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Plant die rechtsextremistische NPD "rassistisch motivierte Staatsverbrechen", wie es der Dresdner Politikwissenschaftler Steffen Kailitz erklärt?

© Daniel Karmann/dpa

Sachsen: Richter mit AfD-Parteibuch hilft der NPD

Ein "Skandalurteil", sagt der Dresdner Politologe Steffen Kailitz. Ihm wurden vom Landgericht Dresden kritische Aussagen über die NPD untersagt - von einem Richter mit AfD-Parteibuch.

Von Matthias Meisner

Die Empörung über einen Beschluss des Dresdner Landgerichts, das dem renommierten Demokratieforscher Steffen Kailitz kritische Aussagen über die NPD verbietet, ebbt nicht ab. "Der Beschluss des Landgerichts beschneidet die Wissenschaftsfreiheit", erklärte die Deutsche Vereinigung für Politische Wissenschaft in Osnabrück. Die einstweilige Verfügung des Gerichts (Aktenzeichen: 3 O 925/16) wirke "geradezu grotesk" vor dem Hintergrund, dass Kailitz vom Bundesverfassungsgericht Anfang März als Sachverständiger im NPD-Verbotsverfahren angehört worden ist.

Besonders pikant: Der Richter am Landgericht, Jens Maier, ist Mitglied der AfD. Er soll dem Antrag des NPD-Anwalts Peter Richter vollständig gefolgt sein, ohne das Verbot jedoch zu begründen. Der 47-jährige Kailitz, Politikwissenschaftler am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung der TU Dresden, sprach von einem "Skandalurteil". Er hat inzwischen Widerspruch eingelegt. Nach Angaben des Landgerichts soll die mündliche Verhandlung nun am 10. Juni stattfinden, nach bisherigen Planungen erneut unter Leitung von Richter Maier.

Kailitz hatte in einem Gastbeitrag für die Wochenzeitung "Die Zeit" unter der Überschrift "Ausgrenzen, bitte" für ein Verbot der NPD geworben. Er erklärte, dass die rechtsextremistische Partei "rassistisch motivierte Staatsverbrechen" plane und acht bis elf Millionen Menschen aus Deutschland vertreiben wolle, darunter "mehrere Millionen deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund". Die Entscheidung des Landgerichts war am Mittwoch bekanntgeworden. Erlassen wurde das Urteil bereits am 10. Mai.

Forschungsergebnisse öffentlich darzustellen, gehöre zu den zentralen Aufgaben von Wissenschaftlern, hieß es in einer Stellungnahme der Vereinigung für Politische Wissenschaft. Natürlich dürften sowohl die Forschung als auch darauf beruhende Schlussfolgerungen kritisiert werden. "Aber deren Veröffentlichung gerichtlich zu unterbinden, schränkt die Freiheit der Wissenschaft unzulässig ein", betonten die Politologen. Eine "politikwissenschaftlich fundierte Kritik extremistischer Parteien" müsse möglich bleiben.

Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur epd kritisierte Kailitz, dass das Dresdner Landgericht allein durch den Einzelrichter Maier die Entscheidung ohne eine mündliche Anhörung sowie ohne Urteilsbegründung getroffen habe. Dies sei “sehr ungewöhnlich", sagte der Forscher. Sollte die einstweilige Verfügung Bestand haben, sieht Kailitz seine Karriere als Wissenschaftler gefährdet. Weitere seiner Artikel, Gutachten, Studien und Analysen über die NPD dürfte er dann nicht mehr weiterverbreiten.

Auswirkungen auf das laufende NPD-Verbotsverfahren in Karlsruhe sieht der Extremismusforscher indes nicht. Die mündlichen Anhörungen, in denen er als Sachverständiger auftrat, seien abgeschlossen. Zwar sei damit zu rechnen, dass der NPD-Anwalt Peter Richter sich möglicherweise noch mal auf das Urteil des Dresdner Landgerichts berufen werde. Allerdings seien weitere mündliche Anhörungen in Karlsruhe durch die Sachverständigen derzeit nicht geplant, erläuterte Kailitz.

"Einmaliger Vorgang"

Der Rechtswissenschaftler und Journalist Heinrich Wefing schrieb auf "Zeit online", der Artikel von Kailitz habe mittlerweile ein "Nachspiel vor Gericht, das alle Züge eines Justizskandals trägt". Kailitz’ Textpassage sei von der Meinungsfreiheit gedeckt, und sie sei Kern seiner Aussage vor dem Verfassungsgericht gewesen. Und: "Jens Maier ist nicht irgendein Richter. Der Jurist ist aktives Mitglied der AfD in Sachsen. Unter anderem gehört er als eines von drei Mitgliedern dem Landesschiedsgericht der AfD Sachsen an."

Jörg Nabert, Anwalt der "Zeit", der auch Kailitz vertritt, sagte: "Es ist ein in der Bundesrepublik bisher einmaliger Vorgang, dass einem Gutachter, der in einem laufenden Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht bestellt ist, eine seiner zentralen Aussagen in diesem Verfahren von einem (unzuständigen) Richter des Landgerichts ohne Glaubhaftmachung und ohne rechtliches Gehör untersagt wird."

Johannes Lichdi, früherer sächsischer Grünen-Landtagsabgeordneter und Prozessbeobachter im NPD-Verbotsverfahren, sagte der "Freien Presse" über den "Zeit online"-Gastbeitrag von Kailitz: "Natürlich muss er das auch sagen dürfen." Als ausdrückliche Vorhersage für den Fall einer NPD-Regierungsübernahme handele es sich um keine Tatsachenbehauptung, sondern um ein Werturteil, das auch nicht ehrenrührig, sondern "logisch hergeleitet und damit nicht völlig aus der Luft gegriffen und durch die Meinungsfreiheit gedeckt ist". Nach der Kailitz-Aussage hätten sich die Verfassungsrichter sehr für die Antworten der NPD-Funktionäre auf die Frage interessiert, ob etwa gebürtige Asiaten mit deutschem Pass für sie zur "deutschen Volksgemeinschaft" gehörten, sagte Lichdi. Auch er hält der NPD ein "völkisch-rassistisches Menschenbild" vor, das aber nicht für ein Verbot ausreiche.

Kritisiert wurde die Entscheidung des Landgerichts auch von SPD und Linken im Dresdner Landtag. Der stellvertretende Vorsitzende der sächsischen SPD-Landtagsfraktion, Henning Homann, nannte die einstweilige Verfügung "absurd und gefährlich". Er sagte: "Ich gehe davon aus, dass dieses Urteil keinen Bestand haben wird." Der rechtspolitische Sprecher der Linksfraktion, Klaus Bartl, kritisierte, dass die Entscheidung von einem Einzelrichter und nicht von einer Kammer getroffen wurde. "Gerade bei einer Thematik, die unmittelbar das NPD-Verbotsverfahren berührt, hätte es der kollektiven Weisheit aller drei Richter bedurft." (mit epd)

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