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Bevor er in die Politik ging, arbeitete Robert Habeck (Grüne) als Autor.

© Mike Wolff

Schleswig-Holsteins Umweltminister Habeck: „Die Grünen im Norden müssen linker werden“

Schleswig-Holsteins grüner Umweltminister Robert Habeck über die Jamaika-Koalition in Kiel, die Veränderung der Parteienlandschaft und den Wahlkampf der Bundespartei.

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Herr Habeck, seit zwei Monaten regieren die Grünen in Schleswig-Holstein gemeinsam mit CDU und FDP. Wie läuft das Experiment?

Gut. Zugewandt. Programmatisch kommen wir aus weit entfernten Ecken. Deshalb bemühen sich alle, eine menschlich vertrauensvolle und verlässliche Arbeitsgrundlage zu schaffen. Aber ehrlicherweise muss ich auch sagen: Wir sind ja erst am Anfang. Von den zwei Monaten waren sechs Wochen parlamentarische Sommerferien. Die Nagelproben für Jamaika kommen noch.

Für die Beteiligten war Jamaika nicht gerade das Wunschbündnis, am wenigsten für die Grünen. Warum haben Sie sich trotzdem dafür entschieden?

Wir haben unser starkes Ergebnis in Schleswig-Holstein als klaren Regierungsauftrag verstanden. Die Grünen müssen ja nicht automatisch in die Opposition gehen, nur weil die SPD schwächelt.

Aber verspielen Sie mit Jamaika nicht Sympathien bei den eigenen Anhängern?

Meine Sorge war, dass uns diese Koalition ein Drittel unserer Mitglieder kosten könnte. Es ist aber anders gekommen: Wir haben viele Neueintritte, auch nach dem Wahltag. Das liegt sicher nicht an Jamaika, aber vermutlich daran, dass wir verantwortungsvoll mit dem Wahlergebnis umgegangen sind.

Für viele Grüne gilt die FDP als politischer Beelzebub. Wie kann Ihre Partei mit solchen Leuten zusammenarbeiten?

Selbstbewusst. Nach der Wahl haben wir Grüne uns zuerst mit der FDP getroffen. Wir haben nicht das Trennende gesucht, sondern Gemeinsamkeiten. Das waren die Ehe für alle, ein Integrationsgesetz, ein Einwanderungsgesetz, der Umgang mit der Sicherheitspolitik und Freiheitsrechten in Zeiten des Terrors. Da bahnte sich ein Nukleus von gemeinsamen Projekten an, die so wertvoll waren, dass das Trennende im Umwelt- und Energiebereich überwindbar schien.

Belastet der Bundestagswahlkampf das Klima in Ihrer Koalition?

Natürlich geht das nicht spurlos an uns vorbei. Aber in einer gemeinsamen Regierung zu sein, bedeutet für mich auch, auf die Partner ein gewisses Maß an Rücksicht nehmen zu müssen, Bundestagswahl hin oder her.

Neulich hat der Kieler FDP- Fraktionschef Wolfgang Kubicki die Grünen im Bund für nicht Jamaika-tauglich erklärt. Die „moralische Impertinenz“ von Spitzenkandidatin Katrin Göring-Eckardt gehe ihm auf den Senkel.

Und ich habe ihm erklärt, dass er mit solchen Verunglimpfungen auch das Koalitionsklima in Kiel vergiftet. Jamaika war auch deswegen möglich, weil wir uns im Wahlkampf nicht persönlich beleidigt haben. Das hat es später leichter gemacht, inhaltliche Differenzen zu überwinden. Koalitionen werden über Inhalte geschlossen, scheitern aber an Emotionen. Immer gern hart in der Sache, aber wir sollten versuchen, Menschen nicht persönlich zu diskreditieren.

Hält die Koalition trotz solcher Querschläge fünf Jahre durch?

Ja. Die Menschen in Schleswig-Holstein erwarten, dass wir vernünftig regieren, und das tun wir auch. Wir hatten in Schleswig-Holstein zwei Mal hintereinander verkürzte Legislaturperioden. Mit uns Grünen dauerte die letzte dann fünf Jahre. Anscheinend sorgen wir Grünen für Stabilität und Kontinuität – auch mal was.

Wo liegen inhaltlich die größten Probleme bei Jamaika?

Bei der CDU mussten wir den größten Bogen in der Innen- und Sicherheitspolitik schlagen. Bei der FDP liegen die Probleme eher im Bereich von Steuern und staatlichen Eingriffen. Es geht in dieser Koalition nicht um die Grünen gegen den Rest der Welt, sondern um ein diffiziles Geflecht von Interessen, die ausbalanciert werden müssen. Ich hoffe, dass daraus etwas Neues erwachsen kann.

