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Die Koalition will das Prostitutionsgesetz von 2002 verschärfen. Bei Betroffenen und Experten stoßen einige Pläne auf Unverständnis.

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Update

Sexarbeits-Kongress: Prostituierte kritisieren Gesetzespläne der Koalition

Auf dem Berliner Kongress der Sexarbeiterinnen hat es heftige Kritik an den Koalitionsplänen zur Reform des Prostitutionsgesetzes gegeben. Auch der Deutsche Frauenrat, größter Dachverband der deutschen Frauenorganisationen, ist auf der Seite der Prostituierten.

Der deutsche Frauenrat hat die Koalitionspläne zur Reform des Prostitutionsgesetzes heftig kritisiert. Der größte Dachverband der deutschen Frauenorganisationen wendet sich vor allem gegen die Heraufsetzung des Mindestalters von 18 auf 21 Jahre und die von den Unionsparteien geforderte verpflichtende Gesundheitsuntersuchung.

In ihrem Grußwort auf dem derzeit in Berlin tagenden Sexarbeits-Kongress von Prostituiertenorganisationen und Beratungsstellen sagte Henny Engels vom Vorstand des Frauenrats, das Mindestalter helfe jüngeren Frauen nicht. Es dränge sie aber „in ein Dunkelfeld“. Es sei widersinnig, dass bereits 16-Jährige sich Brustimplantate einsetzen oder die Gebärmutter entfernen lassen, sich aber nicht für Sexarbeit entscheiden dürften.

Die ärztliche Zwangsuntersuchung sei bereits vor Inkrafttreten des rot-grünen Prostitutionsgesetzes 2002 „aus gutem Grund abgeschafft worden“. Sexworker seien in der Regel die besten Hüterinnen ihrer Gesundheit, und die Erfahrungen von Beratungsstellen zeigten, dass sie besser angenommen würden, wenn die Anonymität der Frauen gewährleistet sei. „Menschen, auch Frauen, sollten anerkennen, dass sie die Entscheidungen anderer Menschen, auch Frauen, zu respektieren haben, auch wenn sie sie nicht nachvollziehen können“, sagte Engels unter dem Beifall des Publikums.

Schwierigkeiten nicht mit der Arbeit, sondern mit ihrer Diskriminierung

Die in Berlin tätige israelische Sexworkerin Liad Kantorowicz verwies in ihrem Vortrag über Arbeitsbedingungen in der Branche darauf, dass es wenig Probleme während der Sexarbeit gebe, aber viele, die Prostituierte außerhalb ihrer Arbeit erführen. Das seien etwa „Diskriminierung und Ausgrenzung durch geliebte Menschen und Familie, vor denen wir unsere Arbeit verstecken müssen, die Angst, als ungeeignete Eltern abgestempelt zu werden“, sagte Kantorowicz. Dass der Großteil der Sexworker Migrantinnen seien, liege daran, dass dieses Arbeitsfeld „zugänglicher“ sei, während selbst für Putzstellen oft Sprachkenntnisse gefordert würden.

Zugleich litten Migrantinnen mehr als Deutsche, weil ihnen wichtige Rechte fehlten. Zu sprechen wäre, so Kantorowicz, insgesamt über Arbeit. Wer annehme, dass niemand sich freiwillig für Prostitution entscheide, unterschlage, dass auch die meisten anderen Menschen arbeiteten, weil sie müssten, nicht weil sie es sich ausgesucht haben. Wenn Sexworker „unter schlechten Bedingungen arbeiten, wollen wir nicht als Opfer betrachtet werden. Sondern wie in jeder anderen Branche wollen wir darüber reden, wie das zu verbessern ist.“

Geht es nicht um die Freizügigkeit der Huren, sondern um die der EU?

Die Medienwissenschaftlerin Sabine Schiffer (Erlangen und Berlin) und die Leipziger Politikprofessorin Rebecca Pates machten auf die Parallelen zwischen Migration und Prostitution in der öffentlichen Debatte aufmerksam. "Überschwemmen", "schleusen" oder "Flut" seien zum Beispiel "Metaphern aus dem Migrationsdiskurs", die auch auf Prostitution angewendet würden. "Womöglich geht es gar nicht um Prostitution, sondern um die Freizügigkeit in der EU", vermutet Schiffer. Dafür spreche auch die Rolle von Protagonistinnen wie der "Emma"-Herausgeberin Alice Schwarzer, die vor der Kampagne zur Rettung von Prostituierten "zur Zwangsrettung muslimischer Frauen" losgetreten habe. Für beide Fälle gelte: "Alice Schwarzer wusste es besser als die Betroffenen."

Pates sieht die deutsche Entwicklung aber auch im europäischen Trend. Überall in Europa werde gerade Prostitution "unsichtbar gemacht", die selbst im 19. Jahrhundert "Teil europäischer Urbanität" gewesen sei und von der alle Reisebeschreibungen voll waren. Die aktuelle Entwicklung gehe mit einer neuen Moralisierung. einher. "Früher war von Sitten die Rede, heute ist Prostitution schlecht für Frauen", so Pates. Die Moral sei aber "unter neuen Vorzeichen" die alte.

Ein Gesetz, das nie beachtet wurde

Ist das Prostitutionsgesetz von 2002 gescheitert? Die Frage beantwortet die Moderation des Kongresses, Pieke Biermann, Buchautorin ("Wir sind Frauen wie andere auch") und einst selbst in der Hurenemanzipationsbewegung aktiv. Sein Scheitern habe aber sehr damit zu tun, dass die Länder, auf deren Mitwirkung im Gewerbe- und Polizeirecht es angewiesen war, zum großen Teil nicht mitspielten, "bewusst und aus böser Absicht". Insofern werde auch die jetzt geplante Reform der Reform das Kernproblem des Gesetzes nicht heilen, bemerkte in Richtung der Koalitionsverhandlerinnen Eva Högl (SPD) und Sylvia Pantel (CDU) auf der Podiumsdiskussion am Abend die Linken-Frauenpolitikerin und Bundestagsabgeordnete Cornelia Möhring. "Es wird bei der Zersplitterung bleiben", sagte sie.

Der Widerstand der Länder, meint Pates, hat das Prostitutionsgesetz von 2002 ohnehin zu einem rechtshistorischen Unikum gemacht. Es dürfte wohl das einzige deutsche Gesetz sein, das nie umgesetzt wurde. Nicht alle Länder hätten es dabei so ausdrücklich unterlaufen wie Bayern, das 2002 per Erlass an die Landesbehörden verhinderte, dass die von der rot-grünen Bundesregierung beabsichtigte Normalisierung des Gewerbes Wirklichkeit wurde. Begründung: Es handle sich um ein moralisches Gesetz. Das aber könne nicht von Menschen gemacht werden.

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