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Unversöhnlich. In den USA flammt die Debatte um Polizeigewalt und Rassismus neu auf.

© dpa

Polizei, Gewalt und Rassismus in den USA: Weiß-schwarze Täter-Opfer

Ein Teil Amerikas diskutiert über Rassismus, der andere über Gewalt gegen Polizisten. Ein tiefer Graben trennt weiße und schwarze Amerikaner bei der Einordnung der jüngsten Ereignisse, daran wird sich auch wenig ändern. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Die Todesfälle sind bedrückend, die Indizienlast gegen die Polizei wirkt erdrückend: Michael Brown, 18 Jahre, in Ferguson erschossen, weil er sich widersetzte und floh; Tamir Rice, 12 Jahre, in Cleveland ohne nähere Prüfung erschossen, weil er eine Spielzeugwaffe auf Passanten richtete; Eric Garner, 43 Jahre, in New York an Herzversagen gestorben nach akuter Atemnot bei einer sehr handgreiflichen Festnahme.

Alle drei waren Schwarze. Da stellt sich die Frage nach Rassismus. Gegen die Polizisten wurde keine Anklage erhoben. Da stellt sich die Frage nach der Rechtsstaatlichkeit. Vor allem aber stellt sich die Frage nach den Einsatzregeln der Polizei. Wer fühlt nicht mit den Opfern, hat Verständnis für die Proteste in mehreren Städten der USA, auch wenn manche in Vandalismus ausarten?

Eines macht diese traurige Lage noch bedrückender: Es wird wohl keine Reform des Polizeirechts geben, die Todesfälle werden überhaupt wenig ändern. Ein tiefer Graben trennt weiße und schwarze Amerikaner bei deren Einordnung. Und weil in den Medien auf dieser Seite des Atlantiks eine Perspektive dominiert, nämlich die der Opfer, nehmen auch die Entfremdung und das Kopfschütteln über dieses absonderliche Amerika zu.

Bulliger Typ mit Asthma

Eine sehr große Mehrheit der Schwarzen sieht in den drei Schicksalen Belege für überzogene Polizeigewalt und meint, die Ursache sei Rassismus. Diesem Urteil folgt eine Minderheit jener Weißen, die in den USA gerne als linke Intellektuelle bespöttelt werden. Der überwiegende Teil der Gesellschaft gibt den schwarzen Opfern und ihrem Verhalten zumindest eine Mitschuld. Für die Polizei hat diese Mehrheit in der Regel Verständnis.

Ja, Tamir Rice hatte nur eine Spielzeugwaffe, aber sie sah täuschend echt aus; die Offiziere mussten mit der Option eines Amokläufers rechnen. Michael Brown hätte sich dem weißen Polizisten nicht widersetzen dürfen; es ist bekannt, dass die Regeln, wann Polizisten schießen dürfen, locker sind. Eric Garners Tod war ein Unglück; wie sollen Polizisten wissen, dass ein so bulliger Typ Asthma hat?

Die Polizei reagierte deutlich weniger aggressiv als bei den Protesten in Ferguson. Trotzdem haben nicht alle Verständnis für die Proteste.
Die Polizei reagierte deutlich weniger aggressiv als bei den Protesten in Ferguson. Trotzdem haben nicht alle Verständnis für die Proteste.

© Reuters

Die ausgebliebenen Anklagen haben den Streit über die richtige Perspektive noch verschärft. Für die Schwarzen sind sie ein weiterer Beweis für Rassismus und Willkür. Für Weiße bestätigen die Unruhen den Verdacht, dass Schwarze sich nicht an Regeln halten. Sie akzeptieren nicht einmal die ausführlichen Untersuchungen und rechtsstaatlichen Verfahren. Wenn dann noch Straßenzüge brennen und lange niemand eingreift, werfen Weiße dem Staat gewiss nicht vor, dass er übergriffig sei, sondern eher, dass er zu lax vorgehe.

Bei überzogener Gewalt in den USA sind Polizisten nicht nur die Täter, sondern auch die Opfer. Im Schnitt wird jeden dritten Tag ein Polizist im Dienst getötet. Deshalb werden Polizeichefs bei Reformansätzen darauf drängen, dass Selbstschutz hohe Priorität behält.

Ändern wird sich Amerika erst, wenn beide Seiten bereit sind, der Gegensicht eine Berechtigung zuzugestehen. Schwarze haben oft Grund, sich als Opfer zu sehen. Der Vorwurf, dass junge Schwarze schneller kriminell oder Opfer von Gewalt werden, weil ihre Familien sich nicht genug um sie kümmern, ist aber auch nicht unbegründet. Beide Seiten müssen lernen, dass sie ein bisschen recht und ein bisschen unrecht haben. Sonst verfestigt sich die Spaltung.

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