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Unterlagen für die Bundestagswahl: Nicht für jeden sind sie leicht zu verstehen.

© Boris Roessler/dpa

Tag der Weltalphabetisierung: Auch Analphabeten haben die Wahl

Rund 7,5 Millionen Menschen in Deutschland können nicht richtig lesen und schreiben. Die demokratische Teilhabe muss ihnen dennoch garantiert werden.

Es sind die vermeintlich einfachen Dinge, die plötzlich zu unüberwindbaren Hürden werden: Bedienungsanleitungen, Beipackzettel oder Wahlunterlagen. Rund 750 Millionen Menschen, die älter sind als 15 Jahre, können der Unesco zufolge weltweit nicht richtig lesen und schreiben. 7,5 Millionen leben allein in Deutschland, 320.000 davon in Berlin. Viele von ihnen sind sogenannte funktionale Analphabeten, verstehen maximal einzelne Sätze, zusammenhängende Texte fallen ihnen schwer. Die gesellschaftliche Teilhabe der Menschen wird beeinträchtigt, die Bundestagswahl zum Hindernis und Analphabetismus – etwas überspitzt formuliert – zur Gefahr für die Legitimationskraft des demokratischen Gemeinwesens.

Pascal Busche, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bundesverbands Alphabetisierung und Grundbildung e.V., geht davon aus, dass ein Großteil der Analphabeten zwar „rein technisch“ in der Lage sei zu wählen, stellt allerdings infrage, inwiefern den Betroffenen eine tiefgehende inhaltliche Auseinandersetzung mit den Parteien möglich sei. „Es wäre wünschenswert, dass sie sich nicht nur von Wahlwerbung und dem Charisma der Politiker in TV-Sendungen beeinflussen lassen, sondern auch in der Lage sind, ihre Interessen mit dem Programm abzugleichen“, sagt Busche. Das sei manchmal schwierig, aber die Idealvorstellung von Teilhabe.

Grundrecht auf Grundbildungen

Der Deutsche Volkshochschul-Verband unterstützt Analphabeten unter Ich-will-wählen-gehen.de bei der Wahlvorbereitung. Vertonte Übungen zeigen, wie das Wählen funktioniert, wie man Briefwahlunterlagen beantragt oder wie man den Stimmzettel korrekt ausfüllt. Für einen inhaltlichen Zugang hat der Bundesverband Alphabetisierung und Grundbildung zudem sogenannte Prüfsteine zu acht Themenkomplexen entwickelt. Die von den Parteien in leicht verständlichen Sätzen formulierten Antworten etwa zu Sicherheit, Migration und Bildung sind unter www.alphabetisierung.de zu finden.

Zu lesen ist dort auch, wie sich die Parteien innerhalb der „Nationalen Dekade für Alphabetisierung und Grundbildung 2016–2026“ für die Betroffenen einsetzen wollen. Ein Grundrecht auf Grundbildung halten fast alle großen Parteien für sinnvoll. Unterschiede finden sich vor allem bei den Plänen zur politischen Umsetzung.

Gerhard Prange aus Berlin, 60 Jahre alt, weiß bereits, wen er wählen wird. Den Großteil seines Lebens konnte er nur Namen und Adresse schreiben, seit sieben Jahren baut er seine Fähigkeiten Schritt für Schritt aus. Was zu seiner Wahlentscheidung beitrug? Erziehung, TV-Nachrichten und ein Wahltest in seiner Schule. „Es ist wichtig, wählen zu gehen“, sagt er. Und als Analphabet sei man ja nicht dumm.

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