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Sicherheit durch Abschreckung. Ein amerikanischer Soldat, Teil eines Nato-Einsatzkommandos.

© Reuters

Treffen der Außenminister: Die Nato ist heute von innen bedroht

Selten war die Nato so gefährdet wie im Jahr 2017. Das Militärbündnis zerfranst. Es muss sich jetzt auf seine Kernaufgabe besinnen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Was ist uns der Frieden in Europa wert? Die ehrliche Antwort lautet: Frieden und Sicherheit sind unbezahlbar. Sie sind die Voraussetzung für alles weitere. Für Freiheit, Demokratie, Rechtsstaat, Wohlstand.

Das klingt selbstverständlich. Aber richten die Außenminister der 28 Nato-Staaten an diesem Freitag in Brüssel ihre Politik daran aus? Zu viele Mitglieder verfolgen ihre Partikularinteressen. Sie tun so, als erfülle die Allianz ihre Kernaufgabe, den Frieden und die Sicherheit in Europa zu wahren, automatisch, auch wenn nicht alle dabei mittun. Es gibt jedoch keine andere Institution, die das könnte.

Selten in den 68 Jahren Nato war der Konsens so gefährdet wie heute. Die USA haben einen Präsidenten, der das Bündnis als „Business“ betrachtet: Springt genug heraus gemessen am Geld, das Amerika zahlt? Hätte Donald Trump mehr historisches Wissen, würde er mit Ja antworten. Zwei Mal mussten die USA im 20. Jahrhundert eingreifen, um Weltkriege in Europa zu beenden. Selbst wenn sie die Nato alleine finanzierten und nicht nur zu 70 Prozent, käme das billiger als ein weiterer Krieg.

Trump hat den Markenkern beschädigt

Trumps größerer Fehler war freilich, die Lastenteilung mit der Bündniszusage zu verknüpfen. Verteidigt werde nur, wer die vereinbarten zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) fürs Militär ausgebe. Damit beschädigte der angeblich so geniale Geschäftsmann den Kern der Marke Nato: die Abschreckung durch die unbedingte Beistandsgarantie. Sie ist der Erfolgsgrund der Allianz.

Die Europäer verhalten sich kaum besser. Auch für Deutschland ist der Frieden unbezahlbar. Ohne ihn und die Sicherheit der Handelswege wäre das Land kein Exportweltmeister und nicht so wohlhabend. Zwei Prozent vom BIP klingen wie ein Schnäppchen. Tatsächlich gibt das Land nur 1,2 Prozent für Verteidigung aus, und vielen scheint das nicht mal peinlich zu sein. SPD und Linke sehen gar einen Wahlkampfschlager in der Ablehnung der zwei Prozent.

Zu dieser Verleugnung der Wirklichkeit passt der romantische Glaube, Russland wolle ein Partner sein. Wladimir Putin ordnet sogenannte „Snap“-Manöver an, bei denen sein Militär Angriffe auf Nato-Länder übt, inklusive Atomwaffeneinsatz. Er tut das unangekündigt – was die Risiken von Missverständnissen erhöht –, um Schwächen in der Nato-Verteidigung aufzuspüren. Er stellt Mittelstreckenraketen in Kaliningrad auf, die auf Deutschland zielen. Die meisten Deutschen interessieren sich nicht dafür – als verschwinde eine Bedrohung, wenn man sich die Augen zuhält.

Das veraltete Beschaffungswesen

Ersatzweise halten die Deutschen den Amis einen zu engen Sicherheitsbegriff vor. Besser als die zwei Prozent fürs Militär seien drei Prozent für die Summe aus Verteidigung, Entwicklungshilfe und Diplomatie. Das wäre eine Debatte wert, sofern die Mindestanforderungen an die Verteidigungsfähigkeit erfüllt sind. Da jedoch viele deutsche Kampfjets nicht fliegen, Panzer nicht fahren, Transportkapazität und Munition fehlen, wirkt es wie Ablenkung.

Hinzu kommt ein veraltetes Beschaffungswesen. 8500 Mitarbeiter hat das Amt. Sie verwalten Einkäufe im Wert von 3,7 Milliarden Euro pro Jahr. Vergleichbare Unternehmen kommen mit einem Zehntel des Personals aus.

Zurück zur Nato: Was sind ihre Ziele heute? Der Konsens zerfranst. Die Mitglieder im Osten wollen Schutz vor Russland, die Mittelmeeranrainer Schutz vor destabilisierenden Migrationsbewegungen. Frankreich möchte im Rahmen der Kooperation mit der EU deutsch-französische Einheiten in Afrika. Andere wollen der Nato mehr Verantwortung in der Terrorabwehr übertragen. Die Türkei ist formal Mitglied, schert aber immer öfter aus. Zum einen in Wertefragen, siehe den Umgang mit der Opposition und mit Journalisten. Zum anderen in der Strategie in Syrien. Die Bekämpfung der Kurden ist Ankara wichtiger als der Kampf gegen den IS. Im Zweifel verbündet sich Erdogan mit Putin dort gegen die USA.

Die Kernaufgaben: Frieden und Sicherheit im Bündnisgebiet

Auch der US-Senat agiert mitunter kurzsichtig. Er stimmt für Montenegros Nato-Beitritt – mit der Begründung, dass Putin dort einen Umsturz plane. Wie naiv! Wenn Montenegro so instabil ist, gehört es nicht in die Nato. Falls eine Putin-freundliche Partei an die Macht kommt, hat die Allianz das Problem nun in ihren Reihen.

Die Zeiten sind wieder gefährlich. Der Traum vom ewigen Frieden nach dem Mauerfall 1989 ist vorbei. Die Nato muss sich auf ihre Kernaufgabe besinnen: Frieden und Sicherheit im Bündnisgebiet. Alles andere ist nachrangig. Der Preis der Partikularinteressen auf Kosten der Allianz könnte sich als unbezahlbar erweisen.

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