Das müssen Sie erklären.

Jamaika ist aus der Situation geboren, dass es für die klassischen Konstellationen nicht mehr reichte. Vielleicht können wir dadurch jetzt ein paar Dinge ausprobieren, die vorher nicht möglich waren. Es reicht nicht, wenn eine Koalition ihr Pflichtprogramm abarbeitet und sich dabei möglichst wenig streitet. Eine gute Regierung muss auch ein paar Sachen neu und frisch voranbringen.

Was heißt das konkret?

Natürlich steht Jamaika für die Versöhnung von Ökonomie und Ökologie. Die spannende Frage ist aber, wer sich in dieser Konstellation um die soziale Frage kümmert. Ich glaube, dass die Grünen im Norden jetzt linker werden müssen. Das heißt nicht, dass wir Positionen der Linkspartei übernehmen sollen. Aber wir müssen uns stärker um die Zukunft der Arbeit und den Zusammenhalt der Gesellschaft kümmern. Da liegt eine riesige Aufgabe für die Grünen.

Die Grünen müssen also eine Art bessere SPD werden?

Wir werden uns nicht auf den ausgetretenen Pfaden der Sozialpolitik bewegen können, weil CDU und FDP da nicht mitmachen. Aber es geht zum Beispiel darum, dass in den Start-ups, die durch die Digitalisierung entstehen, nicht nur prekäre Jobs entstehen. Oder um die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Und wir haben für die Regierung vereinbart, neue Absicherungsmodelle, darunter das Grundeinkommen, zu prüfen und dann unsere Ergebnisse auf die Bundesebene zu tragen. Das ist das erste Mal, dass so etwas in Deutschland die Regierungsebene erreicht.

Was planen Sie konkret?

Wir müssen aus der Laberphase rauskommen und endlich mal konkret ausprobieren, was ein Grundeinkommen bewirkt. Zugespitzt geht es um die Frage, ob der Mensch faul ist und das Bruttosozialprodukt einbricht, wenn man auch fürs Nichtarbeiten Geld bekommt, oder ob der Mensch nicht doch Arbeit und Kreativität sucht und mit einem Grundeinkommen etwas freier und mutiger und glücklicher wird. Wir können auf eigene Faust kein Modellprojekt starten, weil Steuerfragen im Bund entschieden werden. Aber wir können aus Schleswig-Holstein einen Vorschlag machen, wie man bundesweit ein Grundeinkommen in mehreren Kommunen ausprobieren kann.

Haben Sie nicht die Befürchtung, dass die Grünen als beliebig wahrgenommen werden, wenn sie mit allen politischen Kräften mit Ausnahme der AfD koalieren wollen? Die SPD höhnt schon, wer nach allen Seiten offen sei, könne nicht ganz dicht sein …

Das muss ausgerechnet die SPD sagen, die ja selbst mit CDU und FDP, Grünen und Linken regiert. Natürlich würde ich mir auch wünschen, die Grünen hätten 46 Prozent und könnten sich einen kleinen Koalitionspartner aussuchen. Es ist aber leider nicht so. Irgendwie müssen wir mit der Wirklichkeit umgehen. Wenn wir uns verweigert hätten, wäre das Ergebnis eine große Koalition in Kiel oder Neuwahlen gewesen. Neuwahlen, weil Politiker nicht mit demokratischen Mehrheiten umgehen können? Dann können wir den Laden gleich dichtmachen. Und wir brauchen radikale Politikentwürfe und Impulse der Erneuerung. Die liefert eine große Koalition nicht. Wir wollen nicht den Stillstand zementieren.

Gilt das auch für den Bund?

Die Veränderung der Parteienlandschaft verlangt eine höhere Flexibilität von allen. Wir können nicht mehr nur die alten Antworten auf gesellschaftliche Probleme geben. Wir müssen auch neu denken über den Umgang mit politischen Gegnern, die bislang nicht als Regierungspartner infrage kamen. Die Menschen wählen, wen sie wollen – das ist ja gerade der Sinn der Demokratie. Unsere verfluchte Aufgabe ist es, aus Wahlergebnissen etwas Gutes zu machen. Als grüner Politiker versuche ich natürlich, unter diesen schwierigen Bedingungen möglichst großen Einfluss zu nehmen. Und wenn man eine inhaltliche Grundlage findet, kann man das nun mal besser in der Regierung als in der Opposition.

Was heißt das für die Bundestagswahl?

