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The Hausmeister. Kimo von Rekowski leitet das Projekt in der Nürnberger Straße. Er hatte es irgendwann satt, mit Street-Art kein Geld zu verdienen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Street-Art in Berlin: Wenn Künstler und Investoren plötzlich miteinander klarkommen

Graffiti-Sprayer und Immobilien-Investoren waren in Berlin immer natürliche Feinde. Mit "The Haus" kooperieren sie nun. Wer mehr profitiert, ist offen.

Er hätte es auch einfacher haben können. Der Immobilienentwickler Pandion hätte bloß die voll funktionsfähigen Büros des ehemaligen Volksbank-Gebäudes in der Nürnberger Straße temporär vermieten müssen, an Start-ups, einen Pop-up-Store. Er hätte es sicher losgekriegt in dieser Lage direkt hinterm Tauentzien. Für die paar Monate, bis im Juni die Bagger für den Abriss anrücken, damit ab Oktober luxuriöse Wohnungen entstehen können.

Nun aber stehen jeden Tag 2000 Leute vor der Tür, und nur 1500 kommen rein. Das ganze Haus ist von Künstlern dekoriert mit Graffiti. Es heißt „The Haus“, das klingt ein bisschen wie „Los Wochos“, und tatsächlich wird es nur acht Wochen zu sehen sein.

Die Erzählung der Künstler geht so: 175 Männer und Frauen, fünf Etagen Ausstellungsfläche. Monatelang haben sie ohne Bezahlung bald jeden Quadratzentimeter des Hauses bemalt und beklebt. Geplante Zerstörung aller Werke: Ende Mai. Für acht Wochen firmiert der Ort als „die größte temporäre Street-Art-Galerie der Welt“. Seitdem hat Berlin endlich wieder etwas zu verpassen.

Künstler und Investoren sahen sich als natürliche Feinde

Die Erzählung der Immobilienentwickler geht so: 65 Eigentumswohnungen mit 3800 Quadratmetern Wohnfläche entstehen, Projektvolumen 28 Millionen Euro. Fertigstellung: Herbst 2019. Und zwar an dem legendären Ort, an dem zuvor „die größte temporäre Street-Art-Galerie der Welt“ zu Hause war. Berlin ist, wenn durch den sexy Klang von „Zwischennutzung“ ein ungeliebter Ort zu einem Hotspot wird. Zehn Tage nach der Eröffnung müssen sie schon 5000 Kataloge nachdrucken.

Früher hat so ein Prozess Jahre gedauert. Da standen Häuser so lange leer, bis Künstler auf die Ruinen aufmerksam wurden. Sie haben sie sich angeeignet, verlegten die nötigste Infrastruktur, erfanden Galerien, Bars, Clubs und alle Mischformen davon. Viel später kamen Investoren und verdrängten die Künstler. Beide begriffen einander als natürliche Feinde. Die Welt begriff das als „Berlin“. Die Fotogalerie C/O Berlin kämpfte Jahre um ihren Standort in der Oranienburger Straße. Die Künstler im Tacheles haben zum Ende hin nicht viel mehr gemacht, als einfach nicht wegzugehen und den Widerstand aufrechtzuerhalten.

„The Haus“ ist der vorläufige Höhepunkt der beschleunigten Stadtentwicklung Berlins, denn hier finden all diese Prozesse nicht mehr nacheinander, sondern gleichzeitig statt. Und es ist ein Wunder geschehen: Alles passiert in gegenseitigem Einverständnis. Mit gemeinsam beschlossenen Regeln, Brandschutzauflagen, einer soliden Finanzierung und Garderobe. Der 1. April war der Startschuss für das Kunstprojekt – und zugleich das Datum für den Vertriebsstart der Wohnungen. Kann das funktionieren? Ist die Anmutung von Widerstand ohne den Widerstand selbst denkbar?

Der Künstler, der sich Señor Schnu nennen lässt, steht vor 15 Besuchern im Erdgeschoss, es ist Tag 11 im Leben des Hauses als Galerie. Sie haben für die Führung ihre Taschen an der Garderobe abgegeben und je Teil einen Euro gezahlt. Was die Frage aufwirft: Ist Street-Art mit Garderobenmarken noch Street-Art?

