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Passanten mit Weihnachtseinkäufen.

© picture alliance / dpa

Sonntagsöffnung: Mach' mal Pause

Wenn Geschäfte nie mehr zumachen und Firmen keinen Feierabend mehr ausrufen, muss sich der Einzelne vor Ausbeutung schützen. Und mal eine Pause machen. Ein Wort zum 4. Advent.

Außer in wirklichen Krisenzeiten habe er nie am Freitagabend, Samstag oder Sonntag gearbeitet. Diese Aussage wird Lee Iacocca zugeschrieben, dem ehemaligen Ford- und Chrysler-Manager, der sich auch als Managementaphoristiker einen Namen machte. Der Satz soll so viel heißen wie: Freie Zeit ist freie Zeit, und dass das so bleibt, darüber wache ich.

Am heutigen Sonntag findet für viele Mitarbeiter im Einzelhandel das Wochenende sein verfrühtes Ende. Es ist der vierte Advent, höchste Vorweihnachtszeit, der Handel hofft auf Umsätze: Gründe genug, eine abermalige Ausnahme vom Feiertagsgebot zu machen und die Tore aufzureißen in den Shoppingmeilen der Städte und den Einkaufscentern im Umland. Warum auch nicht? Mancher fragt sich ohnehin, ob Regeln zur Arbeitszeit überhaupt noch zur neuen Arbeit-4.0-Welt und ihren Onlineerweiterungen passen, die beständig äußere Handlungsrahmen wie etwa Öffnungszeiten aufweichen und menschliches Handeln vereinzeln. Schon ist der sich selbst ausbeutende Dauerarbeiter als Stereotyp allgegenwärtig.

Aber es geht im 24/7-Taumel nicht nur um die Anbieter – es geht auch um die Nutzer. Ein verkaufsoffener Sonntag erweckt den Eindruck, etwas Besonderes zu sein und ist am Ende doch bloß genau das, was man auch am Samstag, am Freitag, Donnerstag, Mittwoch, Dienstag und Montag zuvor hatte oder hätte haben können. Es ist mehr vom immer selben, und das ist nicht gut, weil die Pausen fehlen.

Pausen aber braucht es, um den Rest des Alltags aufrechterhalten zu können. Ein Machen ohne Pause wird zum Zustand. Was dann das Gegenteil von Entwicklung, Werden, Leben ist. Sogar der liebe Gott machte Pause, als er die Welt schuf. Nach sechs Tagen Tätigkeit ruhte er – und das sicher nicht, weil er überarbeitet war. Er machte Pause um der Pause willen. Heute würde man das geglücktes Self-Management nennen.

Nein sagen

Es ist eine interessante Entwicklung, dass inzwischen weniger das Sich-in-die-Arbeit-Stürzen staunende Anerkennung hervorruft – Motto: Das kann ja jeder, der eine hat – sondern das Gegenteil davon. Es ist das Innehalten, Ausruhen und das Abstandhalten zu den Wünschen und Ansprüchen, die an einen herangetragen werden, die einen bedrängen und rufen: Du musst, du musst, du musst! Das Organisieren von Pausen und Ruhemomenten, von Abwechslung oder auch Rhythmus wird umso mehr zur Privataufgabe, je weniger die Organisation des öffentlichen Lebens diese vorgibt.

Wenn Läden nie mehr zu sind, wenn Betriebe und Unternehmen keinen Feierabend mehr ausrufen, wenn alles, was nötig ist, 24 Stunden lang erledigt werden kann, ist der Einzelne gefragt. Er muss für sich selbst sorgen, muss sich vor Ausbeutung und Selbstausbeutung schützen und lernen, Nein zu sagen. Das ist nicht unbedingt leicht. Der Druck der dauerverfügbaren Angebote erzeugt Druck auf diejenigen, die diese liefern und nutzen. Und je größer der Druck, desto eher gibt man nach. Es ist ja auch schön, gebraucht zu werden.

Aber die Gefahr wächst, dass bei wachsender Waffenungleichheit die Pausen erst aufgeschoben, dann gekürzt und zuletzt gestrichen werden. Eine Gesellschaft, die sich dagegen nicht organisiert und verwahrt, wäre bald auf dem Weg in den Kollektivburnout. Pausen sind kein Luxus. Sie dürfen nicht zu etwas werden, das man sich „leistet“. Das machte sie zu einem Projekt für die Iacoccas, die Starken und Qualifizierten, die wissen, dass nach der Pause auch wieder Tätigkeit wartet. Und die Schwachen, Ersetzbaren würden aus Angst, die Pause könnte ein unerwünschter Dauerzustand werden, weitermachen und daran kaputt- gehen.

Vielleicht kennt der eine oder die andere das schale Gefühl, das aufkommt, wenn man an einem freien Tag doch nur wieder dasselbe gemacht hat wie an jedem anderen. Oder wenn man nach Feierabend weiter Fragen aus dem Job wälzt. Gefühl Hamsterrad gepaart mit der Ahnung, gerade die Chance auf Pause zu vertun – statt sie zum eigenen Nutzen zu nutzen.

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