Ob Grüne mitregieren, kann einen Unterschied wie Tag und Nacht machen. Vergleichen Sie die Koalitionsverträge aus Nordrhein-Westfalen und unseren – dort Schluss mit Energiewende und Klimaschutz, bei uns das Gegenteil. Man würde nicht denken, dass die gleichen Parteien so gegensätzliche Verträge unterzeichnet haben. Und worin unterscheidet sich die Farbzusammensetzung? Durch grün. Genauso ist unser Bundestagswahlkampf angelegt. Wir haben ein Programm beschlossen, das allen anderen Parteien im Falle einer Regierungsbildung viel zumuten würde, denken Sie an den Kohleausstieg oder an den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor. Das Programm ist scharf gestellt und gut.

Die Grünen-Spitzenkandidaten bei der Bundestagswahl, Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir, sind sehr skeptisch, wenn es um Jamaika geht …

Das bin ich auch.

Würden Sie im Bund trotzdem Jamaika empfehlen, wenn es die Zahlen hergeben?

Schleswig-Holstein ist keine Blaupause für Jamaika im Bund. Unsere Koalition ist unter sehr spezifischen Bedingungen entstanden. Wir hatten mit 13 Prozent eine sehr gute Ausgangsposition, außerdem kamen wir ja aus der Regierung. Wir waren gemeinsam mit der FDP in der Opposition, wo wir gelernt hatten, dass wir uns zwar nicht blind vertrauen, aber vernünftig zusammenarbeiten können. Dazu kommen alle Themen, die wir nicht lösen mussten, die auf Bundesebene aber da sind. Außenpolitik, Rüstung, Steuern … Die Voraussetzungen für Jamaika im Bund sind unendlich viel schwieriger. Vielleicht sind die Schwierigkeiten auch nicht zu überwinden. Die Fliehkräfte, denen ein solches Bündnis ausgesetzt ist, wären jedenfalls in Berlin weit stärker und gefährlicher, als sie das bei uns in Kiel sind.

Wie wichtig ist es, dass die Grünen von den kleinen Parteien die stärkste werden, am Abend der Bundestagswahl also als dritte Kraft im Bundestag dastehen?

Extrem. Wie gesagt, es geht nicht um wenige Prozentanteile, sondern um eine grundsätzliche Weichenstellung. Und deshalb lohnt sich der Wahlkampf und ist extrem wichtig.

Wenn die Grünen im Bund regieren sollten, wird Cem Özdemir wohl ein Ministeramt übernehmen. Wollen Sie ihm dann als Parteichef nachfolgen?

Mein Lieblingsjob als Minister ist gerade erst verlängert worden, ich bin nicht auf Jobsuche.

Herr Habeck, bisher waren Sie mit den Ressorts Umwelt und Landwirtschaft Minister für „alles, was draußen ist“. Jetzt sind Sie auch Landesminister für Digitalisierung. Was haben Sie sich vorgenommen?

Wir haben einen Riesenbatzen an konkreten Aufgaben zu erledigen: W-Lan als Teil der öffentlichen Infrastruktur etablieren, Glasfasernetze für Schulen, ein einfaches und sicheres Bürgerkonto errichten, damit man demnächst den Kindergeldantrag mit ein paar Mausklicks im Internet verlängern kann. Aber all die Digitalisierungsprozesse müssen wir stärker politisch denken. Die technische Entwicklung ist dramatisch viel schneller als die politischen Regelwerke, die geschaffen werden.

Selbstfahrende Autos und Pflege-Roboter werden in Zukunft zu unserem Alltag gehören. Macht Ihnen das Angst?

Angst zu haben wäre ebenso verkehrt wie in blinde Technikbegeisterung zu verfallen. Es wird viele Dinge geben, die unser Leben vereinfachen oder besser machen. Aber wir müssen auch aufpassen, dass wir nicht Sklaven der Informationstechnologie werden und am Ende nur noch dahin reisen, wo Google will, oder Freundschaften schließen, die Facebook uns vorschlägt. Die Digitalisierung ist eine ethisch-moralische Herausforderung für die Gesellschaft. Und darüber müssen wir viel stärker diskutieren.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Was, wenn nicht mehr Menschen entscheiden, welche Terroristen von Drohnen erschossen werden, sondern die Drohnen die Auswahl selbst treffen – zwar aufgrund von zig Parametern, die Menschen irgendwann einmal programmiert haben, aber im Ergebnis eben nicht mehr vom Menschen gesteuert? Wer trägt die Verantwortung: der Mensch oder die Maschine? Wir müssen entscheiden, wie wir mit Robotern umgehen, wenn sie intelligenter sind als wir und uns die Verantwortung für moralische Entscheidungen abnehmen.

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