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Nützlich für die Union? Vom Aufstieg der Rechtspopulisten erhofften sich Strategen auch Hilfe gegen Rot-Rot-Grün.

© Matthias Schumann/REUTERS

Streit um angebliche CDU-Strategie: AfD als "Chance für die Union"?

Hat sich die CDU im Wahlkampf wenig um die AfD gekümmert, weil sie von den Rechtspopulisten im Kampf gegen Rot-Rot-Grün profitieren wollte? In einem jetzt aufgetauchten Papier wurde ihr das empfohlen.

Haben Angela Merkel und ihre CDU die Rechtspopulisten der AfD im Wahlkampf gewähren lassen, weil sie insgeheim von ihnen profitieren und auf diese Weise Rot-Rot-Grün verhindern wollten?

Das CDU-Präsidium habe sich dies im April 2016 zumindest als Strategie empfehlen lassen, behauptete der „Welt“-Journalist Robin Alexander am Sonntag abend in der ARD-Sendung „Anne Will“ – und verlinkte die damals angeblich in der Parteizentrale diskutierte Studie wenig später im Internet. Verfasst hat sie der Chef der Forschungsgruppe Wahlen, Matthias Jung - unter der Überschrift: "Die AfD als Chance für die Union."

Doch der Autor widerspricht. Von einem Strategiepapier könne keine Rede sein, sagte Jung dem Tagesspiegel. Es handle sich um einen Zeitschriftenaufsatz, den er bereits im Herbst 2014 verfasst habe. Bei dem Treffen im Konrad-Adenauer-Haus habe er nur eine ganz gewöhnliche Analyse zurückliegender Landtagswahlen vorgetragen.

"Mehr Segen denn Fluch für die Union"

Allerdings hat es auch der drei Jahre alte Text in sich - und in der CDU hören sie auf den Forscher. Eine Etablierung der AfD biete "für die Union sogar eine doppelte Chance", schrieb Jung in seiner zehnseitigen Analyse. „Zum einen wird ihre Fokussierung auf die politische Mitte glaubwürdiger, wenn rechtspopulistische Positionen außerhalb der Union ihre Heimat finden. Und zum anderen wird es schwerer für Rot-(Rot-)Grün, zu parlamentarischen Mehrheiten zu kommen.“ Insofern könne „sich das Erscheinen der AfD im politischen System mehr als Segen denn als Fluch für die Union erweisen“.

AfD-Wähler, so befand der Autor, seien "mehr politisch und ökonomisch frustrierte Protestwähler und weniger von der CDU enttäuschte Abweichler". Deshalb drohe der Union von ihnen "keine überdurchschnittliche Beeinträchtigung". Ein weitgehendes "rechts-Liegenlassen" der Rechtspopulisten verspreche "den größeren Effekt".

AfD "hilfreich für die Verbesserung der Glaubwürdigkeit"

Die CDU müsse auf ihrem "Modernisierungskurs" bleiben, forderte Jung. Sie dürfe "nicht als die Partei der Ewiggestrigen verdächtigt werden, die versucht, mit den Antworten von gestern die Probleme der Zukunft lösen zu wollen". Und die Etablierung der Rechtspopulisten könne sich "dabei als hilfreich für die Verbesserung der Glaubwürdigkeit der Union erweisen". Denn "durch die bloße Existenz der AfD" würden CDU und CSU "vom latenten Vorwurf befreit, rechts zu sein, was anders als in den meisten europäischen Ländern in Deutschland einen stigmatisierenden Charakter" habe.

Hinzu komme, so heißt es weiter in Jungs Papier, "dass sich durch den Einzug der AfD in wichtige westliche Landtage (...) die Chancen für parlamentarische Mehrheiten von Rot-Grün oder sogar Rot-Rot-Grün deutlich verringern". Dies sei "jedenfalls dann der Fall, wenn weiterhin wesentliche Teile der AfD-Wählerschaft nicht nur aus dem Unionswählerlager kommen".

Kramp-Karrenbauer: Es gab keine Festlegung auf diesen Kurs

Die saarländische Regierungschefin Annegret Kramp-Karrenbauer, die als Präsidiumsmitglied an der Sitzung im Frühjahr 2016 teilnahm, beteuerte in der Talkrunde, dass sich die CDU für die Bundestagswahl niemals strategisch auf einen derartigen Kurs festgelegt habe. Doch faktisch lief es darauf hinaus. Der Chef von Merkels Kampagnen-Agentur Jung von Matt bedauerte jedenfalls im Nachhinein, sich im Wahlkampf auf den falschen Gegner konzentriert und zu wenig um Protestwähler gekümmert zu haben. "So haben wir vielleicht erst geholfen, das zu ermöglichen, was wir genau verhindern wollten", resümierte Thomas Strerath selbstkritisch im Medien-Fachmagazin "Horizonte". 

Thesen erwiesen sich als richtig und falsch zugleich

Der rechtskonservative Publizist Hugo Müller-Vogg wiederum beharrte schon früh darauf, dass es gerade umgekehrt sei wie von Jung propagiert. „Die AfD schwächt die Union und macht damit Links-Bündnisse erst möglich“, schrieb er im September 2016. „Ohne AfD hätte es in Thüringen nicht für Rot-Rot-Grün gereicht, in Rheinland-Pfalz nicht für die Fortsetzung von Rot-Grün mit der FDP als Mehrheitsbeschaffer.“

Für die Bundestagswahl erwies sich Jungs These übrigens als richtig und falsch zugleich. Die Merkel-Methode, sich auf die bürgerliche Mitte zu konzentrieren, führte – egal, ob strategisch initiiert oder nicht – tatsächlich dazu, dass es am Ende nicht gereicht hat für Rot-Rot-Grün. Sie bescherte der Union in Kombination mit Merkels Flüchtlingspolitik aber auch ein Wahldesaster historischen Ausmaßes. Und dem Land erstmals jede Menge Rechtspopulisten im Parlament.

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