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Blick auf das Tal der Gefallenen nahe Madrid, der Gedenkstätte zu Ehren der Gefallenen der faschistischen Truppen Francos im Spanischen Bürgerkrieg

© picture alliance / dpa

Spanien: Der blutige Bruderkampf

Vor 80 Jahren begann der Spanische Bürgerkrieg. Hitler und Mussolini ergriffen Partei, Stalin auf der Gegenseite. Am Ende unterlag die Republik im ungleichen Kampf gegen Franco. Die Folgen sind bis heute zu spüren. Ein Essay.

Ein Essay von Bernhard Schulz

Reiterstandbilder des „Caudillo“, des „Generalissimus“ Francisco Franco, gibt es in Spanien nicht mehr; doch das riesige Denkmal im „Tal der Gefallenen“ unweit der Hauptstadt Madrid reckt sich weiter zu seiner vollen Höhe von 155 Metern und bezeichnet den Platz der unterirdischen Basilika, in der Franco bestattet liegt. Vor zwei Wochen wurde des 80. Jahrestags des Beginns des Spanischen Bürgerkriegs gedacht, im Bewusstsein und der Hoffnung, dass der blutige Riss durch die spanische Gesellschaft endgültig überwunden sei und für immer bleiben möge.

Dabei wäre der Spanische Bürgerkrieg, der am 17. Juli 1936 mit einem Aufstand unzufriedener Militärs begann, ein nationales und womöglich begrenztes Ereignis geblieben wie so viele Rebellionen in den Jahrzehnten zuvor. Stattdessen wurde er zu einem internationalen Vorgang, und weil er, der erst 1939 sein Ende fand und an dessen 1. April formell für beendet erklärt wurde, kalendarisch beinahe nahtlos in den Zweiten Weltkrieg überleitete, gilt er – zumindest außerhalb Spaniens – als dessen Vorläufer. Er bildet den Probelauf, weil sich von Anfang an die „Achsenmächte“ Nazi-Deutschland und Faschismus-Italien auf der einen und die stalinistische Sowjetunion auf der anderen Seite militärisch engagierten und einen Stellvertreterkrieg ausfochten, aus dem sich die westlichen Demokratien nach der Proklamierung ihrer „Nicht-Intervention“ sorgsam heraushielten.

Wohl eine halbe Million Menschen starben

Doch übersieht diese Sicht die innerspanische Dynamik, die den Bürgerkrieg ausgelöst hatte und über vier Jahre mit ungeheurer Leidenschaft befeuerte. Wohl eine halbe Million Menschen starben während des Bürgerkriegs, im Kampf, als zivile Opfer, an Hunger und Seuchen. Dieser Krieg machte keinen Unterschied zwischen Soldaten und Zivilisten, so wenig beide Seiten selbst einen Unterschied machten, wer mit ihnen kämpfte und mit welchen Mitteln, ob in Uniform oder ohne, ob mit Gewehr oder nackter Faust.

Jahrhundertealte Spannungen, vermehrt um die Konflikte der Moderne, kamen im Bürgerkrieg zur Entladung. Die reconquista, die Wiedereroberung der maurischen Fürstentümer bis 1492, die Etablierung des spanischen Zentralstaats und die Unterdrückung der eigenständigen Regionen, die Allmacht der Kirche und ihrer Inquisition, die feudale Herrschaft und die Rechtlosigkeit der Bauern, schließlich die zaghaften Anfänge der Industrialisierung, das Aufkommen von Bürgertum und Liberalismus – all das floss zusammen und bildete den Urgrund des Bürgerkriegs. Der reduzierte alle Konflikte auf die Alternative Rot gegen Weiß, Republikaner gegen Nationalisten. Die erst 1931 ausgerufene Republik konnte die Fliehkräfte zur Rechten und zur Linken nicht bändigen. Der Bürgerkrieg, ausgebrochen nach Jahren von Rebellionen, Staatsstreichen und Attentaten, bedeutete keinen Urknall, sondern die Steigerung und Ausbreitung eines ohnehin aufflackernden Kriegszustandes.

Den Urgrund bildeten innerspanische Konflikte

General Franco, auf den Kanarischen Inseln stationiert, schickte den Mitverschwörern in Marokko am 18. Juli sein berühmtes Telegramm mit dem Ausruf „Arriba España!“, „Spanien lebe hoch!“. Es wurde Erkennungszeichen und Gruß der Nationalisten, wurde ihr ganzes Programm. Spanien über alles! Doch was dem Bürgerkrieg tatsächlich eine besondere Dimension gab, war die Einmischung fremder Mächte in ein Land, das nach dem Ende der napoleonischen Fremdherrschaft 1813 sich selbst überlassen geblieben war.

