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Wladimir Putin, Präsident Russlands.

© AFP

Putin in Berlin: Wie soll der Westen mit Russland umgehen?

Ukraine, Syrien – Wladimir Putin betreibt Machtpolitik. Was kann der Westen tun? Experten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft geben Antworten.

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Russlands Präsident Wladimir Putin ist erstmals seit Beginn des Ukraine-Konflikts 2014 wieder in Deutschland. Bundeskanzlerin Angela Merkel warnt, Wunder seien von dem Gipfel zur Ukraine und zu Syrien nicht zu erwarten. Dabei drängt die Zeit. Manche fordern schon eine härtere Gangart gegenüber dem Kremlherrn, wegen der Angriffe auf Aleppo und der Mitschuld am Blutvergießen in Syrien. Wie umgehen mit Moskau: neue Sanktionen? Oder reden um jeden Preis? Und wie groß ist die Gefahr eines neuen Kalten Kriegs? Experten aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft antworten.

Norbert Röttgen
Norbert Röttgen

© dpa

Norbert Röttgen (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses

„Reden muss man in jedem Fall. Aber wir müssen im Westen auch zu eigenen Entscheidungen kommen. Sonst werden wir keinen Einfluss auf ein Ende des Sterbens ausüben können und in der Region so unbedeutend bleiben, wie wir es jetzt sind. Wir sollten die beiden Krisen- und Konfliktherde strikt voneinander trennen. Analytisch allerdings sind beide wichtige Elemente einer neuen Politik Russlands. Was wir sehen, ist ein neuer militärisch basierter, expansiver Nationalismus, der nicht in Stärke begründet ist, sondern in innenpolitischer Schwäche. Er zielt darauf ab, in Russland angesichts von wirtschaftlicher Depression und der Unterdrückung der Opposition einen Eindruck von eigener Größe zu erzeugen. Wladimir Putin will, dass Russland wieder als ebenbürtig mit den USA wahrgenommen wird.“

Andreas Scheuer
Andreas Scheuer

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Andreas Scheuer, CSU-Generalsekretär

„Ich halte es erst einmal für ein unglaublich gutes Signal, dass die Bundeskanzlerin dieses Treffen hier in Berlin arrangiert hat. Es gibt viel mit Wladimir Putin zu besprechen. An den verschiedenen Baustellen muss jetzt versucht werden, den Gesprächsfaden wieder aufzunehmen und vor allem eine Ebene zu finden, wie man zu Lösungen kommt. Aus der Gesprächsatmosphäre muss sich dann eine Entwicklung abzeichnen.“

Katrin Göring-Eckardt
Katrin Göring-Eckardt

© Thilo Rückeis

Katrin Göring-Eckardt, Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion

„Wenn es im Anschluss an die Gespräche mit Putin nicht zu einem Ende der Bombardierungen der Zivilbevölkerung in Syrien kommt, dann ist die Verschärfung des Sanktionsregimes gegenüber Russland eine Option. In Syrien gilt es zuvorderst, die Unterstützung von Russland und dem Iran für das menschenverachtende Assad-Regime zu beenden. Putin testet aus, wie weit er gehen kann. Für ihn ist es ein Spiel um seinen Machterhalt. Für die Menschen in der Ukraine, in Syrien und auch in Russland hat es bittere Konsequenzen. Deshalb bleibt es richtig, Putins Politik entschieden zurückzuweisen.

Dietmar Bartsch
Dietmar Bartsch

© dpa

Dietmar Bartsch (Linke), Vorsitzender der Bundestagsfraktion

„Sanktionen schaden den Menschen vor Ort und selten denjenigen, die politische Verantwortung tragen. Frau Merkel sollte aber durchaus einen Zusammenhang zwischen der Ukraine und Syrien herstellen, da Putin mit am Tisch sitzt und einer der wesentlichen Akteure in beiden Konflikten ist. Er spielt ein Machtspiel mit dem Westen. Sowohl in der Ukraine als auch in Syrien spielen machtpolitische Interessen eine Rolle. Die Leidtragenden sind häufig Unschuldige.“

Wolfgang Ischinger
Wolfgang Ischinger

© picture alliance / dpa

Wolfgang Ischinger, Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz

„Es ist richtig, dass Merkel und Putin reden. Wichtig wäre es aber auch, dass das Schweigen zwischen dem Weißen Haus und dem Kreml endlich überwunden würde. Das ist es, worum es Putin geht: Die strategische Auseinandersetzung mit den USA – und zwar an einem Tisch. Das ist mittelfristig, für die Zeit nach den US-Wahlen, das zentrale Erfordernis von allergrößter Notwendigkeit: dass die beiden ins Gespräch kommen. Reden allein um des Redens willen nützt aber in aller Regel nicht furchtbar viel – in einer Lage wie der aktuellen darf man keine Option, auch keine Sanktionsoption von vornherein ausschließen. Wir haben die Neigung, der russischen Führung immer schon im Voraus kostenlos mitzuteilen, was wir alles nicht machen wollen. Das ist unsere Schwäche, und die münzt Putin in seine Stärke um. Das wäre mein Kritikpunkt.“

Harald Kujat
Harald Kujat

© Müller-Stauffenberg/imago

Harald Kujat, Bundeswehr-General a.D.

