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Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich und CDU-Landeschef 2012 auf einem CDU-Landesparteitag in Leipzig.

© Oliver Killig/dpa

Stärkste Partei: Die Sachsen-CDU ist erschüttert vom Erfolg der AfD

Die Christdemokraten im Freistaat fühlten sich bisher quasi als Staatspartei. Seit Sonntag ist das dahin. Stärkste Partei wurden die Rechtspopulisten.

Von Matthias Meisner

Es ist ein Desaster für die CDU in Sachsen, die sich seit 1990 im Freistaat in einer Vormachtstellung befindet. Die AfD hat bei der Bundestagswahl am Sonntag im Freistaat abgeräumt wie nirgendwo sonst - landesweit lag sie mit 27 Prozent bei den Zweitstimmen um ein Zehntelprozent höher als die CDU, wurde damit stärkste Partei. Selbst in der Landeshauptstadt Dresden lagen CDU und AfD fast gleichauf. Drei Direktmandate gingen an die Rechtspopulisten, AfD-Chefin Frauke Petry erzielte im Wahlkreis Sächsische Schweiz/Osterzgebirge, zu dem auch Freital und Heidenau gehören, mit 37,4 das beste Erststimmen-Ergebnis aller sächsischen Wahlkreise überhaupt.

Woran hat es gelegen, Herr Tillich? Die "Sächsische Zeitung" hat den seit 2008 amtierenden CDU-Landesvorsitzenden und Ministerpräsidenten gefragt, was in ihm vorging, als sich Sonntagabend abzeichnete, dass die AfD die CDU landesweit überrunden könnte. Er antwortete: "Ich habe einen Bürgermeister einer Gemeinde angerufen, die wirtschaftlich sehr gut dasteht, und habe ihn gefragt, wie er sich das Ergebnis erklärt. Er hat gesagt, er sei ratlos. Und genau so ging’s mir auch."

Ratlosigkeit, ist das jetzt alles? Hat die CDU nichts falsch gemacht? "Das ist im Großen und Ganzen der Bundestrend", erwidert Stanislaw Tillich. Und: Die höchsten Werte habe die AfD in den Regionen an der sächsischen-tschechischen und sächsisch-polnischen Grenze erzielt. Die Sicherheitsfragen seien dort "immer latent" gewesen, "wir haben das vielleicht nicht ernst genug genommen".

Es ist Tillichs Deutung - aber sie wird nicht von allen geteilt, als sich die Spitzengremien der sächsischen CDU am Montagabend in Dresden treffen, Präsidium, die Landesgruppe mit neuen und abgewählten Bundestagsabgeordneten, der Landesvorstand. Gibt es nicht auch ein "sächsisches Spezifikum", wie einer aus der Runde meint? Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern haben auch Grenzregionen zu Polen - ohne dass die AfD dort Direktmandate holen konnte. Dass die die CDU in Sachsen "ordentlich gerupft" worden ist, müsse weitere Gründe haben, so ein Teilnehmer. Und wenn es der ist, dass strategische Fragen nicht geklärt sind - so fordern einige, die Sachsen-CDU müsse sich deutlicher und auch in Abgrenzung zu Angela Merkel positionieren. "Wir haben uns sehr kontrovers ausgetauscht. Aber es gibt noch viel zu besprechen."

Die Landesgruppe erklärte nach der Sitzung: "Wegen der großen Herausforderungen etwa durch illegale Migration und die Probleme in den ländlichen Regionen wurde unsere Arbeit der letzten vier Jahre besonders kritisch beurteilt. Die sächsische Bevölkerung hat der CDU klar gesagt, dass wir die Aufgaben nicht zufriedenstellend gelöst haben." Aber was genau folgt daraus? Das ist nicht entschieden. Und der Kreis derer, die sich als Stichwortgeber für die AfD beteiligt haben, ist in der Sachsen-CDU nicht klein.

AfD-Politiker auch schon mal "Nazi" genannt

Einer derjenigen unter den sächsischen CDU-Bundestagsabgeordneten, die sich der AfD klar entgegenstellte, war der im Wahlkreis Chemnitzer Umland/Erzgebirgskreis II bestätigte Marco Wanderwitz. Der Rechtsanwalt begründete im Wahlkampf mehrfach, warum er Politiker der AfD wie Björn Höcke oder auch seinen Mitbewerber im Wahlkreis für "Nazis" oder auch schon mal "reinrassige Nazis" hält. "Ich bin damit nicht schlecht gefahren", berichtet er.

