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Eine hochschwangere Frau fasst sich mit beiden Händen an ihren Bauch (Archivfoto).

© picture-alliance/ dpa

Schwangerschaft und Beruf: Das neue Mutterschutzgesetz führt zur Selbstausbeutung

Familienministerin Manuela Schwesig lockert das Arbeitsverbot für werdende Mütter – ein falscher Schritt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Antje Sirleschtov

Es geht doch nur um ein paar Stunden. Nun hab’ dich mal nicht so. Bis Ende diesen Jahres brauchen sich Frauen, die ein Baby bekommen, auf solche Versuche ihrer Arbeitgeber, Druck auszuüben, gar nicht erst einzulassen. Ganz gleich, aus welchem Grund: Schwangere sind gesetzlich geschützt; sie dürfen – mit wenigen Ausnahmen – nicht länger als bis 20 Uhr arbeiten und auch nicht an Wochenenden.

Damit soll nun Schluss sein. Unmodern, unflexibel sei das Mutterschutzgesetz, sagt Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) und verweist auf dessen Herkunftsjahr: 1952. Klar, damals hatten werdende Mütter (meistens jedenfalls) ernährende Väter an ihrer Seite und mussten vom Gesetzgeber für die Zeit der Schwangerschaft vor schwerer körperlicher Arbeit geschützt werden. Heute sind sie im Durchschnitt gesünder, flexibler und stehen wirtschaftlich auf eigenen Beinen. Viele fühlen sich gut, sind leistungsfähig, und wollen nicht selten bis zum siebten Monat am OP-Tisch stehen und sonntags Dienst schieben.

Die einen sehen in der Reform eine willkommene Modernisierung

Ihnen will Manuela Schwesig mit dem neuen Mutterschutzgesetz entgegenkommen und ihrem Wunsch nach Flexibilität mit lockereren Regeln zum Mutterschutz entsprechen. Für manche Frauen trägt die Reform sicher willkommene Züge einer Modernisierung, sie kommt ihrem Wunsch nach mehr Selbstbestimmung entgegen.

Im Grunde aber treibt das neue Mutterschutzgesetz die Frauen in eine Falle und die Familien noch ein Stückchen mehr hinein in die Ökonomisierung. Kinder, die von Montag bis Freitag bis 18 Uhr in Kitas sitzen, gehören schon zur Selbstverständlichkeit der Arbeitswelt. Genauso wie dauergenervte Eltern im Zwiespalt von Leistungswille und dem Wunsch nach mehr Zeit für die Kinder.

Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD).
Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD).

© dpa

Die Lockerung ist eine Kapitulation des Staat vor den Erfordernissen des Marktes

Nun wird wieder eine Grenze eingerissen: Wer zustimmt, darf auch in der Schwangerschaft bis 22 Uhr arbeiten und an Wochenenden eingesetzt werden. Der Gesetzgeber weicht das Beschäftigungsverbot auf und überlässt es Arbeitgebern und Schwangeren, Einsatzzeiten und Dienstpläne während der Schwangerschaft individuell auszuhandeln. Das neue Mutterschutzgesetz ist eine Kapitulation des Staates vor den Erfordernissen des Marktes.

Mutter Schwesig, die Familienministerin, kehrt gerade nach der Geburt ihres zweiten Kindes in den Job zurück. Sie argumentiert zwar, niemand werde dazu gezwungen, sonntags zu arbeiten. Die Freiwilligkeit sei garantiert.

Der Chef sitzt am längeren Hebel

Aber was heißt schon freiwillig im Alltag der zumeist jungen Frauen? Sie stehen am Anfang ihrer Berufstätigkeit, müssen sich in befristeten Jobs und Praktika erst einen Platz in den Unternehmen und einen Einstieg in die berufliche Entwicklung erkämpfen. Da hat man nicht allzu viele Argumente, wenn der Chef oder die Chefin die Feiertagsdienste wegen knapper Personalressourcen besetzen muss und die Schicht in der Internetfabrik erst um 22 Uhr endet.

Da wird aus Selbstbestimmung rasch Selbstausbeutung, und Ausnahmen im Gesetz mutieren mit der Zeit zu Regeln des gesellschaftlichen Alltags. Die Familienpolitiker im Bundestag, denen die Regierung das neue Mutterschutzgesetz nun vorgelegt hat, sollten sich gut überlegen, ob sie den gesetzlichen Schutzraum für werdende Mütter in Zukunft weiter eingrenzen.

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