Es wurden zehntausende Euro für die Kunst geboten - doch alles wird zerstört

„Hier kommen einmal Luxuswohnungen hin. Aber das passiert ja sowieso.“ Señor Schnu ist eine grundsympathische Haut aus dem Rheinland mit einer aufrichtigen Bewunderung für die zurückgelehnte Illegalität, wie sie zum Beispiel die anonyme Truppe „Rocco und seine Brüder“ zelebrieren. Die haben ein Stück Schiene komplett mit Gleisbett und Kabeln aus dem Netz der BVG geschnitten und in Raum 504 platziert. Ein Film zeigt, dass das alles in größtmöglicher Coolness und ohne Hast geschah.

Die Künstler sind nach eigener Beschreibung der „Endgegner“ des Gebäudes. Sie gegen die Bank. Gegen das Geld. Und das im Herzen der Konsumkultur. Schnu erzählt, wie die Büroteppiche der Volksbank literweise die Farbe aufsogen, die ein Baustoffhandel gesponsort hatte. Er führt in konsumkritische Räume, einer zeigt den „Money-Dance“, wo Figuren mit Köpfen, die man von internationalen Geldscheinen kennt, vor West-Berliner Schablonen tanzen. Eine Toilette ist, nur aus der Nähe erkennbar, rundum mit einer Arschloch-Tapete tapeziert. Ein echtes Arschloch neben dem anderen, ein Quadrat Haut um ein Loch herum. Keines ist vom anderen zu unterscheiden.

Schnu zeigt einen Raum, in dem hüfthoch ein großer Knoten orangefarbener Kabel liegt: „Das eigentliche Herz der Bank“, sagt Schnu, denn durch diese Kabel, die der Künstler im ganzen Haus aus den Wänden gezogen hat, sind jahrelang die Gelder geflossen. Einige zehntausend Euro sind schon geboten worden für diesen Kabelkunsthaufen. Aber das ginge natürlich nicht: Wenn das Projekt „The Haus“ davon lebt, dass alles zum Ende der Ausstellung zerstört wird, wäre mit einer Ausnahme das ganze Konzept kaputt, die Glaubwürdigkeit hin. Die Besucher nicken.

Und dann erreicht die Gruppe um Señor Schnu dessen eigenes Kunstwerk, vierte Etage, Raum 409. Er hat 200 Kilo Moos auf einem Truppenübungsplatz gesammelt und sie mit 300 Kilo Joghurt lückenlos rundum an Wände und über eine Sofalandschaft geklebt. Nur in der Mitte steht frei von Moos ein weißer Stuhl mit Tisch und aufgeklapptem MacBook. Schnu sagt, es soll darauf hinweisen, dass die Dinge oft nicht so sind, wie sie scheinen. Auch in den Wohnungen der Leute, die nach außen grün tun, stecke, wenn man genau hinsehe, eben doch überall Ikea drin. Die Leute nicken wieder. Sie kennen diese Widersprüche im Leben.

"Von außen sind wir die kommerziellen Atzen"

Yasin Tuncer, der beim Entwickler Pandion für das Grundstück Zuständige, federt alert, wie in seinen schmalen, blauen Anzug gegossen. Es ist die Freude darüber, als Entwickler etwas gewagt zu haben, das nun alle Erwartungen übertrifft. Es war eine ganz einfache Rechnung: Sie multiplizierten die Quadratmeter mit der erzielbaren Miete für ihr voll funktionsfähiges Gebäude in bester Citylage: Das wäre das Geld, das sie verlören, wenn sie bis zum Abriss keinen Zwischenmieter fänden. Auf die Graffiti-Künstler stießen sie im Business-Netzwerk „Außergewöhnlich Berlin“. Die Kosten werden mit einer Querfinanzierung aus Fassadenwerbung gedeckt. Es könnte ein Modell für Berliner Immobilienentwickler werden, die mit dem Temporären werben, das die Welt ja längst als Markenkern Berlins erkannt hat.

Der Veranstalter und das Gehirn hinter „The Haus“ ist Kimo von Rekowski. Er verbringt alle Tage hier. Kimo ist gerade sauer. „Wie ist die reingekommen?“, fährt er den Sicherheitsmann an. In einem oberen Stockwerk ist Micaela Schäfer mit einem Fotografen zugange und macht ihre „Tittenfotos“. Das notorische Nacktmodel hat sich reingeschlichen und die Security überwunden. Kimo ist nicht sauer wegen der Brüste – Kimo hat Verständnis dafür, wenn jeder seine Interessen verfolgt –, sondern weil zugleich Kinder im Haus sind.

