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Die "Scharia-Polizei" im Einsatz - vor zwei Jahren war die Aufregung darum groß.

© Oliver Berg/dpa

Salafisten in Wuppertal: Auch die "Scharia-Polizei" darf zu Nüchternheit mahnen

Eine Handvoll Muslime soll vor Gericht, weil sie sich für eine Mini-Demo als Koran-Ordnungshüter verkleideten - das wirkt überzogen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Jost Müller-Neuhof

Signalwesten aus dem Baumarkt mit Buchstaben zum Aufkleben, mehr bedarf es nicht, um die Republik in Wallung zu versetzen. So schlugen die Wellen hoch, als nicht einmal ein Dutzend Männer vor zwei Jahren durch die Wuppertaler Innenstadt zog und sich als „Sharia Police“ ausgab. Sie postierten sich vor Spielhallen und sprachen Passanten an, um vor Süchten zu warnen und ein korangefälliges Leben zu preisen. Jetzt hat das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf ein Strafverfahren verlangt. Sogar Kanzlerin Angela Merkel hatte sich damals angesichts des Geschehens dazu gedrängt gesehen, eines ihrer seltenen Statements zu den Aufgeregtheiten der Tagespresse abzugeben: „Es gibt ein Gewaltmonopol des Staates. Niemand anderes ist befugt, sich in die Rolle der Polizei hineinzuschleichen.“ Im Hintergrund drohte schon ihr Fraktionschef Volker Kauder, Gesetze zu verschärfen, um der religiösen Ordnungshüter habhaft zu werden.

Nicht nötig, wenn es nach dem OLG geht. Allerdings hatte die Vorinstanz noch anders entschieden und eine Hauptverhandlung abgelehnt. Für die Angeklagten, die in Wuppertal zur Salafistenszene zählen, gab es eine Art Böhmermann-Bonus. Als so ernst betrachtete man die Sache nicht. So sind Gerichte manchmal, das macht ihre Stärke aus: Es ist ihnen egal, was eine überhitzte Gesellschaft einschließlich ihrer Kanzlerin denkt. Ihre Richtschnur ist das Gesetz.

Juristisch liegt der Fall näher an Böhmermann, als es auf den ersten Blick erscheinen mag. Hier geht es aber nicht um ausländische Majestätsbeleidigung, sondern um eine Strafvorschrift des Versammlungsrechts, nach der es verboten ist, „Uniformen, Uniformteile oder gleichartige Kleidungsstücke als Ausdruck einer gemeinsamen politischen Gesinnung zu tragen“. Der Paragraf ist ähnlich umstritten wie die Majestätsbeleidigung, nur denkt niemand daran, ihn abzuschaffen. Dabei hat er ein ähnliches Problem. Wer den Tatbestand erfüllt, nimmt zugleich ein Grundrecht in Anspruch, die Meinungsfreiheit. Im Fall der angeblichen Scharia-Polizei kommt möglicherweise noch die Religionsfreiheit hinzu.

Das macht den Fall zum Einzelfall und Grundsatz- zu Tatfragen. Schließlich verlangt das Bundesverfassungsgericht, die Strafvorschrift einschränkend auszulegen. Militant-einschüchternd sollten die „gleichartigen Kleidungsstücke“ schon wirken; historisch gedacht war etwa an Aufmärsche der SA im „Dritten Reich“. Aber Signalwesten in Orange, wie sie Bauarbeiter und Fahrradfahrer tragen? Eine Anmaßung deutscher Polizeigewalt in englischer Sprache? Eine Einschüchterung, weil vor Alkohol gewarnt wird? Auch Auftritte der Heilsarmee erscheinen nicht als Vorbereitung eines Angriffskriegs. Gelassenheit tut not. Sonst sieht es am Ende so aus, als urteilte über die Scharia-Polizei auch ein Scharia-Gericht.

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