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Zeiten der Entfremdung. Auf deutschen Wunsch war der letzte Petersburger Dialog kurzfristig abgesagt worden – nach einem Telefonat von Angela Merkel mit Wladimir Putin. Grund: die Ukraine-Krise.

© picture alliance/dpa

Petersburger Dialog zwischen Deutschland und Russland: Wir müssen reden!

Russen und Deutsche treffen sich nach einer Absage im letzten Jahr nun erstmals wieder zum Petersburger Dialog. Die Pause wurde für eine Reform genutzt.

Im alten Potsdamer Kaiserbahnhof wurde einst Zar Nikolaus II. feierlich empfangen. Am gleichen Ort treffen sich am 22. und 23. Oktober bis zu 200 Deutsche und Russen zum Petersburger Dialog. Es ist die erste Tagung des Gesprächsforums seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine.

Im vergangenen Oktober war ein in Sotschi geplanter Petersburger Dialog kurzfristig abgesagt worden – auf Wunsch der Deutschen. Zuvor hatten Vertreter mehrerer Organisationen erklärt, angesichts der Krise in der Ukraine und des wachsenden Drucks auf die russische Zivilgesellschaft nicht nach Sotschi zu fahren. Außerdem forderten sie eine Reform des Gesprächsforums.

Schwarz-grüne Einigkeit

Der nun begonnene Reformprozess ist auch ein Ergebnis seltener schwarz-grüner Einigkeit. Der mittlerweile verstorbene Unionsfraktionsvize Andreas Schockenhoff und die Grünen-Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck, die CDU- nahe Konrad-Adenauer-Stiftung und die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung hatten die Reform in einem Eckpunktepapier angemahnt. Unterstützung erhielten die Kritiker aus dem Kanzleramt. Nach einem Telefonat von Kanzlerin Angela Merkel mit Russlands Präsident Wladimir Putin wurde die Veranstaltung in Sotschi „verschoben“. Der Koordinator für die Zusammenarbeit mit Russland, Gernot Erler (SPD), bedauert die Absage nach wie vor. „Leider war der politische Druck so groß, dass auch der Petersburger Dialog weitgehend unterbrochen werden musste.“ Dabei sei ein Dialog in „Zeiten der Entfremdung“ gerade wichtig. Die russischen Gesprächspartner hätten nun sehr begrüßt, dass die Arbeit des Petersburger Dialogs weitergehe.

Die Reform begann mit einem Führungswechsel: Der bisherige Vorsitzende Lothar de Maizière musste gehen, sein Nachfolger wurde der frühere Kanzleramtschef und heutige Bahnvorstand Ronald Pofalla (CDU), der als ein Wunschkandidat der Kanzlerin galt. Pofalla führte unzählige Gespräche, um zwischen den Lagern zu vermitteln. In dem Verein, der den Dialog organisiert, spiegeln sich die verschiedenen Richtungen der deutschen Russlandpolitik. Neben denjenigen, die den Dialog nicht nur mit kremltreuen Figuren, sondern mit gesellschaftlichen Organisationen führen wollen, sitzen jene, die auf Gespräche mit der russischen Führungselite setzen. Die einen wollen nicht darauf verzichten, auch die Probleme im deutsch-russischen Verhältnis anzusprechen, die anderen warnen davor, die russischen Gesprächspartner zu verärgern. Die Reform des Petersburger Dialogs sei „eine schwere Geburt“ gewesen, sagt Erler, der im Lenkungsausschuss des Vereins sitzt. Mittlerweile hat der Verein eine neue Struktur. „Viel hängt nun vom Geschick von Herrn Pofalla ab, wie er die Arbeit organisiert.“

Petersburger Dialog öffnete sich für neue Mitglieder

Der Verein, bisher eine geschlossene Gesellschaft, öffnete sich für neue Mitglieder. Mehr als 20 Vertreter von Stiftungen und Organisationen, die seit Langem mit Russland zu tun haben, wurden aufgenommen. Im neuen Vorstand ist mit Stefanie Schiffer vom Europäischen Austausch eine Nichtregierungsorganisation ebenso vertreten wie die deutsche Wirtschaft, die mit dem Linde-Chef Wolfgang Büchele den stellvertretenden Vorsitzenden stellt. Neu im Vorstand ist zudem der Unionsfraktionsvize Franz Josef Jung (CSU). Pofalla hatte zuvor die Grünen-Politikerin Beck in den Vorstand geholt. Ebenfalls ins Führungsgremium aufgerückt ist Brandenburgs Ex-Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD), der das Deutsch-Russische Forum leitet. Dies geschah offenbar auf Wunsch von Außenminister Frank- Walter Steinmeier (SPD). Der frühere Vorsitzende Lothar de Maizière wurde zum Ehrenmitglied ernannt.