Nicht alle in der Partei waren so klar. Ministerpräsident Tillich selbst hatte vor der Landtagswahl 2014 eine Koalition mit der AfD auf Landesebene nicht ausschließen wollen. Anschließend zog die AfD mit 9,7 Prozent aus dem Stand in den Dresdner Landtag ein. An einer der Demonstrationen gegen die Anti-Asyl-Bewegung Pegida, die sich selbst als außerparlamentarischer Arm der AfD betrachtet, beteiligte er sich nie. Richtig erschrocken über das Erstarken der AfD wirkte er erst in den Wochen vor der Wahl, als aufgebrachte Demonstranten bei CDU-Kundgebungen auch in seinem Bundesland die Kanzlerin niederbrüllten. "Was da zu den Auftritten der Kanzlerin zusammenkommt, ist eine zum Teil unheimliche Melange aus Wutbürgern, Rechtsextremen, ,Reichsbürgern' und der AfD", sagte Tillich knapp zwei Wochen vor der Wahl im Tagesspiegel-Interview.

Auch Michael Kretschmer, Generalsekretär der Sachsen-CDU, vermittelte immer wieder den Eindruck, "besorgte Bürger" recht gut zu verstehen. "Janusköpfig" kommt er einigen seiner Mitstreiter in der Partei vor, weil er in seiner niederschlesischen Heimat so und als stellvertretender Chef der CDU/CSU-Bundestagsfraktion anders redete. Kretschmer verlor am Sonntag sein Bundestagsmandat im Wahlkreis Görlitz an einen Malermeister, der für die AfD antrat. Auf der Landesliste war Kretschmer nicht abgesichert. "Ein ordentlicher Magenschwinger", klagte er nun in der "Welt" - es sei "nicht gelungen, dieser depressiven Stimmung eine Idee für die Zukunft und einen Stolz auf das Erreichte entgegenzusetzen". Ob Kretschmer Generalsekretär bleibt, entscheidet sich auf einem Landesparteitag im Dezember in Löbau, auf dem die Führung der Sachsen-CDU neu gewählt wird. In Dresden wird er als Landesminister gehandelt, wenn Tillich, wie diskutiert, demnächst sein Kabinett umbildet.

Manch ein Anhänger der CDU in Sachsen verliert derweil die Geduld mit der Partei - der Unternehmer Lutz Heimrich etwa, der in Coswig, Landkreis Meißen, einen Weinhandel betreibt. Es ist der Wahlkreis von Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Der konnte am Sonntag mit 36,7 Prozent der Erststimmen sein Direktmandat verteidigen, bei den Zweistimmen aber lag die AfD mit 32,9 Prozent deutlich vor der CDU (26,1 Prozent).

"CDU hat viel zu viel am rechten Rand gefischt"

Heimrich hatte im Frühjahr von De Maizière einen Brief bekommen, in dem dieser um finanzielle Unterstützung für den Wahlkampf bat. Doch der Unternehmer kam dem diesmal nicht nach. In einem Brief an den Bundesinnenminister begründete er das damit, dass sich im CDU-Kreisverband "ungerügt Mitglieder offen rassistisch oder ausländerfeindlich äußern dürfen". Heimrich fragte: "Warum fordern Sie keine Konsequenzen für derartige Äußerungen, die Sie selbst zweifelsfrei ebenfalls für primitiv und unwürdig halten?" Auf eine Antwort des Bundesinnenministers wartet der Weinhändler bis heute.

In einem Interview mit der "Wirtschaftswoche" analysierte Lutz Heimrich nach dem Wahltag die Situation in Sachsen. Etwa die Dresdner seien besonders anfällig für Parolen, wie sie die AfD parat hat. "Da gehört auch eindeutig das Thema Ressentiments gegenüber Veränderungen und insbesondere dem Fremdem jeglicher Art hinzu." Dazu komme in der Region "eine tief verwurzelte Links-Phobie". Heimrich sagte: "Alles, was links ist, ist in dieser Region ja schon kurz vorm Verbrechertum." Die CDU habe "viel zu viel am rechten Rand gefischt", versucht, "eine Kopie der AfD zu sein". Erfolg habe sie damit nicht gehabt: "Da haben die Menschen einfach das Original gewählt." 

Im Tagesspiegel-Debattenportal "Causa" wird diskutiert: Warum ist Sachsen so rechts?

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