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„2017 - Endlich Licht am Ende des Tunnels“ lautet der Titel der „Charlie Hebdo“-Sonderausgabe zum zweiten Jahrestag des Anschlags.

© promo

Satirezeitschrift "Charlie Hebdo": „Es gab zu viel Pathos“

Chefredakteur Biard gibt sich zwei Jahre nach dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ kämpferisch. Auch andere französische Medien haben Konsequenzen aus den Attentaten gezogen.

Genau zwei Jahre ist es her, dass zwei Islamisten in die Redaktion der französischen Satirezeitung „Charlie Hebdo“ stürmten und zwölf Mitglieder der Redaktion erschossen. Zwei Jahre, die Frankreich und Europa veränderten. Nach dem Anschlag am 7. Januar 2015 erklärten sich spontan weltweit viele mit dem Slogan „Je suis Charlie“ („Ich bin Charlie“) solidarisch im Kampf gegen Terror und für die Meinungsfreiheit. Wenige Tage darauf gingen Millionen Franzosen und Politiker aus aller Welt gemeinsam zum Protest in Paris auf die Straße. Der Spruch „Wir lassen uns unseren Lebensstil nicht verbieten“ war immer wieder zu hören. Doch der Anschlag auf „Charlie Hebdo“ war nur der Auftakt einer Terrorserie, die Europa bis heute erschüttert.

Die Satirezeitung, die durch bissige Mohammed-Karikaturen auf sich aufmerksam machte, wurde zum Symbol für die Werte der freien westlichen Welt. Und so bringt sie zum Zeichen des Protestes zum zweiten Jahrestag des Anschlags eine Sonderausgabe mit einer provozierenden Titelseite heraus. Ein Mann schaut in den Lauf eines Gewehres, mit dem ein Bärtiger mit langem Gewand auf ihn zielt, und verkündet jubelnd: „2017 – Endlich Licht am Ende des Tunnels“. Ironisch wie immer.

Die Redaktion von „Charlie Hebdo“ arbeitet heute in geheimen Büroräumen und steht unter Polizeischutz. Das Lachen haben sie sich aber nicht verbieten lassen. „Lachen ist unser wichtigster Antrieb“, sagt Chefredakteur Gérard Biard dem Tagesspiegel. „Wir setzen uns wie früher für die Pressefreiheit ein.“ Die Satirezeitschrift bleibt damit ein Vorbild für Europa, das sich vom Terrorismus nicht unterkriegen lassen will. Der Geist von „Charlie Hebdo“ lebt weiter – den Terroristen zum Trotz. Die verbreiteten nämlich nach dem Anschlag: „Wir haben ,Charlie Hebdo‘ getötet.“ Im Gegenteil: Seit Kurzem gibt es auch eine deutsche Ausgabe.

Der Ausnahmezustand gilt immer noch

Allerdings hatten die Terroranschläge in Frankreich zahlreiche politische Auswirkungen. Nach dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ zeigten Frankreichs Politiker eine vereinigte Front. Bei den Anschlägen in Paris am 13. November 2015 mit 130 Toten fing diese schon an zu bröckeln und nach dem Anschlag von Nizza am französischen Nationalfeiertag, dem 14. Juli 2016, mit 86 Toten war die Einigkeit dahin. Politiker aller Parteien versuchten den Terror für sich auszunutzen und kritisierten die Sicherheitspolitik der sozialistischen Regierung.

Damit begann schon der französische Präsidentschaftswahlkampf. Sicherheit, Immigration und die Strategie gegen den Terror sind seitdem zu wichtigen Themen für die Wahl im April und Mai geworden. Nicht nur die rechtsextreme Partei Front National, auch Konservative wie Nicolas Sarkozy oder der Kandidat der Konservativen für die Präsidentschaftswahl, Ex-Premierminister François Fillon, sprangen auf den Zug auf. Die Themen dürften in den nächsten Monaten Frankreich weiter beherrschen.

Als Antwort auf die Anschläge wurden auch die Anti-Terror-Gesetze verstärkt. Das französische Parlament stimmte für ein Sicherheitsgesetz, das den Geheimdiensten weitgehende Überwachungsmöglichkeiten und Hausdurchsuchungen erlaubt. Kritiker, vor allem linke Politiker und Bürgerrechtsorganisationen, beanstandeten, dass damit im „Mutterland der Menschenrechte“ Freiheiten bedroht werden. Doch in der Bevölkerung fanden die Maßnahmen Zustimmung, laut Umfragen waren 84 Prozent der Franzosen für strengere Kontrollen und eine gewisse Einschränkung der Bürgerrechte.

Touristen meiden die Stadt weiterhin

Die Bewachung gehört inzwischen zum Alltag – nicht nur bei Großereignissen wie der Fußball-Europameisterschaft im Juni 2016. Wer in die Kaufhäuser Printemps oder Galeries Lafayette geht, wird kontrolliert, auch in den Museen herrscht Hochsicherheit. Auf den Bahnhöfen patrouillieren Hunderte von Polizisten und Militärs, sie stehen auch vor Kirchen und spazieren über die Wochenmärkte. Langsam gewöhnt man sich an den Anblick, der vor zwei Jahren noch Beklemmungen ausgelöste.

Waren nach dem Anschlag von Paris die Cafés und Restaurants wochenlang leer, ist wieder Normalität eingekehrt. Den Lebensstil haben sich die Franzosen nicht verbieten lassen, aber sie sind sich der Gefahr bewusst. So wurden nach Nizza zahlreiche Großveranstaltungen abgesagt, weil die Sicherheit nicht gewährleistet werden konnte.

Wie die Presse mit dem Thema umgeht

Von Panik oder Angst kann bei den Franzosen nicht gesprochen werden, auch wenn immer noch viele ausländische Touristen die Stadt meiden und Luxusgeschäfte, Hotels und Museen darunter leiden. Doch ein mulmiges Gefühl bleibt. Der Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin am 19. Dezember mit zwölf Toten hat die Bedrohung wieder vor Augen geführt. Aber er hatte noch eine weitere Folge: Er hat eine Diskussion darüber ausgelöst, wie die Presse mit dem Thema umgehen sollte.

In Frankreich sind viele Medien schon dazu übergegangen, Fotos der Attentäter nicht mehr zu veröffentlichen. Aber auch riesige Titel mit Schlagzeilen wie „Angst“ spielten den Tätern in die Hände, betont Chefredakteur Biard und verurteilt, wie mit dem Drama von Berlin Schlagzeilen gemacht wurde. „Es gab zu viel Pathos. Egal ob Paris, Nizza oder Berlin, wir haben immer dieselben Geschichten gelesen.“ Es müssten mehr die Hintergründe für die Anschläge analysiert werden, und was das für die Gesellschaft bedeute. Die deutsche Ausgabe von „Charlie Hebdo“ gab sich nach Berlin kampfbereit: Auf dem Titel war ein Lebkuchenhaus, aus dem Kanonenrohre ragten. Dazu der Ausspruch: „Sie werden unsere Art zu leben nicht verändern.“

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