Die militärische Intervention auf beiden Seiten ließ den Bürgerkrieg zugleich eskalieren, wie sie ihn wohl auch verkürzt hat; jedenfalls gegenüber einer mutmaßlichen Dauer, die beim Kampf der beiden anfangs gleichermaßen schlecht gerüsteten, doch für eine lang anhaltende guerilla, einen „kleinen Krieg“ bereiten Seiten zu befürchten gewesen wäre. Dank der Unterstützung der beiden faschistischen Mächte kam der in klassisch-militärischer Weise erfochtene Sieg der Nationalisten zustande. Diese Unterstützung hätte sich vielleicht nicht derart auswirken können, wäre die republikanische Seite nicht durch politische Zersplitterung gelähmt worden, bis hin zum „Bürgerkrieg im Bürgerkrieg“, der mit der Ankunft sowjetischer NKWD-Agenten begann und Kommunisten gegen Anarchisten trieb. Dieser Kampf ereignete sich zeitgleich mit dem „Großen Terror“ in der Sowjetunion. Stalin war die „Entlarvung trotzkistischer Elemente“ in Spanien wichtiger als der Erfolg der Militäraktionen, die zum großen Teil von Instrukteuren der Roten Armee geleitet wurden.

Die Einmischung von außen gab dem Geschehen die besondere Dimension

Aufseiten der deutschen und italienischen Regime kamen zwei Motive zusammen. Mussolini träumte von der Beherrschung des Mittelmeeres. Hitler indessen nutzte die Gelegenheit, die längst angelaufene Kriegsmaschinerie im Ernstfall zu erproben. Von der Verlegung der Aufständischen per Lufttransport bis zum neuartigen Zusammenwirken von Artillerie und Luftwaffe gewannen die deutschen Militärs Erkenntnisse, die im kommenden Weltkrieg Anwendung finden sollten. Insgesamt nahmen an der gemeinsamen Intervention 12 000 deutsche und 80 000 italienische, als „Freiwillige“ ausgegebene reguläre Truppen teil.

Die Bombardierung Guernicas – baskisch Gernika – am 26. April 1937 durch die deutsche „Legion Condor“ zeigte erstmals die systematische Zerstörung einer Stadt aus der Luft – ein Modellfall für das, was im Zweiten Weltkrieg als Mittel der Kriegführung eingesetzt werden sollte. Unter dem Eindruck des Geschehens malte der Exil-Spanier Pablo Picasso das berühmte Bild „Guernica“ für den spanischen Pavillon bei der Pariser Weltausstellung 1937. Der Bürgerkrieg wurde zu einem mit allen Mitteln der Propaganda geführten Krieg um die Köpfe, in Spanien selbst wie auf internationaler Ebene. Die Teilnahme von rund 60 000 Freiwilligen zahlreicher Nationalitäten in den 1936 aufgestellten „Internationalen Brigaden“, zu denen Schriftsteller, Reporter, Journalisten, aber ebenso Arbeiter und Abenteurer zählten, gab dem Bürgerkrieg weltweit eine enorme Resonanz vor dem Hintergrund des unaufhaltsamen Vordringens faschistischer Regime in Europa.

Der Kampf galt als Probelauf für den Zweiten Weltkrieg

Während Hitler den kommenden Krieg einübte, erprobte Stalin die Volksfront-Strategie, die er 1936 für die kommunistischen Parteien Europas verbindlich gemacht hatte. Die Verbindung mit den Bürgerlichen jedoch lähmte die sozialistische Politik der linksgerichteten Republik. Deren innere Widersprüche entlang der Grundkonflikte von Zentralismus und Autonomie, Industriearbeiterschaft und Landbevölkerung, Kirche und Liberalismus wurden noch um den blutigen Konflikt von Kommunisten und Anarchisten verstärkt.

Währenddessen ging der Bürgerkrieg mehr und mehr in einen regulären Krieg über. Anfang 1939 boten die Nationalisten für die Eroberung Kataloniens eine Armee von nicht weniger als 340 000 Mann auf, vor sich 220 000 deutlich schlechter gerüstete Republikaner. Da hatte die sich abzeichnende Komplizenschaft mit dem Hitler-Regime das Interesse Stalins an Spanien bereits erlöschen lassen.

Franco nahm blutige Rache

No pasarán!, „Sie werden nicht durchkommen“, lautete die Durchhalteparole der Republik über beinahe vier Jahre. Doch nach dem Fall der republikanischen Hochburgen Valencia und Katalonien sowie der episch beschworenen Hauptstadt Madrid am 28. März 1939 ging die Geschichte der Republik mit der Massenflucht ihrer letzten Truppen und abertausender Angehöriger ins benachbarte Frankreich zu Ende. Fast eine halbe Million Republikaner überschritten die Grenzen. In Spanien selbst, unbeobachtet von der Welt, die in einem größeren Krieg versank, nahmen Franco und die Nationalisten blutige Rache an ihren Feinden. Jahrelang dauerten die Hinrichtungen und verschwiegenen Morde an, von Geheimpolizei und allzeit gefüllten Gefängnissen nicht zu reden. In 190 Lagern wurden unmittelbar nach Fall der Republik bis zu 500 000 Gefangene interniert. Die Gesamtzahl der Todesopfer in allen späteren Jahren wird auf 200 000 geschätzt. Francos Siegesmonument im Valle de los Caídos, im „Tal der Gefallenen“, wurde durch Zwangsarbeit von bis zu 20 000 republikanischen Gefangenen erbaut.