„Es ist immer besser, miteinander als übereinander zu reden. Insofern gilt: Hut ab, Frau Merkel, dass sie in dieser schwierigen Situation das Gespräch sucht. Nach dem Ende des Kalten Krieges hat sich die globale Sicherheitslage fundamental verändert – jetzt erleben wir, wie Russland versucht, aus der unipolaren Welt mit nur der einen Weltmacht USA wieder eine multipolare Welt mit mindestens zwei Weltmächten inklusive Russland zu machen. Das ist das eine. Das andere ist, dass die Bedrohung durch zum Beispiel Terror immer neue Konflikte gebiert. Diese Gemengelage muss man als Ganzes sehen. Dann gibt es, ganz vielleicht, eine Chance auf die Einsicht, dass es im Interesse aller an stabilen internationalen Beziehungen wäre, die vielen lokalen und regionalen Konflikte zu lösen und zu einem Interessenausgleich vor allem auch zwischen den USA und Russland zu kommen.“

Sabine Fischer
Sabine Fischer

© Privat

Sabine Fischer, Stiftung Wissenschaft und Politik

„Ich halte den Begriff von einem „neuen Kalten Krieg“ für falsch. Ich halte auch den russischen Diskurs, in dem viel von einem drohenden dritten Weltkrieg die Rede ist, für stark übertrieben. Die intensive Auseinandersetzung mit den USA zeigt, wie sehr die USA auch nach dem Ende des Kalten Krieges noch immer der zentrale Referenzpunkt für das russische Selbstverständnis sind. Und ja, natürlich testet Russland im Verhältnis mit dem Westen Grenzen aus. Die Länder der ehemaligen Sowjetunion, die nicht Mitglieder der EU und der Nato sind, reklamiert Moskau schon lange als Einflusszone. Die russische Intervention in den Syrienkonflikt hingegen ist das erste Mal, dass Russland außerhalb dieser Region militärisch aktiv geworden ist.“

Martin Wansleben
Martin Wansleben

© DIHK

Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer der DIHK

„Der Export deutscher Güter nach Russland hat sich seit 2013 fast halbiert. Ölpreisverfall, Misswirtschaft im eigenen Land sowie die Sanktionen der EU verschärfen die wirtschaftliche Lage Russlands – das in den vergangenen drei Jahren rund ein Zehntel seiner Wirtschaftskraft verloren hat. Klar ist: Bei der Frage von Sanktionen gilt nach wie vor das Primat der Politik. Die Vereinbarungen des Friedensabkommens Minsk II müssen Schritt für Schritt umgesetzt werden, erst dann kann es zu einem Abbau von Sanktionen kommen. Klar ist aber auch: EU-Sanktionen und russische Gegenmaßnahmen gehen zu Lasten der Wirtschaft beider Länder und belasten die bilateralen Geschäftsbeziehungen.“

Klaus Segbers
Klaus Segbers

© FU Berlin

Klaus Segbers, Professor für Internationale Beziehungen an der FU

„Entgegen der allgemeinen Ansicht sind die Interessen Russlands nicht vorrangig geopolitisch, sondern massiv von wirtschaftlichem Interesse geleitet. Der Ölpreis ist dramatisch gefallen, die Interventionen in Syrien und auf der Krim kosten viel Geld, der Staatshaushalt ist enorm belastet. Nach außen fährt Russland eine Strategie, um von inneren Problemen abzulenken – was gut klappt. Vor diesem Hintergrund sind Redestrategien im Umgang mit Russland weitgehend sinnlos, weil davon ausgegangen wird, dass Russland das gleiche Konsensinteresse hat. Im öffentlichen Diskurs über Russland sollten wir mehr moderieren und uns zurücknehmen. Russland sollte freundlich aber kühl ignoriert werden. Das Land ist wichtig für Europa, hat aber lediglich Öl und Gas und keinerlei Soft- und Smartpower, eine dramatische Wirtschaftslage und ist weit davon entfernt eine Weltmacht zu werden.“

Sarah Pagung
Sarah Pagung

© Privat

Sarah Pagung, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP)

„Wir haben eine verstärkte Konfrontation, aber das mit dem Kalten Krieg zu vergleichen wäre unpassend, weil der Konflikt bei weitem nicht so allumfassend ist, wie damals. Es gibt viele Bereiche, in denen die USA und Russland kooperieren, beim Atom-Deal mit dem Iran zum Beispiel. Die EU muss jetzt Einigkeit zeigen und darf die Sanktionen auf keinen Fall leichtfertig aufheben. Der politische Preis wäre immens. Schon jetzt wird die EU in Russland häufig nicht ernst genommen und nur als Anhängsel zu den USA gesehen. Militärisch ist das Baltikum allein schon aufgrund seiner geografischen Lage nicht zu halten. Die Stationierung von Nato-Truppen ist deshalb umso wichtiger. Nur so kann die Nato Russland zeigen, dass sie einseitige Grenzverschiebungen nicht hinnehmen wird.“

Karl Schlögel
Karl Schlögel

© picture alliance / dpa

Karl Schlögel, Osteuropahistoriker und Publizist

„Ich plädiere vor allem für Festigkeit und Entschiedenheit im Umgang mit der russischen Aggression gegen die Ukraine. Putin spielt mit dem Westen, er ist ein Meister der Eskalation, kennt die Schwächen des Westens und versucht, die Europäer und Amerika gegeneinander auszuspielen. Wenn keine anderen Maßnahmen greifen, müssen die Sanktionen aufrechterhalten bleiben. Man sollte weiterhin Gespräche führen. Aber wichtig ist, dass die Bundesregierung und auch die EU Einigkeit zeigen. Auch in Hinblick auf den Schutz, den sich Ostmitteleuropa, vor allem das Baltikum und Polen durch die Nato erhoffen. Von einem neuen Kalten Krieg zu sprechen trifft die Sache nicht, die bipolare Konstellation hat sich aufgelöst, inzwischen gibt es viele Machtpole, die internationale Lage ist viel unübersichtlicher und komplizierter geworden.“

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