Von Rekowski, für alle nur Kimo, ehemals bei der Bundeswehr, dann Inhaber eines Großhandels für den Bedarf von Tattoo-Geschäften, ist zusammen mit „Jörni“ Jörn Reiner und „Bolle“ Marco Bollenbach die Firma xi-Design. In ganz Berlin verwandeln sie Brandwände für Firmen in riesige Spray-Gemälde. Ein Zwitter zwischen Kunst und Werbung. „Von außen sind wir die kommerziellen Atzen“, sagt Kimo. Einige Sprayer nehmen ihnen übel, dass sie die Kunst der Straße an große Firmen verkaufen. Dabei haben sie nur irgendwann nicht mehr eingesehen, warum Street-Art-Künstler eigentlich immer arm sein müssen.

Wollt ihr ein ganzes Haus?

Kimo und Jörn haben seit den 90ern fast jedes Street-Art-Festival in Europa besucht. Sie kennen die Szene. Sie stellten fest: Auch nach Jahren noch war alles immer sehr Hip-Hop, „kein Budget, keine Dosen zum Sprayen, kein Bier“. Das nervte. Mittlerweile arbeiten 40 Leute für sie. „Wir sind die Plakatmaler der Zukunft“, sagt Jörn. Sie sind stolz, Tagesgagen zu zahlen, mit denen die Sprayer ihre Familien ernähren können. Denn xi-Design sprüht längst für Auto-, Getränke- und Sportartikelhersteller.

Zum Netzwerk „Außergewöhnlich Berlin“ stießen sie zum ersten Mal in den Räumen eines Juweliers, im „Salon Bucherer“. Ausgerechnet. Kimo kam beinahe nicht rein mit seiner Basecap und der Bomberjacke, „dann habe ich gesagt, Digger, ich hab ’ne Einladung“. So funktioniert jetzt Berlin. Die Kunst besteht im Netzwerken. Im Januar poppte eine Mail auf: „Wollt Ihr ein ganzes Haus?“ Seitdem gehen ihre Projekte in die dritte Dimension.

Kimo sah Vorteile für alle: Der Investor bekam Interesse für seinen Ort, die Künstler eine Möglichkeit, sich zu präsentieren, und sie selbst hofften, ihr Netzwerk mit den Künstlern auszubauen, wenn sie hier die Szene versammelten. Sie mussten nun „alle Kanäle anzapfen“. Sie brauchten Sponsoren, „im Raum standen Nebenkosten, die gedeckt werden mussten“. Am meisten beeindruckt sind sie selbst, wie gut das funktionierte. Es ist, sagt Kimos Kompagnon Jörni, als würdest du bei einem Hampelmann am Faden ziehen, und alle Arme gehen nach oben. „Im Sommer“, sagt Kimo, „wäre das gar nicht gegangen.“ Da wären die Künstler auf Festivals gebucht oder mit Aufträgen unterwegs. Aber im Februar? „Es gibt eine funktionierende Heizung, Farbe und Getränke, wir machen uns einen schönen Winter“, lockte er. 300 Leute stellten sich vor, schnell entstand eine Warteliste. Einige Künstler verbrachten Wochen in dem Haus.

Die drei von xi-Design nennen sich, wenn sie selber Wandgemälde sprühen, „Die Dixons“. Sie sind seit mehr als 20 Jahren Freunde. Ihr Prinzip: Netzwerk und Vertrauen, keine Konkurrenz. Sponsoren nennen sie „Buddies“. Yasin Tuncer von Pandion zieht den Hut vor so viel Marketing-Talent. Auch Plakate in München und Köln werben ja für „The Haus“ in Berlin. Dort hat Pandion auch seine Bürostandorte. Es ist die Aufhebung der Kampfzone zwischen Immobilienentwicklern und Künstlern: Man bekämpft sich nicht. Man ist beeindruckt voneinander.

