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Warten auf das Ende der Sondierungen zwischen CDU, CSU und SPD in Berlin.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

Sondierungen: Brocken und Brücken

Die Verhandlungspartner kennen sich, die Beratungen laufen weitgehend geräuschlos. Aber am Ende könnte es noch schwierig werden

Von
  • Robert Birnbaum
  • Hans Monath

Für Annegret Kramp-Karrenbauer endet der letzte Tag vorzeitig und abrupt – im Krankenhaus. Die saarländische Ministerpräsidentin ist in der Nacht die 700 Kilometer von Saarbrücken unterwegs zum Schlusstag der Sondierungen von Union und SPD, als ihr Dienstwagen Donnerstagfrüh auf dem Berliner Ring auf einen Lastwagen auffährt. Die Panzerlimousine ist danach Schrott, aber der Crash verläuft glimpflich. AKK, wie sie jeder nennt, gibt per Twitter selbst Entwarnung: „Den Umständen entsprechend bei Kollegen und mir alles o.k.“ Doch die CDU-Politikerin muss ebenso wie ihre drei Begleiter eine Nacht zur Beobachtung in der Potsdamer Ernst-von- Bergmann-Klinik bleiben.

Damit fiel AKK für den Endspurt in Berlin aus. Für Angela Merkel war das misslich, gilt die Chefin einer schwarz-roten Landeskoalition doch als wichtige Stütze – öffentlich unauffällig, intern eine gescheite Brückenbauerin und längst nicht nur in der Sozialpolitik sattelfest, für die sie die Federführung hatte. Aber nach einem Aufprall auf der Autobahn soll niemand schwere Brocken heben. Und die, sagt Merkel morgens, als sie das Willy-Brandt-Haus betritt, lägen noch vor den Sondierern. SPD-Chef Martin Schulz benutzt kurz drauf das gleiche Bild. Nach vier Tagen fast pausenlosem Beisammensitzen herrscht also sprachlich bereits große koalitionäre Einigkeit.

Rund 45 Milliarden Euro sind frei verfügbar - aber die Wünsche sind doppelt so teuer

Wie viel davon in der Sache bestand, blieb wie in den Tagen davor für Außenstehende schwer einschätzbar. Was die zentralen Punkte anging, hielt das Schweigegelübde. Zwar tröpfelten hier und da wieder Einzel-Einigungen heraus. Aber dass CDU, CSU und SPD eine „systematische Minderungsstrategie“ und dann „so schnell wie möglich“ den Verzicht auf Glyphosat wollen, fällt bei aller Aufregung um das Pestizid nun wirklich nicht unters Wegräumen dicker Brocken.

Die lagen woanders im Weg. Bürgerversicherung stand auf einem, andere hießen Spitzensteuersatz, Flüchtlingspolitik, Rente plus, das CSU-Herzensthema Mütterrente, der künftige Kurs Europas, den der Europafan Schulz noch einmal zum Zentralthema erklärt, und über allem: das Geld. Rund 45 Milliarden Euro liegen bis 2021 frei verfügbar in der Kasse. Doch wie schon beim Jamaika-Anlauf summierten sich die Wünsche der drei Partner auf mehr als das Doppelte.

Mit Sorge erinnerte man sich in der Union daran, dass SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles bei den eigenen Leuten die Erwartung geweckt hatte, dass ein erneutes Bündnis für CDU und CSU „teuer“ werde. Praktisch hieße das, dass ein Löwenanteil für SPD-Projekte bleiben würde und nicht nur die zwei Fünftel, die den Sozialdemokraten nach dem Stimmgewicht unter den dreien machtmathematisch zustünden.

Ein Scheitern aus taktischen Gründen will niemand herbeiführen

Ohnehin prägte die Unsicherheit darüber, wie viel Kompromiss die SPD erträgt, auch den letzten Tag. Bei der Union, sagte einer aus der engeren CDU-Führung, lehne anders als beim Jamaika-Versuch mit FDP und Grünen diesmal keiner dieses Bündnis innerlich ab. Auch bei der SPD habe man den Eindruck, dass niemand aus taktischen Gründen ein Scheitern herbeiführen wolle.

Dass sich Schulz über Durchstechereien beschwert und sie der Union angelastet hatte, wurde bei CDU und CSU nicht als ernste Klimastörung verstanden, zumal der Auftritt gleich durchgestochen wurde. Man war also danach quitt. Das Kernproblem bei der SPD sei auch nicht ein Mangel an Vertrauen zu Merkel oder CSU-Chef Horst Seehofer, sagte ein Christdemokrat: „Die Frage ist, wie viel sie sich selbst zutrauen.“

Mit einer späten Überraschung wird nicht gerechnet

Aber trotz Fragen und Brocken: Mit einer zweiten Überraschung zu später Stunde à la Christian Lindner rechnete niemand. Die Beteiligten haben anders als der FDP-Chef Routine im Umgang mit eckigen Klammern, die üblicherweise offene Punkte in Kompromisstexten markieren. Die Beratungsmaschine schnurrte denn auch wie in den Tagen zuvor. Der Chef-Runde zu Europa folgte im Sechser-Kreis der Partei- und Fraktionsvorsitzenden mit den Experten das Flüchtlingsproblem. Zwischendurch gab es getrennte Beratungen der Parteien. Dann die Chef-Schlussrunde zu den Herzensthemen aller drei Parteien – open end.

Beim Familiennachzug für subsidiär geschützte Flüchtlinge lag ein Kompromiss nahe: Der Nachzug bleibt ausgesetzt, aber es gibt wohl einige Öffnungsklauseln. Die Verständigung in dieser Frage eilt besonders, weil ein Gesetzentwurf spätestens Ende Januar im Bundestag vorliegen muss. Sonst läuft der Nachzugsstopp im März automatisch aus.

Vor der SPD liegen die Mühen der Parteitags-Ebene

So erschien der gedämpfte Optimismus angebracht, den Sachsen-Anhalts Regierungschef Rainer Haseloff beim Gang in die SPD-Zentrale verbreitete: „Ich glaube, dass wir so problemorientiert sind, dass wir heute eine Lösung finden.“ Wobei „heute“ für „irgendwann in der Nacht“ stand. Eine weitere Verlängerung wollten alle vermeiden: Das Verständnis der Bürger für die Schwierigkeiten der Regierungsbildung ist erschöpft. Die CDU jedenfalls hatte für Freitag ab 9 Uhr Treffen von Präsidium und Vorstand angesetzt, der SPD-Vorstand wollte um 11 Uhr tagen, die Fraktionen waren für 13 Uhr zur Sondersitzung eingeladen.

Für Schulz aber fängt die Arbeit dann erst an. Merkel und Seehofer haben immer betont, dass für sie nur eine reguläre Koalition infrage kommt und keine Minderheitsregierung. Der SPD-Chef aber müsste, auch wenn seine Parteiführung zustimmt, davon am übernächsten Sonntag erst den Parteitag überzeugen. Die Jungsozialisten planen schon eine Gegenkampagne für die lange Woche bis dahin. Ihr Motto: #NoGroKo!

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