Der friedliche Übergang zur Demokratie war eine enorme Leistung

Inwieweit das knapp vier Jahrzehnte währende Franco-Regime tatsächlich „faschistisch“ war, ist die Frage. Zwar ging während des Bürgerkriegs die faschistische Gruppierung der „Falange“ in der von Franco ausgerufenen, eines Programms ermangelnden „Bewegung“ auf, doch etablierte Franco ein eher klerikal-reaktionäres Regime, das sich in der Zementierung überkommener gesellschaftlicher Macht- und Eigentumsverhältnisse erschöpfte. Der Franquismus hielt ein erstarrtes Spanien bis ins späte 20. Jahrhundert aufrecht.

Erst mit dem Blick auf Verlauf und Ergebnis des Bürgerkriegs ist die enorme Leistung zu ermessen, die der gewaltfreie Übergang vom Franco-Regime zur parlamentarischen Demokratie seit Francos Tod Ende 1975 bedeutet. Anders als etwa die deutsche Teilung, die als eine dem Kriegsverursacher Deutschland von außen auferlegte Strafe gedeutet werden konnte, war der Bürgerkrieg ein Krieg Spaniens mit sich selbst. Zu seinem Verlauf und seinen Opfern haben die intervenierenden Mächte erheblich beigetragen, doch haben sie ihn weder ausgelöst noch seinen Charakter bestimmt. Die Parteinahme fremder Staaten hat beiden Seiten ein Stück Rechtfertigung geliefert; der nationalistischen Seite, mit internationaler Billigung den der spanischen Nation wesensfremden Bolschewismus besiegt zu haben, und der republikanischen, den Kampf um die gerechte Sache des Volkes allein wegen des Eingriffs faschistischer Mächte verloren zu haben. In beidem steckt mehr als ein Körnchen Wahrheit; aber es ist eben nicht die ganze Wahrheit. Wie kaum sonst in der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts sind die unterschiedlichsten Motive, Gründe und Erklärungen unentwirrbar verwoben.

Der "Pakt des Schweigens" nach Francos Tod war unumgänglich

Allein weil dies so ist, war die Sprachlosigkeit nach Francos Tod, jener allseits eingehaltene „Pakt des Schweigens“ nicht nur verständlich, sondern wohl unumgänglich, um das Aufbrechen der jahrzehntealten Wunden und womöglich einen neuerlichen Bürgerkrieg zu verhindern. Die gleich nach dem Ende des Franquismo erlassene Generalamnestie bildete eine notwendige Voraussetzung. Erst 2007 rang sich die sozialdemokratische Regierung Zapatero dazu durch, im Zuge der immer dringlicher geforderten recuperación de la memoria histórica, der „Wiedergewinnung der historischen Erinnerung“, ein entsprechendes „Gesetz der historischen Erinnerung“ durchs Parlament zu bringen. Erst jetzt wurden die Archive zugänglich gemacht, durften die Massengräber geöffnet werden, in denen die Opfer willkürlicher Racheakte und planvoller Erschießungen verscharrt worden waren. Nachträglich müssen die Schlachten um Toledo und Teruel, am Ebro und um Madrid kein zweites Mal geschlagen werden. Das deutsche Beispiel des Umgangs mit dem Nationalsozialismus deutet an, dass „Aufarbeitung“ letztlich erst dann gelingt, wenn die Zeitzeugen nicht mehr am Leben sind. Nicht vergessen sei, dass der – schnell gescheiterte – Putschversuch von 1981 eine Warnung darstellte, die Mächte der Vergangenheit bereits endgültig beseitigt zu wähnen. Eher verstärkte er den Wunsch, die unselige Vergangenheit ruhen zu lassen.

Die innerspanischen Konflikte wirken bis heute nach

Die Konflikte, die die staatliche Integrität Spaniens erneut infrage stellen, vom Regionalismus bis zum Separatismus, haben den Bürgerkrieg weder hervorgerufen, noch sind sie mit ihm erledigt. Sie sind älterer Herkunft und wurden von der einen wie der anderen Seite des Bürgerkriegs nur instrumentalisiert. Die Einbettung Spaniens in die EU hat, wie überall in Europa, die Beschäftigung mit regionalen Eigenheiten in dem Maße gefördert, als der Nationalstaat als einigendes Band an Bedeutung eingebüßt hat. Dezentralisierung bleibt ein Thema der spanischen Politik, auch wenn die historischen Regionen heutzutage ein jahrhundertelang undenkbares Maß an Selbstbestimmung genießen. Der Spanische Bürgerkrieg, vor 80 Jahren begonnen, ist in seiner weltpolitischen Stellung zwischen Faschismus und Bolschewismus längst Teil der Geschichte; in seiner innerspanischen Dimension und Tragik jedoch eine Vergangenheit, die fortwirkt, bis ihre Einzelheiten eines Tages ganz ans Tageslicht gekommen sein werden. Es bleibt eine Arbeit für Generationen.

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