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Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hat beim Deutschen Ärztetag klare Worte zum Urteil gefunden.

© Patrick Seeger/dpa

Sterbehilfe-Urteil: Gröhes Widerstand könnte zwecklos sein

Der Bundesgesundheitsminister lehnt eine Gerichtsentscheidung ab, wonach tödliche Medikamente an Leidende abgegeben werden müssen. Jetzt muss er auf den Gesetzgeber hoffen. Ein Kommentar.

Es ist selten, dass sich Regierende Gerichtsurteilen widersetzen. Zu erinnern ist an den damaligen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, der sich Mitte der 90er Jahre gegen die Entscheidung des Verfassungsgerichts auflehnte, dass die bayerische Aufhängepflicht für Schul-Kruzifixe die Glaubensfreiheit von Schülern verletzt. Bekannt sind auch sogenannte Nichtanwendungserlasse, mit denen die Steuerbehörden dazu angehalten werden, für den Fiskus nachteilige Urteile des Bundesfinanzhofs zu missachten.

Jetzt macht Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) von sich reden, weil er sich nicht dem Sterbehilfe-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts beugen will. „Ich werde alles, was mir möglich ist, tun, damit keine staatliche Behörde, erst recht keine in meinem Verantwortungsbereich, jemals zum Handlanger einer Selbsttötung wird.“

Abgabe bisher nur für therapeutische Zwecke

Das Gericht hat eine staatliche Schutzpflicht für schwer und unheilbar erkrankte Patienten statuiert. Das ist nicht ungewöhnlich. Neu ist der Anspruch, der daraus folgen soll: In „extremen Ausnahmesituationen“, in denen es keine zumutbaren Alternativen gebe, müsse das Gröhe unterstellte Bundesinstitut für Arzneimittel Medikamente zur Selbsttötung abgeben. Das widerspricht dem geltenden Gesetz, das die Abgabe nur für therapeutische Zwecke vorsieht. Es müsse jedoch verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, dass Ausnahmen möglich seien, meinen die Richter.

Man kann das Urteil falsch finden - aber es ist rechtskräftig

Man kann das Urteil aus ethischen, politischen oder auch juristischen Erwägungen heraus für falsch halten. Aber es ist gesprochen worden und beendet rechtskräftig einen Jahre währenden Streit. Was soll Gröhe tun? Ein Nichtanwendungserlass wie in Steuersachen geriete in direkten Konflikt mit den Grundrechten auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und der Menschenwürde, aus denen die Richter den Hilfsanspruch folgern.

Vielleicht nimmt das Verfassungsgericht eine andere Haltung ein

Der einzige die Gewaltenteilung respektierende Weg führt über den Gesetzgeber, dem Gröhe ein ausdrückliches Abgabeverbot vorschlagen könnte. Ein solches Gesetz könnte jedoch verfassungswidrig sein, da es ebenfalls mit den vom Bundesverwaltungsgericht genannten Grundrechten kollidiert. Trotzdem läge hier für Gröhe eine Chance. Im Streitfall zuständig wäre das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, das zum Thema vielleicht eine andere Haltung einnimmt als Leipzig. Aber nur: vielleicht.

Gröhe sollte Antworten geben statt Grundsatzfragen zu stellen

Womöglich ist Widerstand zwecklos. Es kann für Gröhe daher besser sein, Antworten zu geben, statt Grundsatzfragen zu stellen. Soll heißen: das Urteil so zurückhaltend umzusetzen, wie es gewollt ist. Wie im Kruzifix-Fall. Die Kreuze hängen immer noch in Bayerns Klassenzimmern. Kommt es zu Konflikten, werden sie im Kleinen gelöst. Es gibt nicht immer nur Schwarz oder Weiß, Leben oder Tod. Nicht einmal bei der Sterbehilfe.

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