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Wer wen scharf sieht. Radfahrer bei der Sternfahrt in Berlin.

© dpa

Promillegrenze auf dem Fahrrad: Betrunkene Radfahrer sind nicht das Problem

Immer wieder gibt es Vorstöße, die Promillegrenze für Radfahrer auf 1,1 zu senken. Bisher ohne Konsequenzen. Das ist gut so, denn betrunkene Radler schaden in der Regel nur sich selbst. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Wer trinkt, der läuft eben nach Hause! Gerade in der Stadt mit unserem wunderbaren ÖPNV ist niemand darauf angewiesen, sich besoffen aufs Fahrrad oder ins Auto zu setzen. Sowas kann man nur mit Bequemlichkeit und einer grossen Portion Egoismus erklären.

schreibt NutzerIn stab

Man muss es ja nicht gleich lustig ein „Menschenrecht“ nennen, wie Hans Zippert in der „FAZ“ vor einem Jahr, aber ein nun endlich knallhart zu verfolgendes Vergehen aus der Kategorie „kein Kavaliersdelikt“ ist es ebenso wenig: betrunken Rad zu fahren.

Ganz im Gegenteil werden vermutlich in den kommenden Wochen allerlei Menschen guten Gewissens von der Möglichkeit Gebrauch machen, sich beim Fußballgucken in der Kiezkneipe ein paar Freuden-, Trauer- oder Langeweilebiere einzuschenken, um dann – weil sie vorausschauenderweise nicht mit dem Auto gekommen sind – per Rad nach Hause zu strampeln.

Solange sie dabei keinen auffälligen Fahrstil vorlegen, ist das bis 1,6 Promille straffrei, darüber hülfe es ihnen nicht mal, wenn sie mit geschlossenen Augen auf dem Schwebebalken entlangradeln könnten. Ab 1,6 Promille begeht ein Radler eine Straftat und muss mit drei Punkten, spürbaren Geldstrafen und Anordnung einer MPU rechnen. Verursachen Radler einen Unfall, bekommen sie bereits ab 0,3 Promille eine Strafanzeige. Für 0,3 Promille trinkt eine Frau von 60 Kilogramm Gewicht nach dem Pi- mal-Daumen-Rechner ein kleines Bier, ein 80-Kilo-Mann ein großes. Das klingt doch alles ganz vernünftig, oder?

Die meisten Menschen kennen ihre Grenzen

Nein, finden jetzt, nach mehreren verpufften Vorstößen von Verkehrsgerichtstagen, die SPD-Verkehrspolitiker. Sie ließen unlängst verlauten, dass die Promillegrenze für Radfahrer auf 1,1 Promille abzusenken sei. Wobei generell natürlich gelte, so zitiert „tagesschau.de“ den Fraktionsvize Sören Bartol: „Wer trinkt, sollte nicht aufs Fahrrad steigen.“

Auch da steckt natürlich viel Bedenkenswertes drin. Aber welch winziger Schritt ist es von da noch zum „Man sollte nicht trinken“? Das auszusprechen wäre aber wohl etwas radikal. Und schließlich muss man ja auch konstatieren: Die allermeisten Menschen kommen mit Alkohol gut zurecht. Und ebenso kommen die allermeisten Menschen mit Alkohol und ihrem Fahrrad gut zurecht. Man kann und sollte ihnen den bestehenden Entscheidungsspielraum darum auch weiter zubilligen.

Der Grenzwert von 1,6 Promille wurde vom Gesetzgeber nicht willkürlich gewählt, er wurde wissenschaftlich ermittelt. Mitte der 1980er Jahre führte das Institut für Rechtsmedizin der Universität Gießen Untersuchungen mit 71 mofafahrenden Testpersonen durch, die Geradeaus- und Slalomfahrten, Toredurchfahren und Kreisfahren beinhalteten. Sie ergaben, dass bei 1,5 Promille Schluss ist mit „Beherrschung des eigenen Fahrzeugs“. Obendrauf legte man für die unmotorisierten Radler noch mal 0,2 Promille, die 1986 vom Bundesgerichtshof auf 1,6 Promille reduziert wurden. Seither besteht die Grenze.

Der Griff zum Fahrrad unter Alkoholeinfluss ist, anders als der zum Autoschlüssel, vor allem ein Selbstgefährdungsrisiko. Betrunkene Radler fallen meist auf die eigene Nase, und zwar mangels Reflexen ungebremst. Das tut weh und sieht auch nicht gut aus. Und wer jetzt ruft: „Ja, und was, wenn sie betrunken auf der Straße herumeiern?“, der könnte dasselbe auch bei Fußgängern fragen. Soll auch das verboten werden?

Und wieso ist der gelegentlich vorkommende betrunkene Radfahrer überhaupt ein Thema?

Nur fünf Prozent der Radunfälle haben mit Alkohol zu tun

Wenn sich aus Verkehrsstatistiken ergibt, dass fünf Prozent der Radler-Unfälle auf deren Trunkenheit zurückzuführen sind (dann übrigens nicht selten weit jenseits von 1,6 Promille), dann heißt das vor allem, dass 95 Prozent der Unfälle damit nichts zu tun haben. Das Hauptsicherheitsrisiko für Radfahrer sind Autofahrer. Autofahrer sind auch das Hauptsicherheitsrisiko für andere Autofahrer und Fußgänger. Da gibt es eine Menge Regelbedarf.

Vom Tempolimit auf Autobahnen bis mehr Tempo-30-Zonen in der Stadt oder die Nullpromillegrenze am Steuer könnte man sich eine Menge vorstellen, was eben die hauptsächlichen Gefährder trifft. Man könnte aggressives Verhalten gegenüber Radfahrern unter Strafe stellen oder alternativ auch breite Radwege auf die Straße malen, sodass jeder seinen Platz hat.

Mit einer Debatte über die Promillegrenze für Radler deren zweifelsohne vorhandene Schuldhaftigkeit zu verschärfen, scheint dagegen keine angemessene Reaktion auf die ebenso zweifellos vorhandenen Probleme im Rad-Auto-Miteinander zu sein.

Nicht ganz am Rande: Was wäre los, wenn am Ende, da die Konsequenzen verschärft sind, Trinkfreudige doch wieder das Auto statt das Fahrrad nehmen? Ist doch viel bequemer – und wer weiß schon, ob das Wetter hält?

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