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Hannelore Kraft hat nach der schweren Wahlniederlage im Mai ihre Parteiämter aufgegeben.

© Rolf Vennenbernd/dpa

SPD in Nordrhein-Westfalen: Hannelore Krafts Niederlage oder: Wohin Regieren ohne Konzept führt

Keine Prioritäten, keine Strategie - so kann man nicht erfolgreich Politik machen. Das hat auch die NRW-SPD gemerkt, die sich treiben ließ, statt zu gestalten. Ein Gastbeitrag von

Die Landtagswahlen 2005 und die Niederlage des damaligen SPD-Ministerpräsidenten Peer Steinbrück schufen Platz für eine bodenständige, agile Newcomerin: Hannelore Kraft. Sie umgab sich mit loyalen Getreuen, ging auf die Grünen zu, wurde 2010 gewählt und bildete eine Minderheitsregierung. Ihre Vision: „Kein Kind zurücklassen“ und ihr Gleichklang von Sparen und Investieren überzeugte, sie schuf Schulfrieden und Kommunalpakt, Schulden nahm sie hin. Aus den wegen Haushaltsproblemen vorgezogenen Neuwahlen zwei Jahre später ging sie als strahlende Gewinnerin hervor – und von da an ging’s bergab.

Eine Reformkoalition muss strategische Probleme und Optionen erkennen, Lösungswege und Prioritäten verabreden und umsetzen. Dazu gehört die Analyse der strategischen Lage, das Steuern der Themen sowie Kontrolle und „Verkauf“ ihrer Umsetzung. Kraft verschrieb sich der Landespolitik und nahm sich in Berlin aus dem Spiel: Das verringerte ihren Spielraum. Und die rot-grüne Kernfrage ließ die Kohlefreundin offen: Was geht vor, Wirtschafts- oder Umweltinteressen? Zwar vermied sie Dauerstreitereien, indem sie den Grünen recht gab, ruderte aber auf Wirtschaftsprotest hin zurück (Vergabe- und Klimaschutzgesetz) und verärgerte beide: Arbeitgeber und Umweltfreunde.

Anstatt erklärte Prioritäten abzuarbeiten, wurden neue verkündet: Plötzlich war es die Inklusion. Als klar wurde, dass schon für „normale“ Beschulung das Geld fehlte, sprach Kraft von Digitalisierung ...

Das Themenhopping bei hoher Verschuldung schuf „Aktionspläne“, die nur Papier produzierten. Die Schulden senkte Kraft langsamer ab als andere Länder und wurde als „Schuldenkönigin“ verspottet.

Bundespolitisch führte NRW nach 2012 die rot-grüne Ländermehrheit zu Erfolgen wie Mindestlohn und Mietpreisbremse. Die GroKo im Bund 2013 wollte Kraft nicht, dann stützte sie diese und zog sich auf eine Strategie des „NRW first“ beim Länderfinanzausgleich zurück.

Plötzlich wirkte Rot-Grün bildungspolitisch inkompetent

Die zum Kernthema der Legislatur ausgerufene Inklusion überforderte die Schulen, die Aufholjagd bei Kitaplätzen ging auf Kosten der Qualität. Als sich Eltern gegen G 8 wehrten und die Flüchtlingskinder kamen, agierte die grüne Schulministerin und stellvertretende Regierungschefin Sylvia Löhrmann beratungsresistent und hilflos. Kraft schonte ihre Vizin, die Themen „Inklusion“, „Kein Kind zurücklassen“ und der Übergang Schule–Beruf verblassten vor dem Chaos, Rot-Grün wirkte bildungspolitisch inkompetent.

Mit der Flüchtlingskrise mussten zehntausende Neuankömmlinge in strukturschwachen Städten versorgt werden. Die Kölner Silvesternacht wie die Wohnungseinbrüche beschädigten das Sicherheitsgefühl vieler Bürger. Der Kampagne von CDU/FDP setzte die Regierung Rückzugsgefechte des Innenministers entgegen. Die SPD, die sich in Krafts Ruhm gesonnt hatte, sah zu, wie diese sich abmühte. Kraft selbst gab die Kümmerin pur, aber viele Bürger fühlten sich unversorgt. Medien geißelten die Ministerpräsidentin als dünnhäutig, konzept- und erfolglos. So erlag die Regierung auch eigenen Schwächen: Prioritäten waren ungenügend begründet (wer war Krafts linker Steve Bannon, wo wurde offen diskutiert?) und wohl auch daher nicht durchgehalten. Anstatt auf Krisen zu reagieren, igelte man sich ein und verzichtete auf positive Visionen: Wer traute sich beispielsweise zu sagen, dass dank der 60 Unis im Land die Kinder syrischer Flüchtlinge und westfälischer Bauern gemeinsam studieren können, ohne sich um knappe Studienplätze keilen zu müssen?

Am Ende taumelte die NRW-SPD in die Pleite und verweigerte sich nach der verlorenen Landtagswahl im Mai wie ein bockiges Kind der GroKo unter CDU-Mann Armin Laschet. Zur Erneuerung in der Opposition braucht sie selbstkritische und glaubwürdige Akteure, offene Debatten, konkrete Projekte und klare Entscheidungen sowie besseres Handling.

- Der Autor ist Referatsleiter in einem Ministerium in NRW.

Stefan Grönebaum

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