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Ultraschall, Abbruch - können Schwangere sich gut informieren? Der Paragraf, der Information einschränkt, wird heftig debattiert.

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Update

Schwangerschaftsabbruch: Wird Abstimmung über Abtreibungsparagraf zur Gewissensfrage?

In dieser Woche diskutiert der Bundestag die Reform des Paragrafen, der neben Werbung auch Information über Abtreibung verbietet. Die SPD verzichtet zunächst auf einen eigenen Antrag. In einer Anhörung der FDP wurden jetzt mögliche Lösungen diskutiert.

Der heftig diskutierte Paragraf 219a, der Werbung für Schwangerschaftsabbruch verbietet, wird wohl nicht abgeschafft, sondern könnte mit den Stimmen von vier der sechs Fraktionen im Bundestag neu formuliert werden. Die SPD hat kurz vor der ersten Lesung im Bundestag jetzt mitgeteilt, dass sie ihren eigenen Antrag, der auf Abschaffung des 219a zielte, am Donnerstag nicht einbringen wird. Man setze weiter auf Gespräche mit Union, Grünen, Linken und FDP für eine fraktionsübergreifende Lösung, teilte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Eva Högl mit. "Klar ist, dass wir eine Konkretisierung brauchen. Wir müssen sicherstellen, dass Frauen sich objektiv über Schwangerschaftsabbrüche informieren können und Ärzte sich dadurch nicht strafbar machen", sagte Högl. "Denkbar wäre eine Kompromisslösung, nach der § 219a StGB nicht gestrichen wird, wir aber durch eine gesetzliche Klarstellung die Rechtsunsicherheit für Ärzte und Ärztinnen beseitigen und das Recht auf sachliche Information über Schwangerschaftsabbrüche für betroffene Frauen gewährleisten."

Mit der Werbung auch Information verboten

Möglicherweise werde man den Weg über Gruppenanträge wählen - also fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe. Da sich die Union kürzlich klar gegen jede Änderung an dem Paragrafen ausgesprochen hat, müsste die Abstimmung, falls es zu einer Koalition mit der SPD kommt, als Gewissensentscheidung freigegeben werden. Grüne und Linke, die mit eigenen Anträgen die Abschaffung des Paragrafen wollen, haben in der Vergangenheit signalisiert, dass sie auch für eine Reform offen wären. Die FDP bringt ihren Antrag erst am Donnerstag ein. Die AfD will wie die Union keine Änderung.

Der Paragraf 219a ist mit "Werbung" überschrieben, verbietet aber auch sachliche Information, indem er jedem und jeder Strafe androht, der oder die Schwangerschaftsabbrüche, so der Gesetzestext, öffentlich "anbietet, ankündigt, anpreist". Das bringt in der Praxis Ärzte in Schwierigkeiten, die Schwangerschaftsbrüche durchführen und dies auf ihren Websites auch erklären. Die Debatte um den 219a hat im vergangenen Jahr ein Urteil des Amtsgerichts Gießen ausgelöst, das die Ärztin Kristina Hänel zu einer Geldstrafe von 6000 Euro verurteilte, weil sie auf ihrer Praxis-Website darüber informiert hatte, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführe.

"Nicht getraut zu prozessieren"

Inzwischen wurden weitere Fälle bekannt. Sie sind, wie am Montag während einer Fachkonferenz der FDP-Bundestagsfraktion zum Thema erörtert wurde, wohl nur einige von sehr vielen. Der Münchner Gynäkologe Friedrich Andreas Stapf, einer der geladenen Experten, berichtete von einem Dutzend Ermittlungsverfahren, die unter Berufung auf den Paragrafen 219a gegen ihn gelaufen seien. "Anders als Frau Hänel habe ich mich nicht getraut zu prozessieren", sagte er. Er habe stattdessen jeweils 200 bis 300 Euro gezahlt, damit sie eingestellt wurden, "hinzu kamen etwa 2000 Euro Anwaltskosten". Um ein Verfahren zu bekommen, genüge es, wenn er in einem Zeitungsinterview erwähne, dass er seit 50 Jahren Abbrüche durchführe. "Das habe ich satt", sagte Stapf, ebenso wie jene "unsäglichen Lebenschützer, die mich problemlos Massenmörder nennen dürfen - denn dagegen geht der Staatsanwalt nicht vor". Stapf, den der FDP-Vizefraktionsvorsitzende Stephan Thomae als "Teil der Rechtsgeschichte dieses Landes" zum Thema vorstellte, führt in München eine Spezialklinik. Er ist nach seinem 1989 in einem spektakulären Prozess verurteilten Memminger Kollegen Horst Theissen der bekannteste deutsche Abtreibungsarzt.

