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Zwei Spediteure bringen im Februar 2017 in der KZ-Gedenkstätte Dachau (Bayern) das 2014 gestohlene historische Tor der KZ-Gedenkstätte zurück.

© Sven Hoppe/dpa

Reaktionen auf Sawsan Cheblis Vorschlag: Oberster Kultusminister ist gegen Pflichtbesuche in KZ

Der Besuch in KZ-Gedenkstätten kann Menschen die Augen für die deutsche Geschichte öffnen. Er sollte aber nicht zur Pflicht werden, raten Experten.

Die Forderung nach Pflichtbesuchen in KZ-Gedenkstätten stößt auf Skepsis. Er halte das „Du musst“ für den falschen Weg, sagte der Vorsitzende der Kultusministerkonferenz (KMK), Thüringens Bildungsminister Helmut Holter, am Montag dem Evangelischen Pressedienst (epd). Auch der Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Günter Morsch, sprach sich gegen verpflichtende Besuche aus. „Nicht zuletzt die Erfahrungen in der DDR haben gezeigt, dass diese Formen von 'Zwangspädagogik' häufig kontraproduktiv wirken und das historische Lernen eher verhindern als befördern“, sagte er.

Die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) hatte sich am Wochenende angesichts aktueller antisemitischer Vorfälle in Deutschland für Pflichtbesuche in ehemaligen Konzentrationslagern ausgesprochen. Sie sagte der „Bild am Sonntag“: „Ich fände es sinnvoll, wenn jeder, der in diesem Land lebt, verpflichtet würde, mindestens einmal in seinem Leben eine KZ-Gedenkstätte besucht zu haben.“ Das gelte auch für Zuwanderer. Gedenkstättenbesuche sollten zum Bestandteil von Integrationskursen werden, sagte Chebli, die Tochter palästinensischer Flüchtlinge ist. Der KMK-Vorsitzende Helmut Holter sagte, das Lernen an authentischen Orten sei „richtig und wichtig“. Es wäre aber besser Anreize zu setzen, damit Jugendliche dieses Thema für sich entdeckten und sich damit auseinandersetzten.

Historiker warnt vor Besuchen ohne qualifizierte Führung

Der Historiker und Theologe Björn Mensing befürwortet, dass möglichst viele Menschen eine KZ-Gedenkstätte besuchen. „Allerdings setzt das voraus, dass in den Gedenkstätten ausreichend pädagogisch und historisch geschultes Personal zur Verfügung steht“, sagte der Pfarrer der evangelischen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau dem epd. Ein Besuch ohne qualifizierte Führung sei vor allem mit Blick auf Jugendliche, die nicht aus eigener Motivation die Gedenkstätte besuchen, wenig ertragreich. Mensing, der seit 2005 Gruppen durch die KZ-Gedenkstätte führt, warnte zugleich vor einer Instrumentalisierung solcher Besuche als Gegenmittel für antisemitische Einstellungen von deutschen Jugendlichen oder von Flüchtlingen, vor allem aus muslimischen Kulturkreisen. Der Historiker Morsch, der unter anderem die Gedenkstätte im ehemaligen KZ Sachsenhausen leitet, betonte, für Besuche müsse im Schulalltag genügend Zeit zur Verfügung stehen, einschließlich der Vor- und Nachbereitung: „Nur dann können Lernerfolge erzielt und Einstellungen verändert werden.“

Bildungsminister Holter wollte eine Erörterung des Themas in der Kultusministerkonferenz nicht ausschließen. Dort könnte auch debattiert werden, warum - entgegen den Gepflogenheiten in anderen Fächern - das Prinzip Freiwilligkeit Priorität haben sollte. In den Lehrplänen stünden Kompetenzziele, keine Methoden. „Es ist festgelegt, was die Kinder und Jugendlichen nach einer bestimmten Klassenstufe kennen und wissen sollten“, sagte der Minister. In der Frage, wie diese Lernziele erreicht würden, hätten die Schulen relativ viele Freiheiten. Damit habe man in Thüringen sehr gute Erfahrungen gemacht.

Münchner Schüler besuchen alle ein KZ

Verpflichtende Besuche in KZ-Gedenkstätten für Schüler gebe es nur in wenigen Bundesländern, sagte der Historiker Mensing. In Bayern müssen alle Schülerinnen oder Schüler während ihrer Schulzeit eine der beiden Gedenkstätten in Dachau oder Flossenbürg besuchen. Auch in der Gedenkstättenpädagogik selbst sei eine Verpflichtung zu einem Besuch umstritten. Allerdings biete der Besuch am historisch authentischen Ort eine große Chance. Die Erfahrungen aus dem „Tiefpunkt der Zivilisationsgeschichte sind ja die Grundlage für die Grundrechte, wie sie in unserem Grundgesetz formuliert sind“, sagte Mensing. Das gelte auch für das Grundrecht auf Asyl, das ja daraus resultiere, dass Menschen, die aus Nazi-Deutschland fliehen wollten, oft keine Aufnahme gefunden hätten. (epd)

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