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Leila Younes el-Almeide

© Vincent Schlenner

Studieren mit Kopftuch: "Wir stehen unter einem Riesendruck"

Zehn Jahre Kopftuchurteil: Eine Berliner Jura-Studentin berichtet, wie es ist zu studieren, wenn der Traumberuf unerreichbar ist - auch mit noch so guten Noten

Sie haben gerade unter Hochdruck eine Hausarbeit abgegeben. 

Ja. Ich hatte wenig Zeit wegen Job und Ehrenamt – ich engagiere mich in vielen Projekten und musste es deswegen in fünf Tagen hinbekommen. Das passiert mir leider häufiger. Wenn meine Profs das wüssten! Aber ich habe auch schon mal eine sehr gute Note für eine Arbeit bekommen, die ich noch schneller schreiben musste. 

Vielleicht sind Sie einfach begabt? 

Oder ich habe Glück? Auf jeden Fall studiere ich sehr gern Jura, es ist wirklich mein Fach. 

Wie kamen Sie darauf, gab es Vorbilder in der Familie? 

Nein, niemanden. Von meiner Familie leben sowieso nur meine Eltern hier – meine Mutter ist Syrerin, mein Vater Palästinenser. Sie hätten mich lieber in einem Medizinstudium gesehen. Ich bin in Pankow aufgewachsen und habe in Reinickendorf Abitur gemacht. Die Idee mit Jura hatte ich zuerst in der 9. Klasse, weil ich glaubte, das heiße, sich für Gerechtigkeit einsetzen zu können. Ich habe dann aber bald eingesehen, dass Recht haben und Recht bekommen zweierlei ist. Die Idee lag dann erst einmal auf Eis. Nach dem Abitur bin ich dann alle Möglichkeiten durchgegangen und habe mich bewusst für Jura entschieden. Ich fand, da könnte ich meine Stärken sehr gut einsetzen. 

Welche? 

Ich glaube, ich kann gut diskutieren und argumentieren, das hat mir immer schon Spaß gemacht. Und im ersten Semester wusste ich: Das ist es. Selbst wenn ich über langweiligen Hausarbeiten sitze, durch die ich mich quäle, merke ich: Die Struktur des Denkens, das ist meine, das passt und es macht mir Spaß. Manche finden das seltsam. 

Was wollen Sie später einmal mit dem Studium machen? 

Ich wollte von Anfang an Richterin werden. 

Als Sie Ihr Studium begannen, gab es die Kopftuchgesetze der Länder schon. Trotzdem? 

Als ich mich für Jura entschied, habe ich noch keines getragen, es allerdings auch nicht für mich ausgeschlossen. Ich habe damals eine Juristin angeschrieben, die mit Kopftuch arbeitet, ich wusste also, auf was ich mich einließ. 

Und trotzdem so entschieden? 

Ich wollte nicht von vornherein zurückstecken; ich war ja von Jura überzeugt. Ich kann allerdings verstehen, dass viele sich durch die schlechten Aussichten abschrecken lassen. Da spielen schließlich auch Existenzängste mit. Ich weiß allerdings auch, dass Gesetze keinen Ewigkeitswert haben, innerhalb der nächsten sagen wir 20 Jahre kann sich viel ändern, vielleicht nicht die Buchstaben der Gesetze, aber doch ihre Auslegung. 

In 20 Jahren wären Sie 42 Jahre alt. 

Vermutlich wird sich über das europäische Recht, sollte man denn diesen Weg gehen, auch in Deutschland einiges schneller ändern. Ich werde in zwei bis drei Jahren mein Examen machen. Es ist sehr wahrscheinlich, dass der Weg ins Richteramt dann für mich versperrt ist. Was ich dann mache, weiß ich nicht und ich will auch noch gar nicht darüber nachdenken. 

Warum nicht? 

Das würde mir den Elan nehmen. Im Studium denkt man nur daran, wir man das gut hinbekommt. Aber das Wissen um das, was danach kommt, prägt einen natürlich beim Studieren. Ich bin trotzdem zuversichtlich. Es gibt viele Möglichkeiten, als Juristin zu arbeiten, und das werde ich auf jeden Fall tun. Nicht nur weil mir das Fach Spaß macht: Das Studium auch zu anspruchsvoll, um nach den Staatsexamen zu sagen: So, das war’s, ich mach jetzt was anderes. 

Sie könnten schon im Referendariat Probleme bekommen – haben Sie darüber schon nachgedacht? 

Ich weiß. Es ist üblich, im Referendariat auch einmal den Staatsanwalt im Gerichtssaal zu vertreten. Aber das ist nicht zwingend Teil der Ausbildung. Man würde mich vermutlich von diesem Teil „befreien“. 

Was sagen Sie als – angehende – Juristin zu den Kopftuchgesetzen? 

