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Ein IS-Kämpfer 2014 in der syrischen Stadt Rakka.

© REUTERS

Update

Syrien: USA gestatteten IS-Kämpfern Flucht aus Rakka

Mehreren hundert Dschihadisten gelang wohl die Flucht aus ihrer einstigen Hochburg. Nun könnten sie in ihre europäische Heimat zurückkehren - und Anschläge verüben.

Ein Geheimabkommen hat offenbar mit Wissen der Vereinigten Staaten mehreren hundert Kämpfern des „Islamischen Staates“ (IS) die Flucht aus der nordsyrischen Stadt Rakka ermöglicht. Unter den Dschihadisten, denen das Verlassen ihrer damaligen Hochburg erlaubt wurde, gehörten nach einem Bericht der britischen BBC einige ranghohe IS-Vertreter sowie Extremisten aus europäischen Ländern, die jetzt in ihre Heimat zurückkehren könnten.

Das Bekanntwerden des Geheimdeals erschüttert die US-Strategie gegen die Terrormiliz und lässt in der Türkei das Misstrauen gegen die Amerikaner und die syrischen Kurden weiter wachsen. Premier Binali Yildirim sprach von einer „Schande“ und warnte, der Abzug der Kämpfer lasse neue IS-Anschläge in der Türkei und im Westen wahrscheinlicher werden. In dem Bericht der BBC war von einem „schmutzigen Geheimnis“ der Schlacht um Rakka die Rede.

Der Bericht über diese Absprache wurde jetzt von einem US-Regierungssprecher bestätigt. Washington war demnach über die Vereinbarung informiert, betont allerdings, der Deal sei von den lokalen Verbündeten der USA ausgehandelt worden. Die türkische Nachrichtenagentur Anadolu zitierte einen Sprecher des amerikanischen Verteidigungsministeriums mit den Worten, der Deal sei „eine lokale Lösung für ein lokales Problem“ gewesen.

Rakka, die informelle Hauptstadt des „Islamischen Staats“, war im Oktober nach langen Kämpfen von den Syrischen Demokratischen Streitkräften (SDF) eingenommen worden, ein Rebellenverband unter Führung der syrischen Kurden, der von Washington unterstützt wird.

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Konvoi aus Lastern und Bussen

In einem Konvoi aus eigens angemieteten Bussen und Lastwagen wurden die IS-Kämpfer sowie Frauen, Kinder, Waffen und Munition kurz vor dem Fall von Rakka aus der Stadt gebracht. Insgesamt konnten sich so rund 250 IS-Kämpfer sowie etwa 3500 ihrer Familienangehörigen in Sicherheit bringen. Der Bus-Konvoi war laut BBC acht Kilometer lang. Entgegen der ursprünglichen Absprache seien so viele ausländische IS-Mitglieder und Waffen aus der Stadt gebracht worden, dass bei einem Bus wegen Überladung die Achsen brachen.

Viele Extremisten gelangten in den Osten Syriens, wo der IS nach wie vor einige Gebiete beherrscht. Andere setzten sich über die nahe Grenze in die nördlich von Rakka gelegene Türkei ab. Laut BBC berichteten Menschenschmuggler an der syrisch-kurdischen Grenze von einer merklichen Zunahme von Fluchtwilligen aus Rakka in den vergangenen Wochen. Manche IS-Mitglieder wurden in der Türkei festgenommen, doch andere blieben unentdeckt. Damit steigt die Gefahr, das kampferprobte IS-Mitglieder in ihre europäischen Heimatländer zurückkehren, um Anschläge zu verüben.

Insbesondere die Vereinigten Staaten als Hauptunterstützer der Rebellenallianz SDF sehen sich nun kritischen Fragen gegenüber. Verteidigungsminister Jim Mattis betont immer wieder, in Syrien und im Irak werde ein „Vernichtungskrieg“ gegen die „Gotteskrieger“ geführt, mit dem IS-Mitgliedern die Flucht ins Ausland unmöglich gemacht werden solle. Der Kampf gegen die Islamisten werde weitergehen, bis die Extremisten die Waffen streckten, sagte Mattis am Montag. Auch nach den IS-Niederlagen in Rakka und im irakischen Mossul soll der Kampf demnach fortgesetzt werden.

Verhältnis zwischen Türkei und USA ohnehin gestört

Die Geheimabsprache von Rakka steht im Widerspruch zu dieser Strategie. Außerdem dürfte die Vereinbarung das ohnehin erheblich gestörte Verhältnis zwischen den USA und dem Nato-Partner Türkei zusätzlich belasten. Die Forderung aus Ankara nach einem Ende der US-Unterstützung für die syrischen Kurden werden in Washington zurückgewiesen; die Türkei sieht in der syrischen Kurdenmiliz YPG, der stärksten Gruppe innerhalb der SDF, eine Terrororganisation. Erst vorige Woche hatte Amerikas Vizepräsident Mike Pence gegenüber dem türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim betont, Washington werde die YPG auch weiterhin unterstützen.

Premier Yildirim sagte, die Warnungen der Türkei hätten sich als richtig erwiesen. Der IS werde nun mit den aus Rakka geretteten Waffen und Kämpfern in der Türkei, Europa und den USA neue Anschläge verüben.

Im türkischen Staatsfernsehen TRT war am Dienstag von einer „schmutzigen Vereinbarung“ zwischen den syrischen Kurden und dem „Islamischen Staat“ mit Wissen der USA die Rede. In Kommentaren auf Twitter wurde den USA vorgeworfen, öffentlich zwar immer wieder den Kampf gegen den IS zu betonen, dann aber Absprachen mit den Extremisten zu tolerieren.

Präsident Recep Tayyip Erdogan befürchtet, dass die syrischen Kurden dank der Hilfe aus Washington ihren Einfluss im Norden Syriens ausbauen und dort einen eigenen Staat gründen könnten. Vor wenigen Wochen hatte die Türkei erneut Truppen nach Syrien geschickt, um genau das zu verhindern. Bereits im vergangenen Jahr war die türkische Armee mit einer Intervention in Syrien gegen den befürchteten Vormarsch der Kurden eingeschritten.

Russisches Verteidigungsministerium twittert falsche Fotos

Das russische Verteidigungsministerium veröffentlichte am Dienstag auf Twitter Fotos, die angeblich russische Drohnen vom Abzug aus Rakka gemacht hatten. Diese Bilder seien der "unbestreitbare Beweis", dass die USA kampffähige Einheiten des IS eskortiert hätten, um "sie für ihre Interessen im Nahen Osten" zu benutzen, schrieb das Ministerium im Begleittext.

Mindestens zwei der angeblichen "Beweisfotos" hatten jedoch nicht das Geringste mit den Vorgängen zu tun, wiesen Mitarbeiter des Conflict Intelligence Teams, einer Gruppe investigativer Blogger aus Russland, nach. Das eine Foto wurde demnach aus einem für Smartphones entwickelten Computerspiel, dem AC-130 Gunship Simulator, herauskopiert. Ein weiteres stammt aus dem Jahr 2016 und wurde in der Region Falludscha aufgenommen. Kurz nach der Enthüllung nahmen die Moskauer Militärs die beiden Bilder aus dem Netz.

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