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Tote im Mittelmeer: Was Europa gegen die Flüchtlingskatastrophen tun kann

Mehr als tausend Menschen sind innerhalb weniger Tage im Mittelmeer ertrunken. Die Flüchtlinge riskieren ihr Leben, um nach Europa zu gelangen. Was können die EU-Staaten dagegen tun?

Das Massensterben auf dem Mittelmeer nimmt kein Ende. Die Europäische Union muss handeln und sucht nach Lösungen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) schließt nun auch eine europäische Rettungsaktion im Mittelmeer nicht mehr aus. Daran könnte sich auch die deutsche Marine beteiligen.

Wie könnte eine europäische Mission zur Rettung von Flüchtlingen aussehen?

Als im Herbst 2013 schon einmal ein Boot mit mehreren Hundert Flüchtlingen im Mittelmeer unterging, setzte Italien seine Marine in Marsch. „Mare Nostrum“ nannte das Land diese Rettungsaktion, bei der das Mittelmeer gezielt nach Flüchtlingsbooten abgesucht wurde. Italien erklärte aber zugleich, dass es die Operation nur begrenzt allein tragen könne, denn sie kostete mehr als neun Millionen Euro im Monat. Im Herbst 2014 lief „Mare Nostrum“ schließlich aus, ohne dass es eine europäische Anschlussoperation gab. Seither patrouilliert wieder allein die europäische Grenzschutzagentur Frontex im Mittelmeer – allerdings halten deren Schiffe sich direkt vor den europäischen Küsten auf und fahren nicht aufs Meer hinaus, wo viele Flüchtlingsschiffe in Seenot geraten. Um weitere Tragödien zu verhindern, gibt es daher zwei Möglichkeiten: Entweder weitet Frontex sein Operationsgebiet aus, oder die EU bringt eine neue Marineoperation nach dem Vorbild von „Mare Nostrum“ auf den Weg.

Welchen Beitrag kann Deutschland leisten?

Die Bundeswehr könnte sich ohne größeren Aufwand kurzfristig an einer Seenotrettungsoperation im Mittelmeer beteiligen. Derzeit befindet sich ein Einsatzausbildungsverband der deutschen Marine mit mehreren Schiffen am Horn von Afrika und wird Mitte Mai das Mittelmeer erreichen. Zu dem Verband gehören unter anderem die beiden Fregatten „Hessen“ und „Karlsruhe“, die eine große Anzahl von Flüchtlingen aufnehmen könnten und auf denen auch Hubschrauber landen können. Begleitet werden sie vom Einsatzversorger „Berlin“, der eine Art schwimmendes Lazarett ist. Bis Mitte Juni soll sich der Verband ohnehin im Mittelmeer aufhalten, um sich dort an der Nato-Operation „Active Endeavour“ teilzunehmen. Die wurde nach dem 11. September 2001 ins Leben gerufen und dient eigentlich der Überwachung der Seewege auf dem Mittelmeer zum Schutz vor Terroristen, ist aber selbst in Militärkreisen inzwischen umstritten. Hinter den Kulissen wird daher die Möglichkeit erörtert, das Mandat so umzuwidmen, dass es auch eine breit angelegte Flüchtlingsrettung zulässt. Das allerdings setzt eine politische Entscheidung voraus.

Warum versuchen überhaupt so viele Menschen, nach Europa zu fliehen?

Dass die Situation im südlichen Mittelmeer derart eskalieren konnte, hängt nicht nur mit den aktuellen Krisen in Syrien und dem Irak zusammen. Auch die Tatsache, dass die große Mehrheit der Staaten in Afrika und Arabien außerordentlich schlecht regiert werden, treibt Menschen in die Flucht. Viele der afrikanischen Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Italien fliehen, kommen zum Beispiel aus Somalia, wo es seit bald 25 Jahren keinen funktionierenden Staat mehr gibt, oder aus Eritrea, wo ein Stalinist die Menschen tyrannisiert.

Ein weiteres Problem: Afrikas Bevölkerung explodiert geradezu. Schon heute leben auf dem Kontinent 1,2 Milliarden Menschen, 2050 dürften es rund 2,5 Milliarden sein. Ein besonders dramatisches Beispiel ist Nigeria, der mit 170 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichste Staat des Kontinents. Bis 2050 dürfte das Land mit rund 450 Millionen Menschen hinter China und Indien die weltweit dritthöchste Bevölkerungszahl aufweisen. Jedes Jahr werden in dem kaum industrialisierten und hochkorrupten Land sieben Millionen Kinder geboren – mehr als in ganz Europa zusammen. Dabei liegt die Jugendarbeitslosigkeit in Nigeria schon jetzt bei 65 Prozent. Woher die Schulen, Krankenhäuser und vor allem Jobs für die vielen jungen Menschen kommen sollen, können selbst Experten nicht sagen.

Wie kann man verhindern, dass sich Flüchtlinge auf die lebensgefährliche Überfahrt begeben?

