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Keiner entgeht der Steuer.

© Hans-Jürgen Wiedl/dpa

Steuern und Abgaben: Maximal belastet

Die Höchstbelastung mit Steuern und Abgaben setzt in Deutschland schon bei mittleren Einkommen ein. Zwar verteilt der Staat auch viel zurück. Aber im internationalen Vergleich ist die Belastung hoch.

Die Deutschen klagen gern über ihre Steuern und Abgaben, und im internationalen Vergleich zahlen sie auch viel ans Finanzamt und in die Sozialkassen. Andererseits verteilt der deutsche Staat das Eingenommene auch wieder zurück, über Sozialleistungen, Investitionen, Subventionen. Manchen verteilt er zu viel, anderen genügt es nicht. Der Streit um gerechte Belastung und gerechte Entlastung wird daher auch im kommenden Bundestagswahlkampf eine zentrale Rolle spielen.

Daran hat auch die große Koalition ihren Anteil. Denn steuer- und abgabenpolitisch hat sie seit 2013 eher unauffällig agiert. Union und SPD neutralisierten sich gegenseitig – die schwarze Seite war gegen Steuererhöhungen, der rote Partner widersetzte sich größeren Steuersenkungen. Was blieb, war ein maßvoller Ausgleich der so genannten kalten Progression – die Koalition machte sich an den Einstieg in eine regelmäßige Anpassung der Steuerlast an die Preissteigerung. Die Reform der Erbschaftsteuer (und auch da nur für Unternehmenserben) war ein Auftrag des Bundesverfassungsgerichts. Es waren, so gesehen, verlorene Jahre. Dabei gibt es dringenden Handlungsbedarf.

Was planen die Parteien für den Wahlkampf?

Große Überraschungen hat es bisher nicht gegeben. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat für den Wahlkampf seiner Partei einen Entlastungsspielraum von 15 Milliarden Euro im Jahr ausgemacht. Profitieren soll die untere Mitte, also Arbeitnehmerhaushalte bis etwa 60000 Euro Jahreseinkommen. Außerdem will die Union den Solidaritätszuschlag abbauen, was alle entlastet, vor allem aber Besserverdiener. Auch Unternehmen sollen etwas bekommen, über eine steuerliche Förderung von Forschungsausgaben.

Deutlich mehr Spielraum sieht die FDP, die ein Entlastungsvolumen von 30 Milliarden Euro ausgemacht hat. Was Schäuble in der schwarz-gelben Koalition noch verhinderte, soll nun endlich kommen: die automatische Anpassung der Steuertarife an die Inflation.

SPD, Grüne und Linke haben zwar auch die Mitte im Blick, setzen aber noch andere Akzente. Die Sozialdemokraten wollen Geringverdiener entlasten, und zwar über die Sozialversicherungsbeiträge. In unterschiedlichem Ausmaß streben SPD, Linke und Grüne höhere Steuern für Vermögende an, etwa durch die Abschaffung der Abgeltungsteuer. Was droht, ist ein steuerpolitischer Wahlkampf mit bekannten Slogans und viel Routine. Dabei wäre einiges zu tun, denn bei Steuern und Abgaben sind die Ungleichgewichte nicht mehr zu übersehen.

Wie gerecht ist das deutsche Steuer- und Abgabensystem?

Die bestehende Unwucht, und zwar zu Lasten der unteren und mittleren Einkommen, hat am Dienstag einmal mehr eine wissenschaftliche Studie hingewiesen. Das Rheinisch-westfälische Institut für Wirtschaftsforschung kommt darin zum Schluss, dass die Belastung der Bürger mit Steuern und Abgaben zuletzt wieder gestiegen ist.

Auftraggeber war die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung. Weil das RWI einige zusätzliche Kostenfaktoren berücksichtigt wie die EEG-Umlage, die Rundfunkgebühr oder die Lkw-Maut (die auf die Preise durchschlägt), kommt es auf eine etwas höhere Abgabenquote als die offizielle Statistik oder andere Studien. Demnach liegt die Quote (bezogen auf 2015) bei 41,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, das sind 1,6 Prozentpunkte mehr als 2010.

Die Belastung der einzelnen Einkommen steigt im unteren Bereich wegen der Progression bei der Einkommensteuer steil an. Bei gut 35000 Euro Jahreseinkommen (in einem Haushalt) wird nach den RWI-Berechnungen bereits die obere Grenze erreicht, die bei knapp 45 Prozent liegt. Und danach tut sich praktisch nichts mehr. Die relative Belastung sinkt sogar leicht mit wachsendem Haushaltseinkommen.

Das heißt: Zwar ist die Einkommensteuer progressiv angelegt, die Belastung steigt hier mit dem Einkommen. Aber für das Gesamtsystem inklusive Sozialbeiträgen, Mehrwertsteuer und allen anderen Steuern und Abgaben gilt das nicht. Die höchste Belastung wird mit 44,5 Prozent bei Einkommen zwischen 70000 und 80000 Euro erreicht und fällt dann wieder etwas. Nimmt man allein die Arbeitnehmerhaushalte (rechnet also Selbständige oder Rentner heraus), kommt das RWI sogar auf eine Höchstbelastung der Einkommen von 48 Prozent im Bereich zwischen 40000 und 80000 Euro, also in der oberen Mitte.