Kompromisse wie in der großen Koalition

Kontroverse Diskussionen gab es bei der Mitgliederversammlung nicht. Pofalla verkündete das mühsam ausgehandelte Reformpaket. „Die Art, wie Kompromissformeln gesucht und gefunden wurden, erinnert in manchem daran, wie Pofalla im Kanzleramt die große Koalition gemanagt hat“, sagt Stefan Melle, Geschäftsführer beim Deutsch-Russischen Austausch. Dies habe Vor- und Nachteile. Melle warnt davor, „das offene Sprechen und Entscheiden zugunsten einer inhaltlich falschen Koalitionsdisziplin einzuschränken“. Themen wie der Ukraine- Konflikt und die Entwicklung in Russland dürften nicht nur am Rande abgehandelt werden. Aus Sicht der Kritiker ist der Reformprozess noch nicht am Ende. „Der Petersburger Dialog hat sich in Bewegung gesetzt“, sagt Marieluise Beck. Nun gehe es darum, mehr Debatte im Rahmen des „Großevents“ zu ermöglichen. Derzeit seien die Treffen der Arbeitsgruppen abseits der großen Runde deutlich lebendiger.

Erler kritisiert Vorgehen gegen Zivilgesellschaft in Russland

In der vergangenen Woche saßen Deutsche und Russen aus der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft in Moskau zusammen. Fast drei Stunden dauerte das Treffen im Büro der Menschenrechtsorganisation Memorial. Es ging um die Probleme russischer Organisationen, die sich als „ausländische Agenten“ registrieren lassen müssen, sofern sie Unterstützung aus dem Ausland erhalten. Wenn diese Regeln nicht befolgt würden, drohten den Organisationen hohe Geldstrafen, die ihre Existenz bedrohen könnten, sagt Erler nach den Gesprächen in Moskau. „Die Arbeit der Zivilgesellschaft in Russland wird erheblich beeinträchtigt.“ Als Beispiel nennt er Memorial.

Mit einem anderen Gesetz geht Moskau gegen „unerwünschte“ internationale Organisationen vor. Die US-Stiftung National Endowment for Democracy musste als Erste die Arbeit in Russland einstellen. „Dahinter steckt die obsessive Angst, dass ausländische Stiftungen einen Regimewechsel von unten vorbereiten“, sagt Erler. Auf einer internen Liste unerwünschter Organisationen stehen sechs weitere US-Stiftungen sowie je drei aus der Ukraine und Polen. „Bis jetzt sind keine deutschen Stiftungen dabei, aber das kann uns nicht beruhigen“, betont der deutsche Russland-Beauftragte.

Konfliktthemen nicht auf der offiziellen Tagesordnung

In Potsdam steht dieses Thema jedoch nicht auf der Tagesordnung. Darüber sei bereits in Moskau ausführlich gesprochen worden, sagt Erler. Die von ihm geleitete Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft will sich mit der Flüchtlingsproblematik befassen.

Ein anderes Thema werde in Potsdam „wie ein großer weißer Elefant“ im Raum stehen, sagt ein Lenkungsausschussmitglied: der Konflikt in der Ukraine. Aber wer wolle zwei Tage lang bekannte Argumente austauschen? Erler weist darauf hin, dass Fragen der großen Politik und der Diplomatie nicht zwingend in den Petersburger Dialog gehörten. Die Grünen- Abgeordnete Beck gibt zu bedenken, dass die Ukraine bei einem solchen Gespräch nicht übergangen werden könne: „Eine Ukraine-Debatte darf allerdings nicht in einer Achse Berlin-Moskau stattfinden.“ Am Ende versprach Pofalla, das Thema in Potsdam selbst anzusprechen.

Der Text erschien in der "Agenda" vom 21. September 2015 - einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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