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) und andere Politiker in der EU werben dafür, in Nordafrika Anlaufzentren für Flüchtlinge zu eröffnen, wo diese Asylanträge stellen könnten. Doch es gibt viele offene Fragen zu einem solchen Verfahren. Ungeklärt ist beispielsweise, wie diese Flüchtlinge dann später in der EU verteilt werden sollen und wie der Rücktransport von abgelehnten Asylbewerbern in ihre Heimatländer erfolgen soll. Die nordafrikanischen Staaten, Tunesien und Marokko werden genannt, dürften kaum ein Interesse daran haben, große Flüchtlingslager auf ihrem Staatsgebiet zu dulden, in denen Flüchtlinge über Monate oder sogar Jahre vor sich hin vegetieren.

Auch die Option, Syrern und Irakern Visa in ihren Heimatländern auszustellen, wird immer wieder genannt. Dies liefe auf eine großzügige Kontingent-Lösung für Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak hinaus; Deutschland und andere EU-Staaten müssten sich also vorab bereit erklären, eine bestimmte Anzahl von Flüchtlingen aus diesen Ländern aufzunehmen. Bisher haben Bund und Länder 20 000 Syrern im Rahmen einer solchen Kontingent-Lösung die Einreise nach Deutschland ermöglicht. Meist handelt es sich dabei um Menschen, die Angehörige in Deutschland haben und von diesen aufgenommen werden.

Auf welchen anderen Routen sind Flüchtlinge unterwegs?

Der Bundesnachrichtendienst (BND) nennt in einer Übersicht zu Schleusungen und illegaler Migration drei Routen, über die Migranten illegal in die EU kommen. Die Ostroute, also vor allem über Russland, die Ukraine und die baltischen Staaten, werde bevorzugt von Migranten aus Osteuropa und Asien gewählt, zunehmend aber auch für Schleusungen aus Afrika. Auf der Südostroute, über die Türkei, Griechenland und den Balkan, seien hauptsächlich Migranten aus dem Nahen und Mittleren Osten unterwegs. Die Südroute ist die von Nordafrika über das Mittelmeer nach Südeuropa. Laut BND wird diese Route vor allem von Afrikanern genutzt, verstärkt aber auch von Syrern.

Warum konzentriert sich das Geschehen derzeit auf die libysche Küste?

In Libyen tobt ein Bürgerkrieg, die staatliche Ordnung ist zusammengebrochen. Zwei Machtblöcke streiten um das Erbe des 2011 ermordeten Diktators Muammar al Gaddafi, eine friedliche Lösung des Konfliktes ist derzeit nicht in Sicht. Im Chaos der Auseinandersetzungen gelang es Schleuserbanden, sich an den Küsten festzusetzen, wo sie Flüchtlinge aus arabischen und afrikanischen Staaten gnadenlos ausnehmen. Diese Flüchtlinge haben ohnehin bereits eine lebensgefährliche Reise an die libysche Küste hinter sich – durch Bürgerkriegsgebiete und die Wüste, wo sie weder Schutz noch Hilfe erhalten. Viele sterben bereits unterwegs, ohne dass dies bekannt wird. Auch die Zahl derjenigen, die es bis an die Küste geschafft haben, ist unklar. Schätzungen zufolge sollen es zwischen 500 000 und einer Million sein. Für sie gibt es kein Zurück, das wissen auch die Schlepper, die sie meist in untaugliche Boote setzen und ohne ausreichend Wasser und Nahrung aufs Meer schicken.

Wie viele Illegale erreichen Deutschland?

2013 seien an Außengrenzen der Europäischen Union insgesamt 436 695 Versuche der illegalen Einreise entdeckt worden, schreibt der Bundesnachrichtendienst in seiner Übersicht zu Schleusungen und illegaler Migration. Knapp 130 000 dieser Versuche wurden in Deutschland registriert. Die reale Zahl der illegalen Einreisen dürfte noch höher sein. Dafür spricht die vom BND genannte Schätzung der EU-Kommission, zwischen 1,9 und 3,8 Millionen Menschen hielten sich ohne gültige Papiere in der EU auf.

Was verdienen die Schleuser?

Angesichts des Ausmaßes der illegalen Migration ist klar: Schleusungen sind ein gigantisches Geschäft. Auf bis zu zehn Milliarden Dollar pro Jahr schätzt die International Organization for Migration den Profit bandenmäßig organisierter Schleuser. „Die illegale Migration bildet also einen florierenden Markt für kriminelle Organisationen“, schreibt der BND. Für Schleusungen vom Herkunfts- ins Zielland würden bis zu fünfstellige Eurosummen verlangt.

Was weiß man über die Schleuserbanden?

Die Schleuserbanden setzen sich laut BND-Erkenntnissen oft aus Personen aus den Transitländern zusammen. Die Kriminellen agieren aber auch in Deutschland selbst. Im Januar nahm die Polizei in mehreren Bundesländern elf Schleuser fest. Die Männer gehörten einer bulgarisch-türkischen sowie einer afrikanischen Bande an. Ein Beispiel für die Gewaltbereitschaft von Schleusern ist der Antwort der Bundesregierung vom Februar auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion zu entnehmen. Im August 2014 erschossen slowakische Polizisten an der Grenze zur Ukraine einen bewaffneten ukrainischen Schleuser. Er wollte fünf Vietnamesen in die Slowakei bringen. Als die Polizei eingriff, kam es zum Schusswechsel.

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