Katholische Kirche: Kompromiss nicht gefährden

Stapf widersprach mit seinem Hinweis auf eigene juristische Probleme seiner Vorrednerin beim Hearing der FDP, der stellvertretenden Leiterin des Kommissariats der katholischen deutschen Bischöfe Katharina Jestaedt. Es gebe "keine Kriminalisierung von Ärzten" durch den Paragrafen 219a, sagte Jestaedt. Das Verfahren gegen Kristina Hänel sei "sicher kein typischer Fall", auch wenn die Anzeige-Kampagnen von Gruppen von Abtreibungsgegnern "kaum im Sinne einer seriösen Auseinandersetzung" seien. Sie plädierte dafür, den Paragrafen unverändert zu lassen - dafür hat sich vor Wochen auch die Unionsfraktion im Bundestag ausgesprochen. Jestaedts zentrales Argument: Abtreibung seien und blieben rechtswidrig, und das Bundesverfassungsgericht habe in seinem Urteil von 1993 den Gesetzgeber aufgefordert, "die Missbilligung des Schwangerschaftsabbruchs durchgängig in der Rechtsordnung deutlich zu machen". Insofern sei auch das Werbeverbot "integraler Bestandteil" dafür, dass die Abtreibungsgesetzgebung - korrekt durchgeführte Abbrüche sind nach geltendem Recht straffrei - verfassungsgemäß sei. Jestaedt wies darauf hin, dass schwangere Frauen auch weiterhin an Informationen kämen, die sollten aber der per Gesetz vorgeschriebenen Schwangerschaftskonfliktberatung vorbehalten bleiben: "Ausgeschlossen ist lediglich die öffentliche Information." Sie erinnerte an den jahrzehntelangen Streit um den Abtreibungsparagrafen 218 und warnte davor, "den mühsam gefundenen Kompromiss durch das Herausbrechen einer Säule" zu gefährden.

Abtreibende Ärzte in der Schmuddelecke

Dem widersprach die Kölner Juraprofessorin Elisa Hoven: Der 219a sei "kein tragender Pfeiler des Beratungskonzepts", ihn zu streichen, wäre aus ihrer Sicht verfassungs- oder strafrechtlich kein Problem. Sie plädierte während der Anhörung dennoch für Umformulierung statt Streichung - im Sinne dessen, was sie "gesellschaftlichen Klimaschutz" nannte. Strafbar sollte künftig nur noch die Verherrlichung von Schwangerschaftsabbruch sein und anderes, das geeignet ist, "das öffentliche Empfinden gravierend zu verletzen".

Die Berliner Frauenärztin Christiane Tennhardt verwies wie ihr Kollege Stapf auf die Notwendigkeit schneller seriöser Informationen. "Das verhindert der Paragraf 219a." Frauen, die ungewollt schwanger würden, seien in einem psychischen Ausnahmezustand, in dem sie sich tagelang erst Arzt oder Ärztin für eine erste Beratung suchen müssten, dann die gesetzlich vorgeschriebene Beratung, schließlich eine Stelle, wo der Abbruch möglich sei. Alle Erfahrung zeige, dass sie überhaupt erst daran dächten, nicht abzutreiben, "wenn dieser Stress hinter ihnen liegt". Wäre seriöse öffentliche, also auch anonym im Netz verfügbare Information möglich, könnte dieser Stress vermindert werden. Außerdem schaffe der Paragraf "eine Schmuddelecke" der Kriminalisierung einer ärztlichen Leistung. "Das führt auch unter uns Ärztinnen und Ärzten dazu, dass immer weniger Abbrüche vornehmen". 26 Anzeigen habe es 2016 gegeben, "jeder Arzt weiß das". Selbst in Berlin mit seinen mehr als 400 Frauenärzten biete nur eine Minderheit Abbrüche an.

Evangelische Frauen für Streichung des 219a

Die Evangelischen Frauen in Deutschland sprachen sich Anfang der Woche für die Abschaffung des Paragrafen 219a aus. Der Paragraf verhindere, dass Frauen in Notlagen sich eigenständig und unabhängig von Beratungsstellen informieren könnten, sagte die Verbandsvorsitzende Susanne Kahl-Passoth am Montag in Hannover. Es sei erschreckend und skandalös, dass noch im Jahr 2018 ein Gesetz Bestand habe, das als eines der ersten Gesetzesvorhaben der Nationalsozialisten 1933 in Kraft trat, sagte Kahl-Passoth. „Das Selbstbestimmungsrecht und auch das Recht auf freie Arztwahl werden damit eingeschränkt - mit Blick auf unser freiheitlich-demokratisches Grundgesetz halte ich das für verfassungswidrig.“ (mit epd)

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