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Ausgerechnet. Sachsen liegt bei der Geburtenrate im bundesweiten Vergleich weiter an der Spitze.

© dpa

Stimmung in Deutschland: Deutsche haben mehr Angst, aber kriegen mehr Babys

Wie passt das zusammen? Die Deutschen haben immer mehr Angst und bekommen immer mehr Kinder. Und das ist längst nicht die einzige Ungereimtheit kurz vor Jahresende. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Von Ludwig Wittgenstein, dem klugen Schlitzohr, stammt auch dies: „Ein philosophisches Problem hat die Form: Ich kenne mich nicht mehr aus.“ Im richtigen, also dem nicht-philosophischen Leben kennen sich die meisten natürlich ganz gut aus. Die wissenschaftliche Forderung nach Widerspruchsfreiheit soll möglichst bis in den Alltag hinein gelten. Das Sich-nicht-Auskennen wird deshalb als Makel bewertet. Über die Deutschen wiederum wird traditionell ziemlich viel nachgedacht, über das Tiefgründige ihres Wesens, das Rätselhafte, ihre Geschichte und so. Aber manchmal verblüffen sie einen doch.

Die „German Angst“ sei zurück, heißt es pünktlich zum Jahresausklang. Die Mehrheit der Deutschen blickt verunsichert in die Zukunft, hat das Meinungsforschungsinstitut GfK ermittelt. 55 Prozent der Befragten sind pessimistisch, im Vorjahr waren es 31 Prozent, 2013 immerhin 28 Prozent. In der Erhebung war nicht nach Gründen für die Angst gefragt worden, darüber lässt sich allenfalls spekulieren. In der jüngeren Generation hat sich der Anteil der Furchtsamen seit 2013 sogar mehr als verdoppelt.

Die Geburtenrate in Deutschland ist auf dem höchsten Stand seit 1990

Die Jüngeren wiederum sind diejenigen, die maßgeblich für eine andere Meldung des Tages verantwortlich sind: Die Geburtenrate in Deutschland ist auf dem höchsten Stand seit 1990. Sie ist zum dritten Mal in Folge gestiegen, in allen Bundesländern gab es ein Plus. Das teilte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mit. Doch wie verhält sich das zur „German Angst“? Wenn Zukunftsangst zu Kindern führt, kippt der gesamte Ansatz der Familienpolitik – Elterngeld, Kitaplätze, umfassende Versorgung. Da stimmt was nicht.

Und nicht nur da. Das Institut für Demoskopie Allensbach schmeißt die nächste Ungereimtheit auf den Nachrichtenmarkt. 58 Prozent der deutschen Spitzenkräfte, im Volksmund „Elite“ genannt, lehnen eine Obergrenze für Flüchtlinge ab. In der politischen Klasse sind es sogar mehr als drei Viertel der Befragten. Gleichzeitig gebe es in der gesamten Elite eine weitgehende Übereinstimmung, sagt Allensbach-Chefin Renate Köcher, dass in der Flüchtlingspolitik „ein Kontrollverlust eingetreten ist“. Dennoch: Mehr als 80 Prozent halten die Bilanz der zehnjährigen Kanzlerschaft von Angela Merkel für gut oder sehr gut.

Tja, die Merkel. Wer hätte je gedacht, dass sich die Chefin einer zwischen Mitte und rechts zu verortenden Volkspartei mal dafür rechtfertigen muss, zu viele Flüchtlinge ins Land zu lassen, während ihre konservativen Mitstreiter vor allem die Sorge umtreibt, dass die Flüchtlinge nicht ausreichend die Rechte von Frauen und Homosexuellen achten? Verkehrte Welt im richtigen Leben. Zum Verrücktwerden, murmeln die einen, die anderen lächeln erheitert zurück.

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