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Menschen in Pjöngjang beobachten auf einer Leinwand den neueste nordkoreanische Raketentest.

© dpa

Raketenprogramm: Wie lässt sich die Gefahr aus Nordkorea eindämmen?

Ein Test in Nordkorea zeigt: Die Raketen von Kim Jong Un könnten es bis nach Chicago schaffen. Doch das scheint nicht das Ziel zu sein. Eine Analyse.

Donald Trump vor laufender Kamera, zu Beginn der Kabinettssitzung am Montag: "Wir klären das mit Nordkorea. Wir können das klären. Das wird geklärt. Wir können alles klären." Tags darauf wurde ein neuerlicher Raketentest Nordkoreas bekannt, diesmal von einem U-Boot aus.

Nein, wer zurzeit etwas klärt, das ist der Diktator Kim Jong Un. Am vergangenen Freitag startete eine nordkoreanische Rakete, die etwa 45 Minuten lang flog und eine Höhe von 3000 Kilometern erreichte. Auf flacherem Kurs hätte sie eine Strecke von knapp 10.000 Kilometern zurücklegen können, also beinahe bis Chicago. Noch weitere 1.000 Kilometer, und Washington wäre in Reichweite gewesen.

Fehlt nur noch der nukleare Sprengkopf. Nordkoreas Atomtests haben gezeigt, dass das Land über das nötige Material verfügt. Zwar weiß niemand, wie weit seine Techniker davon entfernt sind, Sprengladungen so weit zu miniaturisieren, dass sie auf eine Interkontinentalrakete passen. Außerdem ist ungewiss, ob sie die Technik beherrschen, eine solche Ladung während des Wiedereintritts in die Atmosphäre durch einen Hitzeschild zu schützen. Aber die schwierigsten Hürden auf dem Weg zu einer Atomrakete, mit der Nordkorea die USA bedrohen kann, sind genommen. Das ist die neue Lage.

Ausdehnung des Regimes auf ganz Korea

Pjöngjangs außenpolitisches Staatsziel ist dasselbe, das Kim Jong Uns Vater und sein Großvater bereits verfolgten: die Ausdehnung des Regimes auf ganz Korea. In dieser Absicht hatte Stalins Verbündeter Kim Il Sung im Jahr 1950 den Koreakrieg begonnen, als seine Truppen die Demarkationslinie entlang des 38. Breitengrades überschritten, die Korea nach dem Zweiten Weltkrieg in zwei Hälften teilte. Die USA griffen ein, der Krieg dauerte drei Jahre, vier Millionen Menschen starben. Bis heute bildet der 38. Breitengrad die Grenze. Will Pjöngjang sie etwa durch Androhung eines Atomschlages infrage stellen?

Wohl kaum. Die Drohung wäre unglaubwürdig. Denn würden die Nordkoreaner die Amerikaner nuklear angreifen, wäre das der Untergang ihres Landes. Dennoch sind Atomwaffen für Nordkorea nicht wertlos. Ihr Einsatz wäre immer noch denkbar als Ergebnis einer Eskalation, die außer Kontrolle geraten ist. Sie bleiben also ein Risiko, und so etwas kann man sich abkaufen lassen. Um welchen Preis? Eine internationale Vereinbarung über beide Koreas, inklusive Abzug der USA aus dem Süden sowie dessen Neutralisierung, so wie Stalin sich das mal für Deutschland ausgedacht hatte? Pjöngjang lässt die Welt im Ungewissen, nicht nur über sein Potenzial, sondern auch über seine Absichten.

Auch Südkorea hat aufgerüstet

Amerikanische Experten diskutieren, dass die Atomrüstung auch eine Art Versicherungspolice für Kim Jong Il sei. Die demilitarisierte Zone entlang der Grenze zwischen den beiden Koreas ist nur vier Kilometer breit. Direkt dahinter hat Nordkorea dermaßen viel Artillerie massiert, dass es die rund 60 Kilometer entfernte Hauptstadt Seoul, in der mehr als zehn Millionen Menschen leben, zermalmen könnte. Sollte Pjöngjang dies in einem regionalen Konflikt tatsächlich tun, hätten seine Atomwaffen die Funktion, die USA vom Eingreifen zugunsten ihres Klienten Südkorea abzuhalten. Denkbar? Durchaus. Man wird ja auch nie wissen, wie weit Amerika in der Zeit des Kalten Krieges zu gehen bereit war, um Westeuropa zu schützen.