Diese Gesetze unterscheiden sich ja von Bundesland zu Bundesland. Die Entscheidung der Bundesländer, die ein Kopftuchverbot nach dem Urteil des Bundesverfassungsgericht erlassen haben, kann ich nicht nachvollziehen. Die Neutralität innerhalb der Schule zu fordern ist eine Sache, die Neutralität des Menschen eine vollkommen andere! Und der Versuch, das Kopftuch als Symbol mit einem Kreuz zu vergleichen, das an der Wand hängt, ist genauso unverständlich für mich. Die Lehrerin mit Kopftuch ist Grundrechtsträgerin, das Kreuz an der Wand ist es nicht. Der Vergleich mit dem Kreuz an einer Halskette ist genauso hinfällig. Er liegt nahe, aber das Kopftuch kann nicht ebenso problemlos abgelegt werden wie das Kreuz. Man versucht, das Verbot des Kopftuchs mit Argumenten zu legitimieren, die Äpfel mit Birnen vergleichen. 

Aber das Problematische der Forderung nach völliger Neutralität diskutieren Juristen doch auch schon seit Generationen, oder?

Ja, das ist schon sehr lange Thema in der Literatur. Und diese Forderung ist auch keine herrschende Meinung mehr. Man ist schon lange über den Punkt hinaus zu sagen, dass ein Beamter seine Grundrechte beim Eintritt in das Beamtenverhältnis an der Türe abzugeben hat, wie es so schön heißt. Es ist jedoch definitiv keine Mindermeinung, dass eine Richterin, ein Richter „neutral“ zu sein hat. Die Erwartung lautet: Sie üben Hoheitsrechte aus, Sie vertreten den Staat. Und das ist nicht möglich, wenn Sie Ihre religiöse Gesinnung sichtbar nach außen tragen. Das Vertrauen der Beteiligten ins Gericht könnte erschüttert werden. Dabei fällt mir ein, dass mir mal ein Jurist gesagt hat, in Deutschland sei es vermutlich leichter, Richterin mit Kopftuch zu werden als Lehrerin.

Was heißt das? 

Er meinte, die Widerstände seien größer, wenn es um Kinder geht. 

Würden Sie, eine Juristin, selbst klagen, wenn Sie durch das Kopftuch Nachteile bekämen? 

Ich würde wohl eher versuchen, meine Möglichkeiten zu testen. Nein, auch unter Kommilitoninnen ist das noch nie ein Thema gewesen. Im Moment will ich das alles nur einfach gut hinbekommen und mich nicht entmutigen lassen. Was mir aber an uns allen  – ich arbeite in einem Verband muslimischer Akademikerinnen mit - auffällt: Wir stehen unter einem Riesendruck. Keine will sich etwas zuschulden kommen lassen, wir strengen uns unglaublich an, wir studieren sozusagen gegen diese Vorurteile an, die es gegen Frauen mit Kopftuch gibt. Wir wollen uns eigentlich nicht ständig rechtfertigen müssen, aber wir tun es, mit unserer Anstrengung. Wenn wir unter uns sind, fällt dann auch manchmal die Coolness von uns ab. Es ist nicht immer leicht, selbstbewusst zu sein. Kürzlich sagte eine Freundin zu mir: Ich weiß nicht, wie lange ich das noch durchstehen soll. 

Die Angst, die sich mit dem Kopftuch und dem Islam insgesamt verbindet, können Sie die verstehen? 

Was ich verstehe, ist, dass es insgesamt eine zunehmend distanzierte und eher ablehnende Haltung gegenüber Religion oder religiösen Menschen gibt. Ich habe anfangs in Halle studiert; als wir da unter Studierenden einmal über Religionsunterricht an Schulen sprachen – ich war in Berlin freiwillig im evangelischen Religionsunterricht – fiel der Satz: „Das sollen die in ihren Kirchen machen.“ Der Satz kam mir sehr bekannt vor, normalerweise fällt er in Debatten über muslimischen Unterricht. Und das war ein Gespräch an einer Universität, die nach Martin Luther benannt ist! 

Und die Negativ-Bilder speziell vom Islam? 

Wenn man das verbreitete Bild des Islams und der Muslime – wobei es die „Muslime“ sowieso nicht gibt – kennt, dann kann ich die Angst verstehen. Wäre ich nicht selbst muslimisch und hätte diesen Hintergrund und den Kontakt zu vielen Muslimen, hätte ich vielleicht auch Angst. Desto wichtiger wäre ein realitätsnäheres Bild. Wir haben doch eine gute Debattenkultur in Deutschland. Aber im üblichen Polittalk scheint sie zu versagen. Da habe ich schon kein Verständnis mehr. Dass so viele sich auf ihren Vorurteilen ausruhen statt sie in Frage zu stellen. Vielleicht sollte die Schule Empathieunterricht einführen. Ja, vielleicht wär’s das. 

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