlkampf verkündet, er sehe in den jüdischen Siedlungen auf besetztem Gebiet kein Hindernis für einen Frieden. Damals stellte er auch in Aussicht, rasch die Botschaft zu verlegen. Seitdem warten vor allem Nationalisten sehnsüchtig darauf, dass den vielen Worten Taten folgen. Jetzt scheint ihr Traum wahr zu werden.

Doch längst nicht alle Israelis sind von Trumps Vorstoß begeistert. Viele sehen darin eine unnötige Provokation, zumal eine hoch gefährliche. Vor allem Militärs, die Polizei und Geheimdienste sind beunruhigt. Sie fürchten eine Welle der Gewalt.

Was das heißt, wissen Israelis nur allzu gut. Im Herbst 2015 begann die sogenannte Messer-Intifada. Monatelang gab es fast täglich Anschläge von Palästinensern auf israelische Zivilisten und Sicherheitsbeamte. Besonders viele Angriffe gab es in Jerusalem.

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