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Angela Merkel und Martin Schulz sind nur zwei von vielen Politikern, die derzeit Anlass für fragende Gesichter sind.

© REUTERS

Regierungsbildung: Vier Merkwürdigkeiten von Merkel, Schulz & Co.

Nach dem Aus für Jamaika: Gescheiterte Verhandlungen werden beklatscht, Untertanen informiert, nie erklärte Wählerwillen erfüllt und nebenbei wird weiterregiert. Alles klar? Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Verwunderung ist der Anfang des Begreifens, wusste der Philosoph José Ortega y Gasset. Er ist mit dem Satz so aktuell! Denn das politische Spitzenpersonal löst gerade so viel Verwunderung aus, dass es zur Provokation wird. Und zwar begreifen zu wollen, ob nicht doch ein tieferer Sinn dahinter steckt.

Die erste Merkwürdigkeit – im Wortsinn – dieser Tage war, wie die Unterhändler der Jamaika- Runde ihr eigenes Versagen beklatschen. Wie sich sich selbst applaudierten, allen voran die Union der Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzenden. Nicht nur, dass es etwas Verlogenes hatte, man denke an Horst Seehofer, es wirkte auch postsowjetisch – wie peinlich. Die Peinlichkeit setzte sich fort bei den anderen Beteiligten, bei der FDP, die sich vielleicht damit in Selbstbestätigung üben wollte, aber auch den Grünen, die landläufig als Gewinner im Desaster gelten. Dabei hatten ihre Verhandlungsführer nur Glück, mit ihren Kompromissangeboten nicht vor die Basis treten zu müssen. Denn bei der wäre der Kommentar von Altkanzler Gerhard Schröder, die Grünen seien inzwischen die „Bettvorleger“ Angela Merkels, aber Mehrheitsmeinung gewesen.

Die zweite Merkwürdigkeit ist, wie die CDU-Vorsitzende für den Fall von Neuwahlen schon wieder ihre Kanzlerkandidatur erklärt hat. Mit dem Folgenden hat SPD-Chef Schulz mal uneingeschränkt recht: „Dass Frau Merkel jetzt schon wieder ins Fernsehen rennt und ihre Kandidatur verkündet, finde ich, ist auch eine Missachtung der Gespräche, die der Bundespräsident ja gerade von allen Parteien angemahnt und eingefordert hat.“ Es sei auch ein Verstoß gegen demokratische Gepflogenheiten, eine solche Kandidatur den „erstaunten Untertanen“ im Fernsehen zu erklären.

Nur die JU Düsseldorf protestiert, sonst keiner

Und das Ganze hat – bis auf die empörte Junge Union Düsseldorf – keinen Widerspruch hervorgerufen!

Die dritte Merkwürdigkeit: wie der Begriff des „Wählerauftrags“ im Munde geführt wird. Oder anders: Er wird permanent verwendet, um irgendeine Haltung und notfalls ihr Gegenteil zu begründen. Dass darin ein ebenfalls permanenter Missbrauch liegt – niemand beklagt es. Dabei gibt es den Wählerauftrag so gar nicht.

Es werden Parteien gewählt, Kandidaten, nicht mehr. Auf den Wahlzetteln steht nichts von einem Auftrag, den man außerdem ankreuzen könnte. Koalitionen, die sich zwangsläufig aus der Tatsache ergeben, dass keine Partei das Ganze gewinnt, werden in unserer Demokratie in den Gremien der Beteiligten abgestimmt, um dann im Bundestag, der Volksvertretung, bestätigt zu werden. Oder eben nicht. Der aus Stimmen herausgelesene „Wählerauftrag“ dient doch vor allem der Stimmungsmache.

Die vierte Merkwürdigkeit liegt darin, wie bruchlos die geschäftsführende große Koalition weiterregiert. In Sonderheit die SPD, die bisher so geredet hat, als könne sie es nicht mehr an der Seite der Union aushalten. Wäre das so, hätte die SPD ihre Minister eigentlich längst zurückziehen und der CDU/CSU das Feld ganz überlassen müssen. Was sie aber nicht tut – weil sie das für unverantwortlich hielte. Weshalb die jüngsten Entwicklungen ihren Sinn haben und gar nicht mehr so verwunderlich sind.

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