Allerdings ist auch zu bedenken, dass zum Beispiel Privatversicherungen nicht in diese Rechnung einfließen. Zum Gesamtbild gehört zudem, dass Gutverdiener und Reiche mit ihrem hohen Steueraufkommen nicht unwesentlich zu den Zuschüssen an die Rentenkasse aus dem Bundeshaushalt beitragen. Andererseits entlasten Sozialtransfers oder das Kindergeld die unteren und mittleren Einkommen. Allerdings werden diese staatlichen Leistungen zu einem guten Teil auch aus der Mitte heraus finanziert – der RWI-Ökonom Roland Döhrn fasst das in dem Satz zusammen, „die nicht ganz Reichen zahlen für die nicht ganz Armen“.

Auch die Belastung mit den einzelnen Steuern und Abgaben ist unterschiedlich. Im unteren Bereich schlägt vor allem die Mehrwertsteuer zu, ab 20000 Euro sind es vor allem die Sozialversicherungsbeiträge, die ein Einkommen schmälern, erst ab 60000 Euro macht die Einkommensteuer (inklusive Kapitalsteuern) den größten Anteil aus. „Die Belastung der Bürger ist deutlich höher, als uns vorher bewusst war“, lautet das Fazit von RWI-Chef Christoph Schmidt, der auch Vorsitzender der „Wirtschaftsweisen“ ist und damit ein führender Berater der Bundesregierung. Der Vize-Vorsitzende der Naumann-Stiftung, Karl-Heinz Paqué, sagte: „Wir haben dringenden Korrekturbedarf bei den unteren und mittleren Einkommen.“

Wie steht Deutschland im internationalen Vergleich da?

In der jährlichen Übersicht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) ist Deutschland bei der Steuer- und Abgabenbelastung der Bürger seit Jahren weit oben. Das hat sich am Dienstag im neuesten OECD-Bericht wieder bestätigt. Vor allem im Fall von Singles, also alleinstehenden Arbeitnehmern ohne Kinder. Mit einer Belastungsquote von 49,4 Prozent liegt die Bundesrepublik in dieser Gruppe auf dem zweiten Platz (oder, je nach Sichtweise, auf dem vorletzten). Höher ist die Belastung nur in Belgien. Der OECD-Schnitt lag 2016 bei 36 Prozent.

Immerhin ist die Belastung deutscher Singles seit dem Jahr 2000, als sie bei 52,9 Prozent lag, zurückgegangen. Etwas besser sieht es für Einverdienerpaare mit zwei Kindern aus. Hier lag die deutsche Quote im vorigen Jahr bei 34 Prozent, was den neunten Rang bedeutet. Der Schnitt in der OECD: 26,6 Prozent.

Wie sieht die globale Verteilungsgerechtigkeit aus?

Zur Debatte um ein reformiertes Steuer- und Abgabensystem hat der Internationale Währungsfonds (IWF) jetzt eine wichtige Erkenntnis beigesteuert. Dessen Ökonomen schlagen Alarm, weil der Anteil der Arbeitseinkommen am Gesamteinkommen in den einzelnen Staaten seit Jahren zurückgeht. Was im Umkehrschluss bedeutet, dass der Anteil der Einkommen aus Kapital wächst. Weltweit ist dieser Trend dramatisch: Lag der Anteil, den Arbeitnehmer mit ihren Einkommen zum nationalen Einkommen beitrugen, in den Siebzigerjahren noch deutlich über 50 Prozent, sank er in der Finanzkrise nach 2008 auf weniger als 40 Prozent und hat seither kaum zugelegt.

Die IWF-Wissenschaftler werten dies als Trend zu größerer Ungleichheit bei den Einkommen. Zu den Kapitalbesitzern gehören zwar angesichts des weltweit gewachsenen Wohlstands auch immer mehr Arbeitnehmer, aber der Löwenanteil konzentriert sich am oberen Ende. Die Ursache für diese Entwicklung sieht der IWF einerseits in der technologischen Entwicklung: Digitalisierung vernichtet zunehmend Arbeitsplätze vor allem für normal Qualifizierte, also die Mitte der Arbeitnehmerschaft. Dazu kommt, mit Blick auf die alten Industriestaaten, die Globalisierung mit ihrer Auslagerung von Arbeit in billiger produzierende Länder.

Üblicherweise hält sich der IWF mit Vorschlägen an die Politik zurück. Doch kommt der gerade veröffentlichte „Weltwirtschaftliche Ausblick“ der Organisation zu dem Schluss, dass bessere Ausbildung und Qualifizierung zwar ein guter Plan sei, mit dem Problem umzugehen, aber kein ausreichender: Notwendig sei auch mehr Umverteilung. Was für eine höhere Besteuerung von Kapitaleinkommen spricht.

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