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New Yorker Studenten betrauern den Wahlsieg von Donald Trump mit Plakaten, die für gutes Miteinander werben.

© Drew Angerer/Getty Images/AFP

Political Correctness: Frei von der Leber ist auch keine Lösung

Einen Chirurgen, der auf Korrektheit pfeift, würde man nicht akzeptieren. Aber wenn Politiker auf politische Korrektheit schimpfen, finden sich Beifallklatscher. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ariane Bemmer

Eine Folge der US-Wahl scheint zu sein, dass es der politischen Korrektheit verschärft an den Kragen geht. Schließlich hat den Präsidentenposten der Bewerber gewonnen, der sich ganz offenkundig kein bisschen darum schert, ob er mit seinen Worten jemanden beleidigt oder verletzt. Es ist aber nicht Donald Trump allein, der das Bemühen um Korrektheit als überflüssig ausgemacht hat, er hat mit seiner Prominenz bloß dafür gesorgt, dass es jeder mitbekommt.

Nicht ganz so berühmt wurden die Aussagen deutscher Politiker, die Ähnliches im Schilde führen. Winfried Kretschmann, dessen Name zwischendurch auch auf dem Bundespräsidentennachfolgekarussell zu besichtigen war, warnte seine Partei ganz generell vor zu viel „Political Correctness“, die ehemalige CDU-Familienministerin Kristina Schröder sagte der „Welt“, dass politische Korrektheit „die Menschen“ wahnsinnig ärgere, und Boris Palmer, Tübingens grüner Oberbürgermeister, regte an, den „Alltagsrassismus“ gnädiger zu sehen und nicht wie bisher überzubewerten. Dazu kommen die auch in dieser Zeitung zitierten Einlassungen von EU-Kommissar Günther Oettinger zu den schlitzäugigen und -ohrigen Chinesen und von CSU-Entwicklungsminister Gerd Müller zu den Geldausgebevorlieben von Afrikanern („Alkohol, Suff, Drogen, Frauen natürlich“), und fertig ist der total unkorrekte Sprachgebrauch – „frank and open“, „frei von der Leber, as we say in German“, wie Oettinger in seiner doch notwendig gewordenen Entschuldigung erläuterte.

Hat unkorrekte Wortwahl je ein Problem gelöst? Wohl kaum.

Aber was ist damit gewonnen? Ist je irgendetwas besser geworden, nur weil es explizit und diskriminierend formuliert wurde? Hat unkorrekte Wortwahl je ein Problem entschärft oder gar gelöst? Wohl kaum.

Drastik mag für den Moment der Anspannung oder Überforderung eine gewisse Entlastung bieten. Aber perspektivisch hilft das nicht weiter. Sprache ist, für Politiker erst recht, ein Werkzeug. Wie für den Chirurgen das Messer. Und von dem erwartet man doch auch wie selbstverständlich, dass er sich, bevor er das Messer ansetzt, bitte schön überlegt, wo und wie er den Schnitt setzt, um nicht unnötig zu verletzen.

Was würde man einem Chirurgen antworten, der sagt, dass ihm diese ewige Korrektheit nun aber reiche und er lieber zum Schlachtbeil greift, mit dem er sich ja auch einen Zugriff aufs Menscheninnere verschaffen kann? Was dem Handwerker sagen, der keine Lust mehr hat, so genau hinzuschauen, wo er die Löcher in die Wand bohrt?

Dem Frisör, der mit der Heckenschere über die Haare mäht?

Nichts davon würde man akzeptieren. Aber wenn Politiker losholzen und auf die politische Korrektheit pfeifen, finden sich Fans und Beifallklatscher.

Das politisch Korrekte ist verdächtig, eine Keule gegen abweichende Meinungen zu sein. Und sicher kommt solcher Missbrauch vor. In diesen Momenten ist das politisch Korrekte genauso schlecht wie das Ressentiment. Anders als Letzteres hat das politisch Korrekte aber angenommenerweise eine gute Absicht: Es will Gleichheit herstellen und pauschalen Abwertungen vorbeugen.

Wer sich beleidigt fühlt, soll sich nicht so anstellen!

Tübingens Oberbürgermeister beklagte sich in seinem Appell für mehr Toleranz gegenüber dem Alltagsrassismus darüber, dass man von ihm ein Einschreiten gegen einen Bäcker und dessen „Mohrenköpfle“ gefordert habe. Das ging ihm entschieden zu weit. Und vermutlich schert es in einer Bäckerei voller weißer Kundschaft auch niemanden, was der Mohr mal war, da geht es um Kohlehydrate.

Aber was, wenn ihn ein Schwarzer um ein Anti-MohrenköpfleWort gebeten hätte? Gar Barack Obama persönlich? Hätte er dem auch gesagt, das gehe zu weit? Wie genau steht Palmer wirklich zum Mohrenköpfle?

Es ist sicher anstrengender, jedermanns Befindlichkeit mitzudenken, statt „frank and open“ zu reden. Aber „frank and open“ für den einen ist auch mal beleidigend, ausgrenzend oder herabsetzend für den anderen. Der soll sich nicht so anstellen? Das wäre eine Antwort, die sicher auch Donald Trump gefallen würde. Weil sie hierarchisch ist und von oben nach unten spricht. So ist Kommunikation nicht erstrebenswert.

Das politisch Korrekte kann zumindest im öffentlich gesprochenen Wort Hierarchien abbauen und für etwas mehr Gleichberechtigung sorgen (die es aus welchen Gründen noch mal nicht gibt?). Das sind langsame Prozesse, aber sie tun in ihrer Bewusstseinswandlung allen gut. Man soll durchaus fast alles sagen können, aber es gibt gute Gründe, darauf zu achten, wie man das tut.

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