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Ein Hashtag, der geeignet ist, am Verhältnis der Geschlechter etwas zu ändern.

© AFP

Sexuelle Belästigung: Warum #MeToo etwas verändern wird

Opfer sprechen, Täter verlieren ihre Jobs: Mit der weltweiten Hashtag-Aktion zu sexueller Belästigung und Vergewaltigung hat ein Umdenken angefangen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Friedhard Teuffel

Ein Minister ist zurückgetreten. Das ist ein für die Öffentlichkeit sichtbares Zeichen, dass er etwas falsch gemacht hat. Gerade diesem Rücktritt kommt nun eine besondere Bedeutung zu. Denn er kennzeichnet eine gesellschaftliche Entwicklung. Darauf hat der zurückgetretene britische Verteidigungsminister Michael Fallon selbst hingewiesen: „Die Kultur hat sich über die Jahre geändert. Was vor 15 oder zehn Jahren wohl noch akzeptiert wurde, ist ganz klar heute nicht mehr akzeptabel.“ Er hatte eine Journalistin sexuell belästigt.

Es reicht. Sogar für den Rücktritt eines Regierungsmitglieds. Das ist das Ermutigende aus den entwürdigenden, demütigenden, verletzenden und traumatisierenden Erfahrungen mit sexueller Belästigung und sexueller Gewalt, die vor allem Frauen, aber auch Männer gerade weltweit öffentlich machen. Bei ähnlichen Vorwürfen kann dieser Rücktritt als Rahmen dafür herangezogen werden, was als Konsequenz möglich ist. Er verdeutlicht, dass eine Debatte wie sie im Internet gerade unter dem Hashtag #MeToo geführt wird, nicht folgenlos bleibt, nicht anfängt, sich im Kreis zu drehen und am Ende einfach ausfranst. Sie kann zu einem sehr konkreten Ergebnis führen.

Was als Reaktion auf die Vorwürfe der sexuellen Nötigung bis hin zur Vergewaltigung gegen den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein begann, zieht nun immer weitere Kreise. Am Samstag trat auch der Gründer der österreichischen Grünen Peter Pilz als Abgeordneter zurück, nachdem zwei Frauen über sexuelle Belästigungen berichtet hatten, eine frühere Mitarbeiterin und eine Europa-Abgeordnete. Pilz hatte die von den Grünen abgespaltene Liste Pilz gerade in den Nationalrat geführt. Und nachdem bereits ein Abgeordneter der britischen Labour-Partei suspendiert worden war, entschieden sich auch die Tories für diese Maßnahme gegen einen Abgeordneten. Beide bestreiten die gegen sie erhobenen Vorwürfe.

Die Aufklärungsbereitschaft gewinnt zum Glück allmählich systematischere Züge. Parlamente befassen sich mit Verfehlungen von Abgeordneten, Unternehmen und andere Institutionen schauen ebenfalls auf die eigenen Reihen und entwickeln eine neue Offenheit, dokumentieren aber auch, wie groß der Rückstand zum Selbstverständlichen noch ist. Im britischen Parlament soll es nun einen Verhaltenskodex für den Umgang mit Vorwürfen sexueller Belästigung geben. Für Opfer soll etwa eine Hotline eingerichtet werden, eine unabhängige Person bei der Aufklärung hinzugezogen werden. Nur warum das alles erst jetzt, obwohl es in anderen Rechtsbereichen schon ein bis ins Kleinste durchdachtes Aufklärungs- und Sanktionssystem gibt?

Manche sehen auch jetzt wieder eine Hysterie - sie irren

#MeToo ist daher Diagnose und Weiterführung in einem. Diagnose, weil es erst vieler öffentlicher Erfahrungsberichte bedurfte, um sexuelle Belästigung in die öffentliche Auseinandersetzung zu bringen, um Menschen zu ermutigen, ihre Scham zu überwinden und nicht mehr über ihre Erlebnisse zu schweigen. Frauen finden immer noch zu wenig Gehör und Verständnis, wenn sie von sexuellen Übergriffen erzählen. Oder wie es die Unterhaltungskünstlerin Carolin Kebekus in der ARD formulierte: „Anscheinend glaubt man uns immer nur im Rudel.“

Gleichzeitig führt die Debatte auch weiter. Es hat sich eine Tür geöffnet. #MeToo wird im Vergleich zum ebenfalls notwendigen #Aufschrei von 2013 international diskutiert, was den Druck sinnvollerweise verstärkt. Auch ist diesmal das politische System nicht der Ausgangspunkt, sondern ein Teil von vielen. Es ist zudem schwer vorstellbar, dass der Bundespräsident noch einmal von einem „Tugendfuror“ sprechen würde, wie es Joachim Gauck in der #Aufschrei-Debatte getan hatte.

Manche meinen zwar auch jetzt wieder, eine Hysterie zu erkennen, wo es doch immer noch um die Schilderungen von Betroffenen geht. Das ist Irrsinn und drängt die Opfer in die Position, sich rechtfertigen zu müssen. Doch die Debatte ist insgesamt von größerer Kraft getragen, sie lässt sich nicht mehr so schnell ersticken. Respekt und Empathie sind gestiegen, wenn Opfer von Übergriffen erzählen.

Frauen weisen zu Recht darauf hin, dass den Opfern von Vergewaltigungen nicht geholfen ist, wenn gewalttätige Übergriffe und zotige Sprüche in einem Atemzug als sexuelle Belästigungen genannt werden. Dennoch besteht eine Verbindung, weil der alltägliche Sexismus Nährboden für Übergriffe sein kann. Manche Täter fangen mit sexistischen Sprüchen an zu testen, wie weit sie gehen können, bis sie zurückgewiesen werden.

Es besteht dennoch Anlass zur Hoffnung, dass #MeToo und die aktuelle Debatte nicht nur einige Politiker zum Rücktritt zwingt, sondern dauerhaft etwas verändern kann. Dazu muss die Aufmerksamkeit auf die Ursachen gelenkt werden, darauf, dass sexuelle Übergriffe primitivstes Ausnutzen einer Machtposition sind. Je transparenter und respektvoller zum Beispiel der Umgang in Firmen, Institutionen und anderen Gruppen, desto weniger Räume bieten sich hier für Täter.

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