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Wer brüllt, wie diese AfDler in Torgau, braucht selber Ohrstöpsel.

© Reuters, Reinhard Krause

Proteste gegen Merkels Wahlkampf: Der AfD fehlen die Worte

Bei Wahlkampfauftritten wird Angela Merkel ausgebuht – und redet trotzdem. Weil die anderen sie nicht hören wollen, zählt die Geste. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Malte Lehming

Angela Merkel steckt das weg. Sie mag verletzt sein oder wütend oder beides, aber in zwölf Jahren Kanzlerschaft musste sie schon oft mit Schmähungen fertig werden. In Griechenland, Polen und der Türkei wurde sie in Zeitungen mit Hitler-Bärtchen und in Nazi-Montur gezeigt. Auch das hat geschmerzt, auch das hat sie verwunden.

Dennoch gehen die Bilder aus Torgau, Finsterwalde, Bitterfeld und Heidelberg wie spitze Pfeile unter die Haut. Merkels Wahlkampfauftritte werden übertönt von Pfiffen, Buhrufen und Trillerpfeifen. Manchmal fliegen Tomaten in ihre Richtung. „Hau ab!“ und „Volksverräter“ schallt es ihr entgegen. Latent aggressive, überwiegend männliche Protestierer wollen, dass jedes ihrer Worte vom Lärm erstickt wird. Es ist eine Machtdemonstration, in der die Waffen ungleich verteilt sind: Krach gegen Ruhe.

Die Protestler sind Anhänger der NPD, AfD und lokaler rechtsradikaler Organisationen. Sie machen gemeinsame Sache, grenzen sich nicht voneinander ab. In zwei Wochen wird gewählt, und die AfD hat gute Chancen, in den Bundestag einzuziehen. Das wiederum macht aus der Distanzlosigkeit des AfD-Partei-Establishments zu derartigen Umgangsformen ein Politikum. Es ist ein wenig wie bei Donald Trump. Ein Teil seiner Anhänger mochte die Mischung aus Anstandslosigkeit und markiger politischer Rhetorik. Ein anderer Teil jedoch sah peinlich berührt zwar, aber großzügig über dessen sexistische und rassistische Bemerkungen hinweg, denn Hauptsache, die korrupte Clique in Washington erhält einen Denkzettel.

Was aber, wenn das eine das andere bedingt? Wenn Taktlosigkeiten und Grenzüberschreitungen nicht Attitüde sind, sondern Wesensmerkmale eines Kandidaten oder einer Partei? Dann lügt sich jeder in die Tasche, der glaubt, das eine vom anderen trennen zu können. Die Tröter von Torgau zu verurteilen, aber sein Kreuz bei Alice Weidel oder Alexander Gauland machen zu wollen, wäre eine Form der Schizophrenie.

Das Gebaren soll rebellisch wirken

Es ist wahr: Die Auseinandersetzung mit der AfD schießt gelegentlich über das Ziel hinaus. Nicht jede Kritik an der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung ist rassistisch. Über die Bedenken „besorgter Bürger“ sollte sich keiner lustig machen. Die Integration der Geflüchteten wird lange dauern und teuer sein. Eine Situation wie im Herbst 2015 sollte sich nicht wiederholen. Ebenso legitim ist es, die Europäische Union abzulehnen und zurück zu wollen zu einer nationalistischen Außenpolitik. Und auch, wer gegen „Schuldkult“, „Genderwahn“ und „Ehe für alle“ agitiert, bewegt sich innerhalb des von der Meinungsfreiheit erlaubten Spektrums.

Zur politischen Auseinandersetzung aber gehört es, für seine Überzeugung einzustehen, Argumente vorzutragen, weder Dialog noch Disput zu scheuen. Doch genau das tut die AfD. Spitzenkandidatin Weidel verlässt pikiert eine ZDF-Wahlsendung, weitere Auftritte werden von ihr wie von Gauland ohne Begründung abgesagt. Das Gebaren soll rebellisch wirken, erzeugt allerdings eher den Eindruck von Angst oder Inszenierung. Wem die Worte fehlen, flüchtet sich in die Aktion. Am Ende sieht man sprachlose Wutbürger, deren Überzeugungskraft sich im Betätigen einer Trillerpfeife erschöpft.

Merkel redet trotzdem. Sie will jene ermutigen, die dem Hass entgegentreten. Sie will dorthin gehen, „wo ich nicht nur freundlich empfangen werde“. Weil die anderen sie nicht hören wollen, zählt die Geste. ihre Unerschrockenheit. Vielleicht setzt sie auch auf den Effekt, dass jeder, der die Szene sieht, sich selbst fragt, auf wessen Seite er steht.

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