zum Hauptinhalt
Erst eins, dann zwei, dann drei... Es gibt weniger Mütter, aber die bekommen mehr Kinder

© Felix Kästle/dpa

Reform der Familienförderung: Grundsicherung für Kinder statt Ehegattensplitting!

Die bisherige Familienförderung benachteiligt sozial Schwache. Deshalb sollte jedes Kind mit derselben Summe unterstützt werden. Ein Gastkommentar.

Millionen Kinder und Jugendliche sind in Deutschland von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen. Und ihre Zahl hat in den letzten Jahren zugenommen – trotz brummender Wirtschaft und abnehmender Arbeitslosigkeit. Diese beschämende Tatsache hängt auch mit dem System der Familienförderung in Deutschland zusammen. Deswegen sollten wir es endlich ändern!

Denn die deutsche Familienförderung erreicht am wenigsten diejenigen, die es am meisten brauchen – die Alleinerziehenden und Familien mit geringen Einkommen. Durch Ehegattensplitting und das Nebeneinander von Kinderfreibetrag, Kindergeld und Kinderregelsatz ist die Familienförderung in Deutschland ein Drei-Klassen-System, in dem Kinder von Spitzenverdienern die höchste Förderung bekommen. Das ist so ungerecht wie gesellschaftlich unsinnig.

Familienförderung als Drei-Klassen-System

Deshalb fordern regelmäßig Sozialverbände und Kinderschutzorganisationen die Einführung einer Kindergrundsicherung, die sich nicht am Einkommen der Eltern orientiert, sondern an einer realistischen Berechnung des Existenzminimums. Bei der Kindergrundsicherung würde der Staat dagegen jedes Kind mit derselben Summe unterstützen – unabhängig vom Einkommen. Unabhängig auch davon, ob seine Eltern verheiratet oder ohne Trauschein zusammenleben, ob alleinstehend, als Patchwork- oder Regenbogenfamilie. Modern und fair – das ist das Bild unserer Gesellschaft. Dazu passt ein einfaches, klares und gerechtes Familienbudget. Eine Förderung, die jedes Kind direkt erreicht, ist für die beste Variante der Familienförderung. Denn sie entlastet Familien unbürokratisch.

Ich plädiere für eine Kindergrundsicherung in Höhe von zurzeit 306 Euro pro Kind, gekoppelt an den höchsten Kinderregelsatz. Kindergeldbezieher würden damit auf einen Schlag 60 Prozent mehr Familienförderung pro Kind erhalten

Für Alleinerziehende und berufstätige Eltern, die Hartz IV aufstockend erhalten, wäre eine Kindergrundsicherung ein erster echter Schritt aus der Armut. Denn diese würde sie aus der quälenden Hartz-IV-Bürokratie herausführen. Sie könnten unterstützend Wohngeld beziehen und hätten deutlich mehr Geld auf dem Konto. Die Kindergrundsicherung würde Familien- und Kinderarmut wirksam bekämpfen. Es würde mehr als ein Viertel der Kinder und die Hälfte der Alleinerziehenden aus der Armut herausführen.

Wahlrecht zwischen altem und neuem System

Auch um die Kindergrundsicherung zu finanzieren, ist ein Wahlrecht zwischen dem alten System des Ehegattensplittings mit Kindergeld und -freibetrag und dem neuen System der Individualbesteuerung mit Kindergrundsicherung sinnvoll. Das Ehegattensplitting halte ich für eine anachronistische Form der Familienförderung. Nicht nur weil es Alleinerziehende und Unverheiratete außen vor lässt und stattdessen Ehepaare auch ohne Kinder fördert.

Sondern auch, weil es die Gleichstellung von Frauen behindert. Es ist zwar ein alter Hut, aber dennoch wahr: das Ehegattensplitting belohnt möglichst ungleiche Einkommensverhältnisse unter PartnerInnen. Gerade in Kombination mit den schlechten Lohnsteuerklassen macht es eine Berufstätigkeit für den geringer verdienenden Partner – meist Frauen - unattraktiv. Das Ehegattensplitting hält Frauen so in der Teilzeitfalle fest, bremst ihre berufliche Entwicklung und ist mit schuld an niedrigen Renten und Altersarmut von Frauen.

Deswegen müsste die Kindergrundsicherung mit der Abschaffung des Ehegattensplittings verknüpft werden: zu einem neuen, fairen Familienbudget. Das Familienbudget erhalten alle Familien, Ehen und Alleinerziehende, eingetragene Partnerschaften und Patchworkfamilien.

Das Finanzamt rechnet die bessere Lösung aus

Es ist zugleich wichtig, die Verantwortung anzuerkennen, die in Ehen und eingetragenen Partnerschaften füreinander übernommen wird. Deshalb sollen ab dem Stichtag der Einführung des Familienbudgets auch neu geschlossene Ehen und eingetragene Partnerschaften individuell besteuert werden und ihre Kinder die Kindergrundsicherung erhalten; der Grundfreibetrag soll hierbei jedoch übertragbar bleiben. 

Ehepaare, die vor diesem Stichtag geheiratet haben, sollen die Wahl haben. Sie können sich entscheiden, ob sie das neue Familienbudget wählen wollen, oder ob sie beim alten System Ehegattensplitting mit Kindergeld und –freibetrag bleiben. Das Finanzamt rechnet für sie aus, welche Lösung günstiger ist.

Der Charme dieser Günstigerprüfung besteht darin, dass definitiv keine Familie schlechter gestellt wird. Wer sich auf das Ehegattensplitting eingestellt hat, kann dabei bleiben. Aber der Löwenanteil der Familien mit Kindern würde freiwillig zur Individualbesteuerung mit Kindergrundsicherung wechseln. Denn das Familienbudget rechnet sich auch für Alleinverdiener-Familien, die vom Ehegattensplitting profitieren – es entlastet Familien bis weit in die obere Mittelschicht hinein.

Mit diesem Vorschlag werden Familien in Deutschland um 8 Milliarden Euro entlastet. Die Benachteiligung gerade der unteren und mittleren Einkommen wäre mit dem Familienbudget beendet. Das Familienbudget würde Kinder- und Familienarmut wirksam bekämpfen. Alle Familienmodelle und alle Kinder würden vom Staat gleichermaßen anerkannt und gefördert – ebenso die eigenständige Existenzsicherung von Frauen. Das Familienbudget wäre die Familienförderung, die zu einem modernen und fairen Land passt.

Lisa Paus ist Berliner Bundestagsabgeordnete für Bündnis 90/Die Grünen.

Lisa Paus

Zur Startseite