Zwar hat auch Südkorea aufgerüstet, mithilfe der USA, die mit eigenen Truppenverbänden im Land stehen. Aber ob das ausreichend Sicherheit erzeugt, wird weithin bezweifelt, weshalb die neu gewählte Regierung in Seoul sich jetzt auf Versuche verlegt, mit Pjöngjang ins Gespräch zu kommen. Die Stimmen in Südkorea, die für eine eigenständige Nuklearrüstung plädieren, sind hingegen schwächer geworden, wohl auch deshalb, weil diese die Nordkoreaner dazu reizen könnte, zuzuschlagen, bevor es für sie zu spät ist.

Die Atomanlagen Nordkoreas etwa sind teils mobil

Und wie soll man nun die neue Lage "klären", um mit Trump zu sprechen? Aus Washington wird wieder einmal berichtet, man erwäge sämtliche Optionen. Keine beruhigende Nachricht angesichts dessen, was da so "auf dem Tisch liegt". Ein Präventivschlag der USA zum Beispiel, womöglich nuklear, auf den Nordkorea nicht mehr antworten kann, wäre ein Ding der Unmöglichkeit. Mit diesem Massensterben wäre der Krieg eben nicht auf einen Schlag beendet. Die Nordkoreaner verfügen über genügend biologische, chemische und nukleare Massenvernichtungsmittel, um ihrerseits in Asien die Hölle zu entfachen.

Die meisten anderen Optionen, die derzeit diskutiert werden, sind ebenfalls problematisch. Die Atomanlagen Nordkoreas etwa sind teils mobil, teils gut versteckt und lassen sich nicht auf einen Schlag ausschalten. Gegen Anschläge auf die politische Führung wiederum sprechen technische und rechtliche Einwände.

Daher stellt sich die Frage, was stattdessen die Diplomatie ausrichten kann. Leider gibt es keine Anzeichen für einen Deal wie mit dem Iran, der sich auf scharfe internationale Kontrolle sowie einen teilweisen Rückbau seines Potenzials einließ, um Wirtschaftssanktionen loszuwerden. Kim Jong Un gibt ökonomischen Druck einfach an sein Volk weiter, und fertig. So kann man ihm nicht kommen.

Doch wer holt China ins Boot?

Also bleibt nur ein Spiel auf Zeit, wie es dieser Tage ein ehemaliger Beamter des US-Außenministeriums vorschlug. In einem Aufsatz für die Website Politico schrieb er, dass ein von innen herrührender politischer Wandel auf lange Sicht wahrscheinlicher sei als die Entnuklearisierung Nordkoreas. Und der könne sich einstellen, wenn durch Wirtschaftsbeziehungen und kulturelle Durchdringung des Landes, namentlich mithilfe des Internets, die Abschottung Nordkoreas gegen die Welt durchlöchert werde.

Das klingt nach soft power angesichts von hard power und daher ein wenig blümchenhaft. Doch es gibt ein Beispiel: Auf das kubanische Regime üben Konsumgüter, Kultur und Information heute mehr Veränderungsdruck aus als alle bisherigen Blockaden und Sanktionen oder, wie einst, die Militäraktionen sowie die CIA-Attentate auf Fidel Castro.

Einwenden ließe sich, dass dies Zukunftsmusik ist, die Gefahr jedoch gegenwärtig. Um sie einzudämmen, muss daher jene Weltmacht gewonnen werden, die den größten Einfluss in der Region hat: China. Pekings Führung ist zwar an der Stabilität des Regimes interessiert, das sie als Bollwerk gegen den US-Einfluss in der Region begreift – aber eine Kriegskatastrophe an der Landesgrenze kann sie nicht wollen.

Doch wer holt China ins Boot? Die Russen haben kein Interesse, die Europäer keine Macht. Bleiben die USA. Deren Präsident indes raunzt China in aller Weltöffentlichkeit an. Per Twitter.

Dieser Text erschien zuerst auf "zeit.de"

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