zum Hauptinhalt
Für Beate Zschäpe fordert die Staatsanwaltschaft die Höchststrafe: „Lebenslänglich mit besonderer Schwere der Schuld“.

© Matthias Schrader/AFP

Plädoyers im NSU-Prozess: Ein gigantisches Gemälde des Terrors

Die Anklage im NSU-Prozess fordert zurecht harte Strafen für Beate Zschäpe und andere. Für die Nebenkläger bleiben aber viele offene Fragen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Frank Jansen

Beate Zschäpe wird vermutlich die Höchststrafe bekommen, also „Lebenslänglich mit besonderer Schwere der Schuld“. Das wären mehr als die bei einem einfachen „Lebenslänglich“ üblichen 15 Jahre Haft. So hat es die Bundesanwaltschaft jetzt in ihrem Plädoyer beantragt, auch von Sicherungsverwahrung ist die Rede.  Dass der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München Zschäpes Taten anders bewertet, ist nicht auszuschließen, aber schwer vorstellbar. Selbst wenn die Verteidiger ihre ganze Kunst aufbieten.

Weder der Vorsitzende Richter Manfred Götzl noch seine Kollegen haben in den mehr als vier Jahren, die der NSU-Prozess nun dauert, Zweifel an der Anklage geäußert. Das gilt auch für die Tatvorwürfe gegen die vier weiteren Angeklagten. Der Tag des Urteils dürfte für Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, Carsten S., Holger G. und André E. ein harter Einschnitt werden.

Hinterbliebene sehen Lücken

Die Bundesanwaltschaft hat an acht Verhandlungstagen ein Plädoyer präsentiert, das man als historisch bezeichnen kann. Nicht nur wegen der epischen Länge der Vorträge, die angesichts der extrem aufwändigen Beweisaufnahme in dem Mammutprozess zwangsläufig war. Bundesanwalt Herbert Diemer, Oberstaatsanwältin Anette Greger und Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten haben akribisch zahllose Indizien  aufgelistet, die Zschäpe und die Mitangeklagten belasten – und auch die wenigen Details, die sie punktuell entlasten.

So wurde das Plädoyer ein gigantisches Gemälde des Terrors, den der NSU und seine Helfer zu verantworten haben. Der zehn Menschen das Leben kostete und die überlebenden Opfer der Anschläge und Raubüberfälle bis heute belastet. Doch das grässliche Bild, das die Bundesanwaltschaft zeichnete, hat für die Angehörigen der Ermordeten und weitere Nebenkläger enorme Lücken.

Der Rechtsstaat, so heißt es, habe wieder versagt. Wie damals, während der Morde, als Polizei, Staatsanwaltschaften und Nachrichtendienste die Attentate stur als unpolitisch einstuften. Und Ermittler die Hinterbliebenen jahrelang mit dem Verdacht schikanierten, die Mordopfer seien selbst kriminell gewesen.

Fehler bleiben unerwähnt

Aus Sicht vieler Nebenkläger gehört der Rechtsstaat mit auf die Anklagebank. Das Plädoyer der Bundesanwaltschaft gilt ihnen als weiterer Beleg. Weil die Fehler der Sicherheitsbehörden ungenannt blieben. Weil es weiterhin um eine nur dreiköpfige Terrorgruppe ging. Weil die Bundesanwaltschaft im ganzen Prozess die Aufklärung des kompletten, mit V-Leuten gespickten Umfelds des NSU blockiert habe. Die Vorwürfe werden noch in dieser Woche wieder deutlich zu vernehmen sein, wenn die Nebenkläger und ihre Anwälte beginnen, zu plädieren. Da sind schmerzliche Momente unausweichlich.

Die eigentliche Tragik der Aufklärung des NSU-Komplexes ist allerdings nicht der Zusammenprall unterschiedlicher Ansichten über das Verhalten des Rechtsstaats. Bitter ist vor allem, dass es bislang niemandem gelungen ist, zentrale Fragen zu den Verbrechen der Terrorzelle zu lösen. Weder die Münchner Richter noch die Bundesanwaltschaft oder eine andere Behörde, weder die parlamentarischen Untersuchungsausschüsse oder die Medien oder engagiert recherchierende, linke Nazigegner haben herausgefunden, wie die NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos ihre Mordopfer ausfindig machten. Und ob an den Tatorten Neonazis aus der Region logistische Hilfe leisteten.

Zschäpe und einige Mitangeklagte könnten vermutlich Antworten geben. Sie tun es nicht. Das ist ihr Recht. Und eine Zumutung. Darüber hilft kein Plädoyer hinweg.

Zur Startseite