Jörn Reiners sagt: „Das Ehrliche an der Offerte des Investors war, dass er offensiv gesagt hat, er will hier seinen Standort stärken. Ich habe gesagt, ich kann euch nicht euren Vertrieb machen. Aber ich kann 50 000 Leute hier am Ort vorbeiführen.“ Später, wenn das Haus weg sei, werde es virtuell noch da sein. Jederzeit abrufbar. „Da haben bei denen alle Glocken geklingelt.“

Nun sind alle Seiten begeistert. Eine Win-win-win-Situation. Oder?

Der Geruch des Joghurt-Kunstwerks hat sich über Nacht ausgebreitet

Der Zeitschrift „Immobilienwirtschaft“ sagte der Berliner Niederlassungsleiter Mathias Groß, er wolle mit „The Haus“ ein Zeichen in der Gentrifizierungsdebatte setzen. Er stelle in einem Non-Profit-Projekt Raum für Künstler bereit, damit Berlin bleiben könne, wie es ist. Zugleich treibt er jedoch die Bekanntheit seiner Immobilie voran, die sonst, gegenüber einer 24 Stunden genutzten Mietwagen-Parkhausausfahrt gelegen, längst nicht so attraktiv erschiene.

Haben die Künstler nicht Sorge, doch vor dem Karren des Entwicklers zu laufen, mit ihrer Kunst die Preise für die Wohnungen zu treiben? Das ist doch Berlins empfindliche Stelle. Kimo?

„Gentrifizierung am Ku’damm?“ Kimo und Jörni schnauben los. „Da kannst du nichts falsch machen. Da ist ja Gucci schon da, Alter.“ An der Kreuzberger Cuvry-Brache hätten sie sich geweigert, und auch, wenn aus dem Haus Familien hätten ausziehen müssen. Aber dies hier war schließlich eine Bank – und es kommen nun immerhin Wohnungen hinein.

Win-Win-Win-Win.

Am Montag, wenn das Underground-Haus wie ein Museum für Normalmenschen geschlossen ist, kommen Kunden und Geschäftsfreunde des Investors mit makellosen weißen Turnschuhen und Neugier im Gesicht. Señor Schnu macht eine Führung nach der anderen. Eine Kundin, die schon eine Wohnung bei Pandion gekauft hat, trifft hier auf ihre zukünftige Nachbarin. Die erkennt in der kreativen Zwischennutzung „die DNA Berlins“.

Einige gehen trotzdem mit gemischten Gefühlen durch das Haus.  Vielleicht sind sie ja in Wahrheit Illusionskünstler hier. Sie produzieren die Illusion einer Gegen-Kunst, die längst kooperiert. Ist künstlerischer Widerstand in der faktischen Kooperation glaubhaft? Oder bleibt nur ein komisches Gefühl zurück, weil in vielen Fotos wie zufällig eine Bierflasche des Sponsors platziert wird?

Die Kunst hat die Wirtschaft verstanden

Dann schlägt einem im vierten Stock plötzlich wilder Geruch entgegen. Der Geruch aus Señor Schnus JoghurtMoos-Raum hat sich am Wochenende über den ganzen Gang ausgebreitet. Jeden Morgen muss jetzt eine Stunde gelüftet werden. Es trauen sich nicht alle hinein, „sonst kippe ich noch um“. Wenigstens die Mägen revoltieren noch.

Die Potsdamer Architekten Axthelm Rolvien, die den Wettbewerb für die Gestaltung des Neubaus gewonnen haben, dachten sich große Metallschilder für die Fassade aus, die über zwei Stockwerke führen, damit die Bewohner nicht immer frontal auf die gegenüberliegende Parkhauseinfahrt gucken werden. Der Blick aus den Erkern wird auf Attraktiveres gelenkt. Einerseits Richtung Tauentzien, andererseits Richtung Zoofenster: „Wenn Sie eher links eine Wohnung haben, sehen Sie ins Grün. Das wird toll“, sagt Yasin Tuncer.

Und dann ist doch noch alles anders. Da hat man in Berlin immer Angst, dass die Wirtschaft die Kunst instrumentalisiert. Doch hier hat plötzlich die Kunst die Wirtschaft verstanden. Zurzeit verleiht die Firma xi-Design Mercedes Benz mit einer großen Kampagne an fünf Berliner Brandwänden eine Sprühladung Street Credibility. Mitgemalt haben 14 Künstler aus „The Haus“.

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