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Glücklich nach ihrer Freilassung: Mesale Tolu

© Reuters/Osman Orsal

Update

Prozess in der Türkei: Freigelassene Mesale Tolu ist "müde, aber glücklich"

Sieben Monate hatte die deutsche Journalistin Mesale Tolu in türkischer Haft gesessen. Nun ist sie nach längerem Hin und Her frei. Doch sie darf die Türkei nicht verlassen. Der Prozess geht im April weiter.

Nach mehr als sieben Monaten Untersuchungshaft in der Türkei hat sich die deutsche Journalistin Mesale Tolu erleichtert über ihre Freilassung gezeigt. „Ich bin müde, aber glücklich“, sagte Tolu am Montagabend in der Kanzlei ihrer Anwälte in Istanbul. Sie äußerte die Hoffnung, dass nun auch der „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel freigelassen wird. „Wir sind beide Journalisten, die dem Staat ein Dorn im Auge sind“, sagte die 33-Jährige aus Ulm. „Ich hoffe, dass auch er so bald wie möglich seine Freiheit genießen kann.“

Deniz Yücel gehört zu nun noch acht Deutschen, die in der Türkei aus politischen Gründen in U-Haft sitzen und deren Freilassung die Bundesregierung fordert. Tolu sagte, zwar werfe die Anklage ihr vor, Mitglied einer Terrororganisation zu sein. Der wahre Grund ihrer Inhaftierung sei aber gewesen, „dass ich Mitglied einer freien Presse bin. Sie haben versucht, mich zu ängstigen, weil sie wussten, dass ich einen kleinen Sohn habe.“ Der inzwischen dreijährige Sohn hatte knapp ein halbes Jahr bei der Mutter im Gefängnis verbracht.

Ein Gericht in Istanbul hatte am Montag die Freilassung von Tolu und fünf türkischen Angeklagten aus der Untersuchungshaft angeordnet.

Gutes Gefühl schon am Morgen

Schon kurz nach Beginn des zweiten Tages im Prozess gegen Mesale Tolu am Montagvormittag hatten viele im Gerichtssaal das Gefühl, dass die Verteidigungsreden vor dem Richter und die Aussagen der Angeklagten nur noch Formsache sind. Denn gleich zum Auftakt der Sitzung im Justizpalast im Istanbuler Stadtteil Caglayan hat der Staatsanwalt das Wort ergriffen – und die Freilassung aller Angeklagten beantragt.

Nachdem die Deutsche Tolu und fünf andere Beschuldigte auf Betreiben der Anklage wegen Terrorverdachts den größten Teil des Jahres in Haft zugebracht haben, sollen sie jetzt plötzlich auf freien Fuß gesetzt werden. Das Gericht stimmt dem Antrag am frühen Nachmittag zu und macht so ein Weihnachtswunder möglich, das zugleich ein deutliches politisches Signal ist. „Ich hatte den Eindruck, dass das Urteil schon feststand“, sagt die zum Tolu-Prozess nach Istanbul gereiste Bundestagsabgeordnete Heike Hänsel hinterher.

Zahlreiche Journalisten warten vor dem Frauengefängnis im Stadtteil Bakirköy in Istanbul auf die Freilassung von Mesale Tolu.
Zahlreiche Journalisten warten vor dem Frauengefängnis im Stadtteil Bakirköy in Istanbul auf die Freilassung von Mesale Tolu.

© dpa

Jedoch sind nicht alle im türkischen Behördenapparat von der Entscheidung begeistert, wird Tolu selbst viele Stunden später erzählen. Zunächst läuft alles normal, sie wird vom Gericht zum Frauengefängnis im Stadtteil Bakirköy gebracht, um die Entlassungsformalitäten zu erledigen. Doch dann erscheinen Beamte der Anti-Terror-Polizei, dieselben drei Männer, die sie im Frühjahr festgenommen hatten. Sie eröffnen Tolu, dass ein Abschiebebeschluss gegen sie vorliegt, was aber dem Gerichtsbeschluss widerspricht: Der Richter hatte eine Ausreisesperre gegen sie verhängt; Tolu selbst will ohnehin in der Türkei bleiben. Der Prozess geht am 26. April weiter.

Ein Hin und Her

Nun beginnt ein Hin und Her, das viele Stunden dauert und den Einsatz des deutschen Botschafters Martin Erdmann erfordert, aber dann doch mit der Freilassung endet. „Sie wollten nicht, dass ich mich freue“, sagt Tolu über die Polizisten. „Aber jetzt freue ich mich umso mehr.“ Als sie am späten Montagabend in der Kanzlei ihrer Anwälte sitzt und Fragen der Journalisten beantwortet, wirkt sie müde.

Erdmann spricht von einem „Versteckspiel“, die Bundestagsabgeordnete Hänsel von einem „Nervenkrieg“. Sie selbst habe nicht mit der Freilassung gerechnet, sagt Tolu. Dennoch habe sie diesem Tag gleichmütig entgegengesehen: „Ich habe keine Angst mehr.“

Die aus Ulm stammende 33-jährige Übersetzerin bei der linken Nachrichtenagentur Etha war am 30. April festgenommen worden. Dass sie nun plötzlich und trotz der Haftandrohung von bis zu 15 Jahren wegen Unterstützung der linken Extremistengruppe MLKP auf freien Fuß gesetzt wird, erinnert an den Fall Peter Steudtner: Der Berliner war nach Monaten der Haft im Oktober freigelassen worden. Seine Freilassung war von derselben Staatsanwaltschaft gefordert worden, die den Angeklagten bis dahin als gefährlichen Terrorhelfer hingestellt hatte.

Ein Mann mit einem Schild in den Händen, auf dem die Freilassung der in der Türkei inhaftierten Mesale Tolu Corlu gefordert wird.
Ein Mann mit einem Schild in den Händen, auf dem die Freilassung der in der Türkei inhaftierten Mesale Tolu Corlu gefordert wird.

© Stefan Puchner/dpa

Die jähen Kursänderungen der Anklage in beiden Fällen lassen auf politische Motive schließen. „Das ist ein positives Signal nach Berlin“, sagt Hänsel. Dass der Istanbuler Gerichtsbeschluss mehr ist als eine juristische Pirouette, glaubt auch die Bundesregierung. „Das sind nicht nur gute Nachrichten, sondern das ist auch eine immense Erleichterung“, erklärt Außenminister Sigmar Gabriel. Erdmann, der ebenfalls im Gerichtssaal war, richtet bereits den Blick auf andere Bundesbürger, die noch in Haft sind. „Auch die müssen freikommen“, fordert er. Nach Steudtner und Tolu ist Deniz Yücel an der Reihe, will Erdmann damit sagen. Der Korrespondent der „Welt“ sitzt seit 309 Tagen in Haft, ohne Anklage.

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