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SPD und Bürgerversicherung: Thema zweiter Klasse

Anfangs machte die SPD mit der Bürgerversicherung heftig Wahlkampf, nun spricht kaum noch einer davon. Und auch Steinbrück will das Thema nicht vertiefen

Es ist noch gar nicht so lange her, da sah die SPD im Anprangern des Zweiklassensystems für gesetzlich und privat Krankenversicherte und ihrem Gegenrezept namens Bürgerversicherung eines der wahlentscheidenden Themen. Mittlerweile hat sie den angekündigten Systemwechsel heruntergedimmt, in ihren Wahlveranstaltungen kommt er meist nur noch am Rande vor. Es dominieren Europa und Finanzkrise, Steuergerechtigkeit, der Ärger um nicht auskömmliche Jobs sowie die Angst vor Altersarmut und unwürdiger Pflege. Es sei denn der Schatten-Gesundheitsminister Karl Lauterbach ist mit von der Partie.

Dieser bestreitet den oben dargestellten Befund natürlich und behauptet, das Thema Gesundheit spiele im Wahlkampf weiter „eine gigantische Rolle“. Doch in der ARD-Wahlarena am Mittwoch abend war anderes zu besichtigen. Die Bürgerversicherung trieb nur einen Betroffenen aus der Berufsgruppe der Ärzte um. Und SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück stocherte bei dem angeblichen Kernthema mit auffällig wenig Emphase im Ungefähren.

Kassenpatienten müssen warten

Das begann schon mit seinem Beispiel für die Auswüchse des existierenden Zweiklassensystems. Die „Dame mit Ohrenentzündung“, die als Kassenpatientin erst einen Termin in drei Wochen erhält, als Privatpatientin jedoch schon „übermorgen“, ist dafür nämlich eher schlecht geeignet. Zwar mag man darüber streiten, ob es sich dabei um einen hundertprozentigen Notfall handelt. Doch bei einer Akuterkrankung und Schmerzen dürfen Ärzte schon jetzt keine Patienten abweisen – egal ob gesetzlich oder privat versichert.

„Akute Fälle muss der Arzt selbstverständlich auch ohne Termin behandeln“, sagt Florian Lanz, der Sprecher des Spitzenverbands der gesetzlichen Kassen. Das Problem liegt in der ganz gewöhnlichen Vergabe von Behandlungs- oder Vorsorgeterminen. Darauf warten Kassenpatienten vor allem bei Fachärzten oft monatelang, während Privatversicherte viel schneller drankommen. Dieses Recht nehmen sich die Mediziner im gegenwärtigen System heraus – und damit hätte sich weit einleuchtender argumentieren lassen.

Auch mit Steinbrücks Hinweis, die private Krankenversicherung doch gar nicht abschaffen zu wollen, konnte der gesundheitspolitische Laie wenig anfangen. Tatsächlich möchte die SPD der Branche mit der Bürgerversicherung nur die Neukunden nehmen. Wer bereits privat vollversichert ist, soll es bleiben dürfen, er erhält lediglich eine befristete Wechseloption. Und bei den Zusatzversicherungen können die Sozis den Privaten sowieso nicht reinreden. Dieses Geschäft bleibt ihnen. Von wegen Gleichmacherei.

Doch wieso sagt Steinbrück das nicht? Um gegen das Gespenst einer Staatsmedizin anzuargumentieren, versteigt er sich stattdessen in die Behauptung, mit der Bürgerversicherung finde „nur eine Vereinfachung des Krankenversicherungssystems statt und zwar in privaten Händen“. Eigenartig. Bis jetzt sind die gesetzlichen Kassen keine Privatfirmen, sondern öffentlich-rechtliche Körperschaften.

Steinbrück bleibt an der Oberfläche

So geht es weiter. Die Prophezeiung, dass die Privatkassen in wenigen Jahren ohnehin „an der Wand“ seien, verknüpft Steinbrück mit „rasant“ steigenden Beiträgen, insbesondere für ältere Versicherte. Den Grund dafür – dass nämlich Privatkassen anders als die gesetzlichen Preise, Behandlungsmenge und Qualität nicht beeinflussen können – verschweigt er seinem Publikum.

Und warum erklärt der Kandidat dem mosernden Mediziner nicht, weshalb er durch eine Bürgerversicherung à la SPD keine finanziellen Einbußen zu fürchten hat? Die Partei hat sich doch längst darauf festgelegt, dass den Ärzten insgesamt nichts verloren gehen soll. Alle bisherigen Honorare kommen in einen Topf und werden leistungsgerecht verteilt. Was bedeutet, dass die Doktores mit vielen Privatpatienten zwar weniger, die mit vielen Kassenpatienten aber entsprechend mehr verdienen würden. Vielleicht hätte das den Berufsgruppenvertreter ja überzeugt.

Kennt Steinbrück die Pläne seiner Gesundheitsexperten nicht so genau? Oder nimmt er sie nicht so wichtig? Der Hinweis, dass das Nebeneinander von gesetzlich und privat Versicherten europaweit „ziemlich einmalig“ sei, ist jedenfalls kein Argument für einen Systemwechsel. Zumal, wenn man es gleich im nächsten Atemzug wieder entkräftet. Er wolle „die Qualität des deutschen Gesundheitssystems gegenüber anderen Ländern gerne positiv hervorheben“, resümiert der Merkel-Herausforderer. Und alle klatschen.

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